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- publiziert am 27. Juni 2024
Inhalt
1. Einleitung
Eines der bizarreren Werbebilder im U.S. Präsidentschaftswahlkampf des Jahres 2020 war ein Poster des später besiegten Präsidenten Donald J. Trump als körperlich und waffentechnisch gleich mehrfach hypertrophierter Heros. Trumps Kopf war aufgesetzt auf die Bodybuilder-Physis eines der Protagonisten der Post-Vietnam-Kriegsfilme der achtziger Jahre, in denen archaische Einzelkämpferfiguren die für die amerikanische Heldenlegendenkultur nicht verwindbare Niederlage in Vietnam filmisch kompensieren sollten.1Greenberg, Harvey R.: „Dangerous Recuperations. Red Dawn, Rambo, and the New Decaturism“. In: Journal of Popular Film and Television 15. 2 (1987), 60-70. DOI: 10.1080/01956051.1987.9944085 Viele von Trumps Anhängern haben anscheinend geglaubt, dies sei eine Darstellung, für die er posiert habe. Der hier offenkundige Realitätsverlust ist symptomatisch für die Situation der Politik, der Gesellschaft und ihrer Heldenbilder in den USA sowie für den hysterisch übersteigerten Status von Waffen in dieser Gesellschaft.2Wright, James D. / Marston, Linda L.: „The Ownership of the Means of Destruction. Weapons in the United States“. In: Social Problems 23. 1 (1975), 93-107.
Der als zweiter Zusatz in die Verfassung aufgenommene Grundsatz, der den Besitz und das Tragen von Waffen für die amerikanischen Bürger ausdrücklich erlaubt, war im ausgehenden 18. Jahrhundert ein Vertrauensvorschuss auf die Rationalität und Verlässlichkeit des bürgerlichen Subjekts im demokratischen Diskurs. Waffenbesitz war seit der frühen Neuzeit ein Privileg des ⟶Adels und der gehobenen Stände gewesen. Die Übertragung der Waffenbesitzkompetenz auf den Normalbürger hing mit dem Glauben der demokratischen Kräfte daran zusammen, dass diese Bürger die Republik unbedingt verteidigen würden.
Am Grundsatz dieses Rechts auf individuellen Waffenbesitz hat kein amerikanischer Präsident je auch nur zu rütteln gewagt. Die Hoffnung auf einen allseitig verantwortlichen Umgang mit Waffen ist allerdings außer bei der politischen Reaktion und der Waffenlobby weitgehend geschwunden. Die Rate der Morde, der Selbstmorde und der Unfälle beim Umgang mit Schusswaffen wäre in keinem anderen Land der westlichen Welt gesellschaftlich akzeptabel. In den USA ist nicht einmal ein Verbot von (halb-)automatischen Sturmgewehren denkbar.
Zur hysterischen Situation der Waffenbesitzfrage passt, dass die Trump-Präsidentschaft über weite Strecken geradezu als ein in der historischen Realität angekommener Fantasy-Film gesehen werden konnte, der eine Gesellschaft spiegelte, die auf Gewaltverherrlichung als eine ihrer ideologischen Säulen aufbaut. Die zunehmende Unfähigkeit zur Trennung von Fakten von Fiktionen gab den Blick frei auf die Bedeutung des Waffen-Kults in Teilen der U.S. Gesellschaft. Das Trump-Poster war auf Basis eines der Werbeplakate für den zweiten Rambo-Film konstruiert, in denen der muskulöse Protagonist mit deutsch-indigener Abstammung Feinde reihenweise niedermäht. Während die Plakate für den ersten Rambo-Film die Figur wahlweise mit einem schweren M60 Maschinengewehr (.50 cal / 12,7 mm) und einem Rocket Propelled Grenade Launcher zeigten, ist die in Rambo II: The Mission (1985) im Wortsinne plakativ geführte Waffe ein Hybrid aus M60 und aufgesetzter RPG-7. Eine solche Waffe gibt es nicht. Sie kommt im Film so auch nicht vor. Die Wiederbelebung des fiktionalen Hybrids im Zusammenhang mit Trump wirft ein Licht auf Waffen als mythische Requisiten und Extensionen maskulinistischer ⟶Helden reaktionären Zuschnitts.
2. Die Waffe als mythisches Requisit
Die Waffe des Helden – seltener der Heldin – hat einen weiten Weg zurückgelegt von ihren klassischen Anfängen bis zum bizarren Unsinn der politischen ⟶Propaganda einerseits, und andererseits zu den faktisch existierenden, lasergesteuerten Hochtechnologie-Apparaten, mit denen militärische und polizeiliche Spezialkräfte sowie (oft noch vor diesen) Paramilitärs, Milizen und kriminelle Clans und Banden in vielen Ländern mittlerweile ausgestattet sind.3Bjerregaard, Beth / Lizotte, Alan J.: „Gun Ownership and Gang Membership“. In: The Journal of Criminal Law and Criminology 86. 1 (1995), 37-58. Dieser Weg begann mit dem Holzprügel des Hominiden, den Stanley Kubrick in 2001. Odyssee im Weltraum thematisierte und der z. B. in der Keule des Herakles noch sichtbar ist. Dieser hat selbst keine mythischen Qualitäten, wie überhaupt in der klassischen Periode weniger die Waffe als die ⟶Rüstung des Helden im Vordergrund steht – diese wird z. B. in der Ilias des ⟶Homer den Besiegten und Getöteten abgezogen und als Beute eingebracht.4Vgl. Homer: Ilias, Buch 17 bis 19.
Die Verschiebung der von Helden benutzten Waffen von der instrumentalen auf eine mythische Ebene bis hin zu objekteigenen Formaten des Agens könnte damit zusammenhängen, dass diese Waffen nicht, oder zumindest nicht in dieser Qualität, von der jeweiligen Gesellschaft herstellbar waren. Im Übergang von der sogenannten Bronze- zur Eisenzeit muss diese Diskrepanz besonders augenfällig gewesen sein. Bronzewaffen waren der Kriegskeule und dem Pfeil mit Feuersteinspitze nicht überlegen; erst Eisenwaffen führten zu einer massiven Veränderung der Parameter.
Das würde erklären, warum magisch aufgeladene Waffen, besonders Schwerter, oft mitsamt ihrem Schmiedeprozess überliefert werden. Eisenschwerter waren als Hieb- und Stichwaffen geeignet; ihre magischen und personalen Qualitäten gewinnen sie dadurch, dass ihr Besitz noch über den Status-Wert hinaus den Mythos der Unbesiegbarkeit mit sich bringt. Es ist dieser mythologische Rahmen, in dem Waffen als Para-Persönlichkeiten mit eigenen Namen auftreten und der Besitz einer bestimmten Waffe das Schicksal ganzer Reiche und Dynastien determiniert. In diese Kategorie fallen vor allem Blankwaffen, also Schwerter und vereinzelt Dolche oder Lanzen, wie die in der Schatzkammer der Wiener Hofburg unter der Inventarnummer WS XIII 19 geführte Heilige Lanze, die angeblich Teile eines Nagels vom Kreuz Christi enthält. Nach einer später hinzugefügten Legende soll sie die Lanze des heiligen Mauritius gewesen sein, der passenderweise zum Schutzheiligen der Waffenschmiede wurde.5Schulze-Dörlamm, Mechthild: „Die heilige Lanze in Wien. Die Frühgeschichte des Karolingisch-Ottonischen Herrschaftszeichens aus archäologischer Sicht.“ In: Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 58 (2011), 707-742. Von legendärer Prominenz, aber mit noch geringerem Anspruch auf historische Existenz versehen, sind im Wortsinne namhafte Waffen wie das Schwert Excalibur, das der junge Brite Arthur entweder aus dem Felsen zog und damit seinen Anspruch auf die Königswürde begründete, oder das er – so eine andere Version der Legende – nach einer beinahe verlorenen Schlacht von der Herrin des Sees aus diesem herausgereicht bekam. Während Excalibur aber in jeder der Geschichten ein Symbol der Gerechtigkeit ist, ist Siegfrieds Balmung (in der nordischen Mythologie: Gram) wie schon das Durndart des Helden Roland aus der Karlsepik ein Fatalrequisit: Wer es trägt, ist zwar schwer zu besiegen, kommt aber letztlich um.6Niederkrottenthaler, Johanna: „Klingende Schwertnamen. Motiv- und mythenanalytische Studie zu Geschichte, Einsatz und Weiterleben namentragender Schwerter in der deutschsprachigen Dichtung des Mittelalters.“ Masterarbeit, Karl-Franzens Universität Graz, 2020. Online unter: https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/id/5815745 (Zugriff am 31.01.2024).
Die drastische Veränderung der Waffentechnik im Spätmittelalter wirkt sich natürlich auch auf die Rezeption und Behandlung der Waffen selbst aus. Dass sich dabei gerade Schusswaffen verselbständigen und als eine Bedrohung für die Gesellschaft wahrgenommen werden, ist als Phänomen wenig überraschend: Der über viele Jahre auf seine ritterlichen Aufgaben vorbereitete und erzogene Edelmann konnte plötzlich von irgendeinem Jedermann mittels eines „Gewöhr“ über größere Distanz aus dem Sattel geschossen werden. Entsprechend erscheint schon im Orlando Furioso des Ariost (1516) eine Rohrwaffe als Fatalrequisit. Im zeitlich in der karolingischen Periode angesiedelten Orlando kann diese noch aus dem Verkehr gezogen und die Ritterlichkeit bewahrt werden.7Aurnhammer, Achim: „Die produktive Aneignung Ariosts in Deutschland zwischen Humanismus und Barock. Mit einem Ausblick auf Moscherosch und Grimmelshausen.“ In: Aurnhammer, Achim / Zanucchi, Mario (Hg): Ariost in Deutschland. Seine Wirkung in Literatur, Kunst und Musik. Berlin/Boston 2020: De Gruyter, 217-255, 248. Das war keine dystopische Fiktion: Der japanischen Feudalordnung gelingt es in der gleichen Zeit, die Einführung von Sprengmitteln und Feuerwaffen wieder aus der gesellschaftlichen Praxis zu tilgen und aus diesem bewussten technologischen Rückschritt eine anachronistische Situation zu konstruieren, die sie mehrere Jahrhunderte lang zu bewahren vermochte.8Perrin, Noel: Giving Up the Gun: Japan’s Reversion to the Sword, 1543-1879. Boston 1979: Godine.
Derlei wurde in Streitschriften auch in Europa verschiedentlich gefordert – lediglich im Glaubenskrieg gegen das osmanische Imperium sollte es erlaubt sein und bleiben. Aber schon 1517 erscheint im 57. Abenteuer des Theuerdank-Romans eine „Hackenbüchse“ mit solcher Selbstverständlichkeit, dass sie nicht einfach auf den Helden abgefeuert wird: Sie wird vielmehr mit einer zu großen Pulvercharge überladen. Der Held soll sich quasi selbst in die Luft jagen, wenn er die Schusswaffe nutzt. Was er nicht tut – anscheinend wurde die Nutzung durch eine eindeutige Heldenfigur immer noch als ehrenrührig empfunden, während Schusswaffen selbst Teil der waffentechnischen Normalität geworden waren.9Aurnhammer: „Die produktive Aneignung Ariosts in Deutschland“, 2020, 249.
3. Moderne Waffen und Waffensysteme
Die Moderne setzt im Bereich der Waffen mit der Vereinheitlichung von Typen und Kalibern sowie mit ihrer dadurch ermöglichten Massenproduktion ein. Waren die Kanonen des Spätmittelalters noch Einzelstücke, die auch Einzelnamen erhielten (siehe z. B. Mons Meg auf Edinburgh Castle), so beginnt in der frühen Neuzeit die serielle Massenproduktion von Geschützen gleichen Kalibers z. B. für Kriegschiffe. Im 18. Jahrhundert erhält dann jeder britische Infanterist die gleiche Steinschlossmuskete, deren Teile austauschbar sind. Die Bezeichnung Brown Bess für diese britische Glattlaufmuskete indiziert bereits eine ironische Schubumkehr. Der Spitzname für die Waffe des in der Menge kaum noch als Individuum auszumachenden ⟶Soldaten kombiniert die Billigfarbe ‚Braun‘ mit der Kurzform eines der verbreitetsten britischen Frauennamen (Elizabeth), die schon im 17. Jahrhundert so für Frauen mit niedrigem sozialem Status verwendet worden war. Das Gewehr als metonymische ‚Soldatenbraut‘ wurde so in der Namensgebung gleichzeitig deklassiert und damit ⟶entheroisiert und trotzdem in historische (Nachfolge-)Beziehung gesetzt zu den Waffen als Heldenattribute des Mittelalters.10Ferguson, Jonathan: „‚Trusty Bess‘: the Definitive Origins and History of the term ‚Brown Bess‘“. Arms & Armour 14. 1 (2017), 49-69. DOI: 10.1080/17416124.2017.1293886
Vergleichbare Namen sind auch für später produzierte Standardwaffen anderer Armeen immer wieder auffällig. Dabei dominieren zunächst in typisch modernistischer Benennungsform Typnamen und Codebezeichnungen – etwa das Springfield Modell 1842 (eine Glattlaufmuskete, Standardwaffe der US-Armee im Krieg gegen Mexiko und noch zu Anfang des Bürgerkriegs), das Gewehr 98 (deutscher Karabiner), oder die russische Maschinenpistole PPSh 41 mit dem charakteristischen Trommelmagazin. Das ursprünglich 1908 eingeführte und während des Ersten Weltkriegs modifizierte deutsche Spandau-Maschinengewehr wird unter seiner Typbezeichnung „08/15“ zum Symbolbegriff der Gleichmacherei und langweiligen Vereinheitlichung.
Das bedeutet aber offenkundig nicht, dass modernen Waffen keine mythischen Qualitäten mehr überschrieben würden. Dies ist immer da möglich, wo etwa die kulturindustrielle Reproduktionssituation eine mythische Überhöhung hergibt, wie im amerikanischen Westen mit seinem ironisch als Peacemaker bezeichneten Colt Single Action Army .45 Kaliber Revolver Modell 1873, oder mit dem dort ebenfalls weit verbreiteten Unterhebelrepetierer Winchester 73. Konsequent erhalten viele Waffensysteme in der Moderne sowohl technische Typbezeichnungen als auch ‚Namen‘. Bei den amerikanischen Streitkräften verewigen diese Benennungen vor allem ⟶Kriegshelden, sichtbar in Schiffen wie dem Flugzeugträger USS Nimitz oder dem M4 Sherman Panzer. Eine andere Praxis lehnt Waffentypen an mittelalterliche Symbolsysteme an wie etwa die britische Vickers Supermarine Spitfire, oder überträgt Qualitäten eines ‚heroischen‘ Tiers auf das Waffensystem. Bekanntestes Beispiel hierfür ist vermutlich der legendäre deutsche Sd. Kfz. 181, Panzerkampfwagen VI Tiger. Die offensichtliche Weiterführung dieser Benennungspraxis im bundesdeutschen Leopard aus dem Kalten Krieg (seit 1964) wurde später betont verharmlost, indem weitere Fahrzeuge der Bundeswehr Namen wie Iltis (ein Geländewagen), Dingo (ein geschütztes Radfahrzeug) oder Widder (die militärische Variante des VW T5 Kleinbus) bekamen. Der (bundes-)deutsche Umgang mit heroisierender Benennung ist ohnedies inkonsequent und widersprüchlich: Wurden in der ersten Wiederbewaffnungsphase ab 1956 z. B. bei Kriegsschiffen teils Namens-Anlehnungen an die kaiserliche Reichsmarine und sogar die Kriegsmarine Hitlerdeutschlands geduldet (F 212 Gneisenau, F 215 Graf Spee etc.), so konnten noch in den sechziger Jahren sogar vermeintlich minderbelastete NS-Offiziere als Namensgeber herhalten (D 185 Lütjens, D 186 Mölders, D 187 Rommel) – je einer pro Waffengattung. Zur Gegenwart hin wurden solche ⟶Heroisierungen im Sinne der bereits genannten Verharmlosungen vermieden.
Diese Verharmlosungen sind nicht zu verwechseln mit bewusst betont unheroischen und sogar komisierenden Benennungen wie etwa Little Boy und Fat Man für die über Hiroshima und Nagasaki abgeworfenen Atombomben, oder dem Versuch, gegnerische Waffensysteme durch eigene ‚Benennung‘ in ihrer Bedrohlichkeit zu entkräften (wie z. B. die NATO-Codebezeichnung „Frogfoot“ für das sowjetisch-russische Сухой Су-25 Erdkampfflugzeug).
Die Ent-Heroisierung hochtechnologisierter Waffensysteme begann schon während des amerikanischen Bürgerkriegs. Herman Melville, der einige Jahre zuvor Moby-Dick, or The Whale (1851) geschrieben hatte, kommentierte den Wandel von der romantisierbaren Kriegsheldentat zur mechanisierten Technik in seinem Gedicht A Utilitarian View of the Monitor’s Fight, wenn er in der letzten Strophe den ent-heroisierenden Meta-Effekt beschreibt, den das erste Aufeinandertreffen zweier Vollpanzerschiffe bei Hampton Roads, VA im Frühjahr 1862 hatte (Abb. 1). Die Menschen waren hinter den Eisenplatten der Waffensysteme unsichtbar geworden und die Technik ringt quasi mit sich selbst in einem „ringing of those plates on plates“. Kriegsbemalung verwäscht, die anachronistischen Dingsymbole chevaleresker Heldenhaftigkeit, Spitzenkragen und Federbusch, sind angesengt, Krieger nur noch Bedienungsmannschaft:
„War shall yet be, and to the end;
But war-paint shows the streaks of weather;
War yet shall be, but the warriors
Are now but operatives; War’s made
Less grand than Peace,
And a singe runs through lace and feather.“11Melville, Herman: „A Utilitarian View of the Monitor’s Fight“. In: Ders.: Battle-Pieces and Aspects of the War. New York 1866: Harper & Brothers, 61f.
Propagandistisch eingefärbte Versuche, diesen Bedienungsmannschaften in der Moderne ⟶heroische Qualitäten zu überschreiben, gab es zwar, sie wirken aber zum Teil fast komisch, wie in einem amerikanischen Propaganda-Lied aus dem Zweiten Weltkrieg, in dem Piloten, Funker und Bombenschütze nach den „men that man the guns in the sky“ rufen, der offensichtlich am wenigsten prestigeträchtigen Aufgabe an Bord einer ‚Fliegenden Festung‘.12Glenn Miller and his Orchestra: „The Guns in the Sky“. In: The Return of Rosie the Riveter. Sandy Hook Records 1991 (CD / MC). Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=RZsINI3WyFs (Zugriff am 21.05.2024); Carlisle Elliott, Susan: „History of the Memphis Belle. Interview with Margaret Polk. October 24, 1989“. Transkribiert von Susan Carlisle Elliott. Memphis State University, Oral History Research Office, 9. Die Besatzungen selbst versuchten ihrerseits, durch personalisierte Namensgebungen eine familiarisierende Verbindung zwischen sich und dem Kriegsgerät zu etablieren. Die bekannteste B 17 Flying Fortress war wohl Memphis Belle, die nach Erfüllung der geforderten Quote von 25 Feindflügen 1943 auf Kriegsanleihen-Werbetour durch die USA geschickt und 1944 in einem Propagandafilm der First Motion Picture Unit (Regie William Wyler) verewigt wurde. Memphis Belle, ursprünglich benannt nach der Freundin des Piloten, blieb erhalten und wurde im öffentlichen Raum in Memphis, TN ausgestellt, dort aber vandalisiert und letztlich in ein Luftfahrtmuseum in Dayton, OH übernommen. Eine lebenslang und darüber hinaus andauernde Verbindung der Menschen mit ihrem Kriegsgerät ist zwischen Illhaeusern und Elsenheim im Elsaß zu sehen: Dort steht das Wrack von Porc-Epic, eines Jagdpanzers des amerikanischen Typs M10 Wolverine, der dort am 26. Januar 1945 während der Kämpfe um die Poche de Colmar von einem deutschen Sturmgeschütz abgeschossen wurde (Abb. 2). Drei der fünf französischen Besatzungsmitglieder fielen; die Urne des 1991 gestorbenen Kommandanten Marc Samin wurde auf seinen besonderen Wunsch im zum Monument umfunktionierten char beigesetzt: Die Waffe als heroisches Objekt übernimmt das Leben ihrer Bedienungsmannschaft.
In der Postmoderne übernehmen manche Waffen dann endgültig selbst ihren heroischen Stellenwert und ihre heroisierende Funktion: Was sich im seine Besatzung assimilierenden Panzer bereits ankündigt, verselbständigt sich in zwei Richtungen. Zum einen übernehmen Waffen neben ihrer militärischen eine zentrale politische Funktion. Als atomare, biologische oder chemische Gefechtsköpfe wird ihr Nicht-Einsatz in einer absurden Volte des von Melville angesprochenen Utilitarismus zu ihrem einzigen Nutzwert. Gleichzeitig mutieren die relativ ‚einfachen‘ Waffensysteme zu den tatsächlichen Massenvernichtungswaffen. Aus joystick-gesteuerten, herumschwirrenden Kleinfluggeräten ist eine Produktpalette auf einer Skala von den fast flugzeuggroßen Bayaraktars und Predators bis zu den zahllosen Eigenbauprodukten entwickelt worden, deren namenlose, zum Teil weit entfernte Steuerleute mit ihnen den Luftraum verunsichern und von Hellfire-Raketen über die selbstzerstörerischen Shahed bis zu selbstgebastelten Sprengkörpern Tod und Zerstörung regnen.13Vgl. Bröckling, Ulrich: „Drohnen und Helden.“ In: Aurnhammer, Achim (Hg.): Vom Weihegefäß zur Drohne . Kulturen des Heroischen und ihre Objekte. Würzburg 2016: Ergon, 290-302. DOI: 10.5771/9783956505874-291 Exemplarisch und am offensichtlichsten ist die klandestine Mordenergie sichtbar in der nach ihrem Konstrukteur benannten Автомат Кала́шникова образца 47, kurz AK-47 oder Kalaschnikow, dem meistverbreiteten (Schätzungen zufolge bis zu 100 Millionen Exemplare14 Vgl. etwa MDR Zeitgeschichte, 14. August 2020: „Michail Kalaschnikow und sein legendäres Sturmgewehr AK47“. Online unter: https://www.mdr.de/geschichte/zeitgeschichte-gegenwart/politik-gesellschaft/kalaschnikoff-gewehr-waffe-zweiter-weltkrieg-100.html (Zugriff am 24.06.2024)., einschließlich Lizenzbauten in 25 Nationen außerhalb Russlands) und bekanntesten Sturmgewehr der Welt. Besonders in den 60er Jahren erreichte die Waffe ikonischen Status als Symbol von Freiheitskämpfen, Revolutionen und Widerstand (u. a. in Flaggen und Wappen von Mosambik und Zimbabwe sowie der Hisbollah und der deutschen Terroristengruppe RAF).15Vgl. den Eintrag „Kalaschnikow“ in der Wikipedia. Online unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Kalaschnikow (Zugriff am 24.02.2024). Im Vergleich zu den bereits benannten größeren Waffensystemen ist hier eine persönliche Zuschreibung möglich. Die relative Einfachheit stilisiert somit Handlungsfenster von Einzelpersonen und Gruppen von Einzelpersonen, die einer anonymeren ‚Masse‘ entgegentreten, um die eigenen Überzeugungen durchzusetzen. Seit dem Zerfall der Sowjetunion haben sich Gangsymbolik und Embleme internationaler Drogenkartelle dazu gesellt. Selbst die Friedensbewegung benutzte unter dem 1982 im sogenannten „Berliner Appell“ von dem DDR-Pfarrer Rainer Eppelmann und dem Regimekritiker Robert Havemann geprägten Slogan „Frieden schaffen ohne Waffen!“ die Ikonizität der Kalaschnikow, allerdings in einer im mehrfachen Wortsinne ‚gebrochenen‘ Form (Abb. 3). Verweigert wird damit jedoch (und vermutlich ungeplant) auch die Möglichkeit einer positiven Bewertung von bewaffneten Freiheitskämpfen, für die der ‚Automat‘ immerhin zeitweise zu stehen kommen sollte.
4. Einzelnachweise
- 1Greenberg, Harvey R.: „Dangerous Recuperations. Red Dawn, Rambo, and the New Decaturism“. In: Journal of Popular Film and Television 15. 2 (1987), 60-70. DOI: 10.1080/01956051.1987.9944085
- 2Wright, James D. / Marston, Linda L.: „The Ownership of the Means of Destruction. Weapons in the United States“. In: Social Problems 23. 1 (1975), 93-107.
- 3Bjerregaard, Beth / Lizotte, Alan J.: „Gun Ownership and Gang Membership“. In: The Journal of Criminal Law and Criminology 86. 1 (1995), 37-58.
- 4Vgl. Homer: Ilias, Buch 17 bis 19.
- 5Schulze-Dörlamm, Mechthild: „Die heilige Lanze in Wien. Die Frühgeschichte des Karolingisch-Ottonischen Herrschaftszeichens aus archäologischer Sicht.“ In: Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 58 (2011), 707-742.
- 6Niederkrottenthaler, Johanna: „Klingende Schwertnamen. Motiv- und mythenanalytische Studie zu Geschichte, Einsatz und Weiterleben namentragender Schwerter in der deutschsprachigen Dichtung des Mittelalters.“ Masterarbeit, Karl-Franzens Universität Graz, 2020. Online unter: https://unipub.uni-graz.at/obvugrhs/id/5815745 (Zugriff am 31.01.2024).
- 7Aurnhammer, Achim: „Die produktive Aneignung Ariosts in Deutschland zwischen Humanismus und Barock. Mit einem Ausblick auf Moscherosch und Grimmelshausen.“ In: Aurnhammer, Achim / Zanucchi, Mario (Hg): Ariost in Deutschland. Seine Wirkung in Literatur, Kunst und Musik. Berlin/Boston 2020: De Gruyter, 217-255, 248.
- 8Perrin, Noel: Giving Up the Gun: Japan’s Reversion to the Sword, 1543-1879. Boston 1979: Godine.
- 9Aurnhammer: „Die produktive Aneignung Ariosts in Deutschland“, 2020, 249.
- 10Ferguson, Jonathan: „‚Trusty Bess‘: the Definitive Origins and History of the term ‚Brown Bess‘“. Arms & Armour 14. 1 (2017), 49-69. DOI: 10.1080/17416124.2017.1293886
- 11Melville, Herman: „A Utilitarian View of the Monitor’s Fight“. In: Ders.: Battle-Pieces and Aspects of the War. New York 1866: Harper & Brothers, 61f.
- 12Glenn Miller and his Orchestra: „The Guns in the Sky“. In: The Return of Rosie the Riveter. Sandy Hook Records 1991 (CD / MC). Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=RZsINI3WyFs (Zugriff am 21.05.2024); Carlisle Elliott, Susan: „History of the Memphis Belle. Interview with Margaret Polk. October 24, 1989“. Transkribiert von Susan Carlisle Elliott. Memphis State University, Oral History Research Office, 9.
- 13Vgl. Bröckling, Ulrich: „Drohnen und Helden.“ In: Aurnhammer, Achim (Hg.): Vom Weihegefäß zur Drohne . Kulturen des Heroischen und ihre Objekte. Würzburg 2016: Ergon, 290-302. DOI: 10.5771/9783956505874-291
- 14Vgl. etwa MDR Zeitgeschichte, 14. August 2020: „Michail Kalaschnikow und sein legendäres Sturmgewehr AK47“. Online unter: https://www.mdr.de/geschichte/zeitgeschichte-gegenwart/politik-gesellschaft/kalaschnikoff-gewehr-waffe-zweiter-weltkrieg-100.html (Zugriff am 24.06.2024).
- 15Vgl. den Eintrag „Kalaschnikow“ in der Wikipedia. Online unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Kalaschnikow (Zugriff am 24.02.2024).
5. Ausgewählte Literatur
- Bennet, Nigel: AK47 Assault Rifle. The Real Weapon of Mass Destruction. Brimscombe Port 2011: The History Press.
- O. A.: „Berliner Appell – Frieden schaffen ohne Waffen, 25. Januar 1982“. In: Wolfgang Büscher u. a. (Hg.): Friedensbewegung in der DDR. Texte 1978–1982. Hattingen 1982: Scandica, 242-44.
- Prost, Antoine: „Les monuments aux morts“. In: Nora, Pierre (Hg.): Les Lieux de mémoire. Bd. I. La République. Paris 1984: Gallimard, 195-228.
- Voss, Dietmar: „Heldenkonstruktionen. Zur modernen Entwicklungstypologie des Heroischen“. In: KulturPoetik/Journal for Cultural Poetics 11 (2011), 181-202.
- Wulff, Aiko: „‚Mit dieser Fahne in der Hand‘. Materielle Kultur und Heldenverehrung 1871–1945“. In: Historical Social Research 34.4 (2009), 343-355.
6. Abbildungsnachweise
- 1Jo Davidson: „The Monitor and Merrimac: The First Fight Between Ironclads“, Chromolithografie des Seegefechts bei Hampton Roads, prod. von Louis Prang & Co., Boston, 1886. USA, Library of Congress Prints and Photographs Division Washington, D.C., Repr. Nr. LC-DIG-pga-04044 (retouchiert).Lizenz: Gemeinfrei
- 2M10 Wolverine ‚Porc-Epic‘ bei Illhäusern, ElsassQuelle: Foto: Wolfgang Hochbruck, 2015Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0
- 3"Frieden schaffen ohne Waffen", Banner / Fahne der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK).Quelle: DFG-VKLizenz: Copyright Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V., Nutzung mit freundlicher Genehmigung gestattet.