Versuche, ‚Helden‘ und das ‚Heroische‘ in überzeitlichen, essentialistischen Nominaldefinitionen zu fassen, sind zwar ein unterschwelliges Bedürfnis und liegen aufgrund der Persistenz und Aktualität des Themas scheinbar nahe. Heroische Eigenschaften (und ihre theoretischen Durchdringungen) sind jedoch, wie die Vielzahl einschlägiger Studien zeigt, kultur-, gruppen- und zeitspezifisch. Bisher können übergreifende Definitionen diese Historizität nicht abbilden. Vor diesem Hintergrund erscheint eine heuristische Arbeitsdefinition und Begriffsbestimmung sinnvoll und notwendig.
Die hier vorgeschlagene Definition von Helden basiert auf der Auffassung des ‚Heroischen‘ als einem kulturell konstruierten, relationalen und prozessualen Phänomen: Held(inn)en tragen wesentlich zur Etablierung kollektiv wirksamer Ordnungsmodelle bei und werden unter bestimmten sozialen und historischen Bedingungen und in bestimmten medialen Erscheinungsformen konstituiert. Diese Auffassung lenkt den Blick auf die zentralen Prozesse der ⟶Heroisierung und des ⟶Heroismus, d. h. zum einen auf die Frage, wie eine reale (lebende oder tote) bzw. fiktive Person zum Helden oder zur Heldin eines Kollektivs wird, und zum anderen auf die kollektive Orientierung an und Aneignung von als heroisch erachtetem Verhalten oder ihrem Scheitern. Diese Vorgänge vollziehen sich im Rahmen kommunikativer Prozesse, die nicht nur der sozialen Funktionalisierung des Heroischen dienen, sondern auch eine Eigendynamik und instituierende Kraft besitzen.1
Unter ‚Helden‘ bzw. ‚Heldinnen‘ werden Einzelpersonen (oder ggf. Gruppen) verstanden,
1) welche durch ihre Bezeichnung als ‚Held‘, ‚hero‘, ‚héros‘ usw. und in medialer Gestaltung als heroische Figuren präsentiert werden;
2) denen eine ⟶‚Heldentat‘, d. h. eine außeralltägliche, das menschliche Maß übersteigende, agonale Leistung, zugeschrieben wird;
3) die unter Berufung auf diese Tat, aber oft zudem aufgrund ihrer Erscheinung und/oder ihres Auftretens eine besondere Präsenz, einen auratischen ‚Glanz‘, eine ‚charismatische‘ Wirkung erhalten;
4) und die im Zuge dessen von einer Gemeinschaft – welcher Größe auch immer – „gefolgschaftlich“ (M. Weber) verehrt werden2, weil sie deren integrierende Werte in besonderer Weise verkörpern.3
5) Die Verehrung erscheint insoweit paradox, als sich zu Held(inn)en auserkorene Personen nicht reibungslos in die Gemeinschaft einfügen. Vielmehr transgredieren sie in ihrer Tat (und darüber hinaus) bestimmte Verhaltensnormen der Gemeinschaft. Damit stehen sie in grenzüberschreitender Distanz zur Alltagswelt: „il n’y a pas de héros dans la proximité“.4 Die Qualitäten, die Held(inn)en zugeschrieben werden, sind trotz bzw. gerade wegen ihres transgressiven Charakters Ausdruck kollektiver Bedürfnisse. Sie sind historisch variabel und müssen dem Kriterium der Veridikalität genügen, die dann gegeben ist, wenn die als Held bzw. Heldin verehrte Person als hinreichend geeignet angesehen wird, einen gestalthaften Fokus eines Kollektivs (H. Plessner) zu konstituieren.5
6) Ihre Gestalt- und Personenhaftigkeit schließt dabei einen weiteren Zug von Heldenfiguren ein, denn sie zeichnen sich – bei aller Außeralltäglichkeit und Transgressivität – durch elementare menschliche Züge aus: Helden und Heldinnen mögen vergöttert und/oder vergöttlicht werden, aber sie teilen mit gewöhnlichen Menschen körperliche und emotionale Eigenschaften, Handlungs- und Leidensfähigkeit.
Diese Kernbestimmung beschreibt zu einen ein Relationengefüge und benennt die notwendigen Bedingungen für die Bezeichnung einer (realen oder fiktiven) Person als Held oder Heldin. Zum anderen markiert sie typologische Eigenschaften wie Außerordentlichkeit, affektive Aufladung, Agonalität, ⟶Transgressivität und ⟶starke Agency, die heroischen Figuren im Zuge des ⟶Konstitutionsprozesses zugesprochen werden.6
Die Vielfalt und Heterogenität heroischer Phänotypen in der europäischen Tradition von der Antike bis zum Beginn des 20. Jahrhundert resultiert indes aus einer offenen Kombination zusätzlicher Merkmale. Diese akzidentellen Merkmale des Heroischen lassen sich beschreiben als eine Art Familienähnlichkeit, als ein „kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen“ (Wittgenstein).7 In ihnen kommt einerseits die historische Variabilität der Konkretisierung des Heroischen zum Ausdruck, andererseits garantiert die generische Ähnlichkeit die Kohärenz des Gegenstands. So können Zuschreibungen wie etwa ‚Überwindung von Widerstand‘, ‚Bereitschaft zur Selbstaufgabe‘, ‚Schutz / Rettung / Befreiung anderer‘, ‚Tugend / Ehre / Großmut‘ das heroische Relationengefüge (menschliche Person, übermenschliche Leistung/Tat, Charisma/Strahlkraft, Verehrung, Transgression) konkretisieren.
Die akzidentellen Zuschreibungen spiegeln nicht nur die Vielfalt des Heroischen wider. Sie sind vielmehr der Schlüssel, um kulturelle wie historische Differenzen von Heldenkonstruktionen präzise herauszuarbeiten. Die Bedeutung des Heroischen erschließt sich zudem nur in Relationen zu und Abgrenzungen von anderen Formen des Exzeptionellen wie dem Übermenschlich-Herausragenden oder Nur-Vorbildlichen, dem Göttlichen, Heiligen oder allgemein Bewunderten, aber auch zu Gegenbegriffen wie dem Alltäglichen oder dem ‚Antihelden‘.8 Heroische Figuren lassen sich also nur im Rahmen dieses komplexen, bisweilen verwobenen und im Einzelnen weiter zu bestimmenden Beziehungsgeflechts von Familienähnlichkeiten in ihrer historischen Bedingtheit und gleichzeitigen Persistenz erklären.
Zu Held(inn)en muss man sich verhalten: Heroische Figuren sind integrative Bestandteile kultureller Sinnsysteme. Sie bieten eine gestalthafte Projektionsfläche kollektiver Wünsche, Ideale und Werte, aber auch von Konflikten und konträren Bedürfnissen. Heroisierungen und Heroismen entziehen sich gleichwohl eindeutigen Funktionsbestimmungen, sie zeitigen ungeplante und eigendynamische Bedeutungsüberschüsse, unerwartete Wirkungen und divergierende Reaktionen. Held(inn)en sind somit soziale Resonanzphänomene mit hohen imaginativen Potenzialen.
Ein Erklärungsmodell für die Funktion und Wirkung heroischer Figuren stellt die soziologische Institutionentheorie bereit. Danach können soziale Regelsysteme nur dann Geltung erlangen und überleben, wenn sie durch Symbolisierungen ‚sichtbar‘ gemacht und überzeugend kommuniziert werden. Solche institutionellen Symbolisierungen können sich in unterschiedlicher Weise vollziehen: z. B. durch reine „Repräsentanz-Zeichen“, aber auch durch „Präsenz-Symbole“, in denen das Abwesende entweder unmittelbar gegenwärtig ist oder doch zumindest durch das Symbol evoziert wird. Das Symbol dient in letzterem Sinne als „Erkennungszeichen für Zusammengehörigkeit“. Präsenz-Symbole „setzen nicht lediglich Zeichen für etwas – sie sind selbst die Realität oder ein Teil jener Realität, die sich in ihnen ausdrückt“.9 Zu solchen Präsenzsymbolen zählen nicht nur Riten und Rituale, die in jüngster Zeit verstärkt die Aufmerksamkeit der Forschung gefunden haben, sondern auch Persönlichkeits- und Habitusentwürfe. Sie konkretisieren sich auch in heroischen Figuren. Diese gehören so gewissermaßen zur „Großen Symbolik“ einer Gesellschaft, mit deren Hilfe diese sich ihrer Identität und ihres Werthorizontes versichert.10 Symbole besitzen, wie man im Anschluss etwa an die Institutionentheorie Gehlens konstatieren kann11, eine entlastende und Erwartungssicherheit erzeugende Funktion. In Gestalten von symbolischer Bedeutung – zu denen zweifellos auch Held(inn)en gehören – sind Erfahrungen der Vergangenheit und Interpretationen der Wirklichkeit gespeichert.
Zugleich sind Heroisierungen in der Regel nicht unbestritten, sondern Gegenstand und Ergebnis hegemonialer Auseinandersetzungen: Helden und ihre Taten sind wie andere Symbole auch einer agonalen Herausforderung durch De- bzw. Kontra-Heroisierungen konkurrierender Gruppen und/oder in der eigenen Gruppe ausgesetzt, so dass es zu Umwertungen in der Bewertung eines Helden bzw. einer Heldin kommen kann.12 Von jeher ist die Vermutung geäußert worden, dass Heldenfiguren in Adaptionskrisen akut werden, wenn institutionelle, personenunabhängige13 oder auch soziale Ordnungen erodieren, nicht vollständig etabliert oder versachlicht sind. Dies gilt beispielsweise, wenn andere kollektive Deutungssysteme, wie etwa Moral, Glaube oder Geschlechterordnungen, keine überzeugenden Sinnangebote auf veränderte Situationen bereitstellen können. Dabei sind in Heldenfiguren in besonderer Weise Widersprüche ‚aufgehoben’, d. h. in einer paradoxen Weise stehen sie gleichzeitig „für einen punktuellen Widerspruch und den Prozess seiner Harmonisierung“.14 In besonders ausgeprägter Weise gelingt es durch die Heldenfigur, die „Dissonanzen des Gegensätzlichen in ästhetischen Konsonanzen umzuformen“.15 Rein begrifflich lässt sich diese Wirkung nie ganz fassen; vielmehr zielt der Verweis auf den Heros darauf ab, dem „Begriff und Argument das Recht zu entziehen“.16
Wie andere auf normative Ordnungen verweisende Symbole verleihen Heldentat und Heldenfigur „dem argumentativ nicht Mitteilbaren, dem diskursiv nicht Ausdrückbaren eine eigene Sprache“.17 Ihr Erscheinen, ihre Inszenierung oder die Erinnerung an sie vermögen aber Verhalten und Handeln von Menschen in besonderer Weise zu motivieren, auszulösen und mit Bedeutung aufzuladen, gerade weil es sich bei Held(inn)en ebenfalls um (durchaus konfliktbeladene und emotional geprägte) menschliche Individuen handelt. Die suggestive Präsenz von Held(inn)en als gestalthaft und handelnd kann Sinnfragen suspendieren und Komplexitäten reduzieren, indem sie ein Handeln provoziert, das nicht mehr eigens reflektiert wird.18 Die Orientierung an heroischen Figuren erhält so den Status einer Letztbegründung: Dies stellt, um die Begrifflichkeit Max Webers aufzugreifen, ihre charismatische Wirkung dar, die Gefolgschaft nach sich zieht.19 Die Bindung zwischen Held und Verehrergemeinde ist in ihrem Kern affektiv; dies erklärt die affektive Wirkung und appellative Kraft von Held(inn)en. Held(inn)en bewegen sich, anders als andere Symbolisierungen, im suggestiven Spannungsfeld zwischen handelndem menschlichen Individuum und zugeschriebener übermenschlicher Leistung, zwischen Exzeptionalität und Stabilisierung sozialer Ordnung, zwischen Normtransgression und integrativer, letztbegründender Normvergewisserung. In ihrem letztbegründenden Charakter liegt eine besondere symbolische Kraft von Heldenfiguren, die mit einem besonderen appellativen Charakter ihrer Erscheinung und ihres Handelns einhergeht: Durch ihre Gestalthaftigkeit, ⟶Körperlichkeit und oft ausgeprägte Affekthaftigkeit haben Held(inn)en eine auratische Präsenz und eine stark auf Außenwirkung gerichtete Performativität. Die Wirkung von Heldenfiguren – und oftmals ihre besondere Strahlkraft – ist damit wesentlich auch ein Aspekt der Medialisierung und der Medialität.
Das Heroische ist in Gesellschaften nur qua Darstellung konkret präsent. Es muss medial artikuliert und kommuniziert werden, um gesellschaftlich wirksam sein zu können: „von Helden muß berichtet werden“20, bzw. werden Helden und Heldinnen erst in Darstellungen erschaffen. Wir gehen im Einklang mit medientheoretischen Ansätzen21 von einer Eigendynamik der Medialität in Sinnkonstitutionen des Heroischen aus. Die mediale Darstellung des Heroischen und einzelner Heldenfiguren wird also von Gemeinschaften nicht nur funktionalisiert, sondern sie hat selbst eine instituierende Kraft. Sozial-personale Figuration und Medialität des Heroischen müssen daher als gegenseitig abhängige Faktoren der Sinnerzeugung betrachtet werden.
Für die präzise Analyse der medialen Bedingungen und kommunikativen Prozesse der Heroisierung bedarf es über den speziellen Symbolbegriff der Institutionentheorie hinaus ergänzender Begrifflichkeiten aus anderen theoretischen und methodischen Kontexten. Die Kultursemiotik versteht und beschreibt Kulturen als „Systeme von Zeichensystemen“.22 Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf Instanzen, Symbolspeicher und Prozesse der Kommunikation, die in einer Gesellschaft an Heroisierungen beteiligt sind. Codes sind dabei regelhafte Verknüpfungen von Bedeutungen und medialen Ausdrucksformen. Auch Vorstellungen des Heroischen sind in einer bestimmten Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Weise per Konvention codiert – und damit grundsätzlich wandel- und transformierbar; sie können als Traditionen an nachfolgende Generationen weitergegeben werden.23 Codes des Heroischen gehen jedoch nicht in einzelnen ‚Begriffen‘ auf, sondern schaffen übergeordnete Kommunikationssysteme und sind Bestandteile von Diskursen. Darunter sind auch spezifische „Sprachen des Heroischen“ subsumierbar (in Anlehnung an den von John Pocock geprägten Begriff der „language of discourse“24).
Für das Heroische und seine Wirkung wesentlich ist zudem die Tatsache, dass sich Bedeutungen auch jenseits sprachlich-begrifflicher Codierungen konstituieren und dann klar ‚interpretierbare‘ Sprachen transgredieren. In solchen semantischen Überschüssen sind der appellative Charakter, die affektive Aufladung und die ‚Ausstrahlung‘ von Heldenfiguren wesentlich begründet. Es zeichnet das Heroische als sinnstiftendes Moment geradezu aus, dass es zwischen Begrifflich-Fassbarem und Ineffabilität bzw. unvorhersehbarer ‚Emergenz‘ oszilliert.25 Held(inn)en wirken durch ‚Verkörperung‘ und ‚Aura‘. Ihr Sinn manifestiert sich durch intensive, unmittelbare ‚Präsenz‘26 eher als über eine sprachlich-begriffliche En- und De-Codierung. Das Heroische konstituiert sich also essenziell performativ, und zwar in zweifacher Hinsicht: Nicht nur ist es als Ausführung durch Heldentaten und nichtalltägliche Handlungsweisen charakterisiert. Es konstituiert sich in gesellschaftlich relevanter Weise auch erst dann, wenn es durch Darstellung für andere ‚aufgeführt‘ wird. Heroismen als Habitusmuster werden gerade in solchen Aufführungen des Heroischen praktiziert und präsentiert; in ihnen richten sich Gemeinschaften an Held(inn)en aus. Qua Performanz werden Vorstellungen des Heroischen kulturell bedeutsam und kann mit ihnen auch konkret ‚umgegangen‘ werden.
Für Semiotik und Performanz des Heroischen gleichermaßen grundlegend ist die Frage nach der Medialität und dem Medium. In den Medien- und Kulturwissenschaften ist die Eigenleistung der Medien und ihrer Materialität für die Formierung von Sinn verstärkt in den Blick geraten.27 Es ist davon auszugehen, dass die Eigenschaften der einzelnen Medien (und der in ihnen jeweils möglichen verbalen und/oder non-verbalen Artikulationsformen) Einfluss darauf haben, welche Qualitäten des Heroischen sich weniger bzw. besonders prägnant in ihnen darstellen lassen. So stellt sich etwa die Frage, ob die verbale Heldenerzählung gegenüber der konkreten Anwesenheit der heroischen Figur etwa in Bild, Denkmal oder Theateraufführung eine geringere Präsenz hat.
Dem Phänomen des Heroischen selbst (d. h. der wesentlichen Bedeutung von Handeln und Körperlichkeit bei der Bestimmung des Heroischen) ist geschuldet, dass das Verständnis von ‚Medium‘ sich nicht auf technische Kommunikationsmittel beschränken kann, sondern elementar auch „Mensch-Medien“28 in den Blick zu nehmen hat: Heroische Eigenschaften, Charisma und Präsenz werden von Heldenfiguren ‚verkörpert‘ (in Gestalt, Gestus, Stimmqualität usw.) und/oder im Habitus inszeniert. Der wissenschaftlichen Analyse zugänglich sind solche performativen Aspekte des Heroischen zu einem erheblichen Teil allerdings nur über ihre Darstellung in Speicher- und Verbreitungsmedien wie Texten oder Bildern, welche konstitutiven Anteil an der Kommunikation und Tradierung heroischer Muster in sozialen Kontexten haben. Das formierende Potential der Medialisierung und Medialität selbst ist in imaginativen, besonders künstlerischen Gestaltungen stark ausgeprägt. Solche Darstellungen sind nicht nur Medien gesellschaftlicher Selbstbeobachtung und kultureller Selbstauslegung (im Sinne von Bachmann-Medick29), sondern haben ein spezielles Potential, Vorstellungen des Heroischen zu re-modellieren oder auch völlig neu zu imaginieren und damit zu Transformationen von Heroisierungen und Heroismen wesentlich beizutragen.
Im Blick auf die longue durée des Heroischen lassen sich Umbruchphasen der krisenhaften Verdichtung und Neuausrichtung zu identifizieren. Dabei handelt es sich um solche Umbruchsituationen, in denen überkommene und neue Heroisierungen, Heroismen und unterschiedliche soziale Aneignungsformen des Heroischen aufeinandertrafen. Zudem koexistieren und überlagern sich fast immer aus unterschiedlichen Epochen stammende Konzepte des Heroischen, so dass die Vorstellung von ‚Zeitschichten‘ (R. Koselleck) analytische Bedeutung erhält.30 Ohne den Pluralismus der Heroismen, der sich aus Kritik, Absetzung und Negation ergab, lassen sich die vielfältigen Komplementärphänomene des Heroischen, die Konflikte und Konkurrenzen, ⟶Deheroisierungen und Antiheroismen, die in der bisherigen Forschung zu wenig beachtet worden sind, nicht verstehen. Gerade sie können als signifikante Indikatoren und Faktoren der Transformationsprozesse angesehen werden, durch die sich die Vorstellungen und Begriffe des ‚Helden‘ immer wieder veränderten.
Die in der griechischen Frühzeit, spätestens im 8./7. Jh. v. Chr. entwickelten Held(inn)en kennzeichnet eine semantische Unschärfe, die modernen Vorstellungen fremd ist: Als heroes wurden die Personen der ‚großen‘ Vergangenheit bezeichnet, deren vielfach agonale, kriegerische Taten man in mythoi als ‚intentionale Geschichte‘ imaginierte. Heroes hießen aber auch die oft im Grabkult verehrten, lokale Identitäten repräsentierenden religiösen Figuren, die zwischen Göttern und Menschen standen. Eine dritte semantische Komponente ergab sich im 5. Jh. v. Chr. aus der Tatsache, dass auch herausragende Personen der Gegenwart wie etwa prominente Athleten Heroen angenähert werden konnten. Aber erst eine neue sozial-politische Konstellation führte zu einem grundlegenden Umbruch im Verständnis des Heroischen: Mit der Etablierung monarchisch regierter Territorialreiche legitimierten sich Alexander der Große und seine Nachfolger, die man als charismatische Herrscher bezeichnet hat, durch explizite ⟶Imitation von Heroen31, aber auch durch die Etablierung neuer Repräsentationsformeln, durch die der Herrscher in besonderer Weise herausgehoben wurde. Der Verweis auf Außeralltäglichkeit stand dabei aber in Spannung zum Anspruch der Könige auf lebensnahe Präsenz, ihre ⟶Sakralisierung durch eine göttergleiche Verehrung stand wiederum im Kontrast zum Auftreten und zur Darstellung in Angleichung an ganz anders verehrte Heroen im öffentlichen Raum.32 In den hellenistischen Nachfolgestaaten traten z. T. auch spezifische Traditionen der Divinisierung des Monarchen hinzu. Alexander selbst schuf ein auf die Person des Herrschers bezogenes Heroismus-Modell, aber zunächst nicht im Anschluss an bekannte Heroenbilder. Zudem wurde er selbst zum Objekt einer imitatio heroica.33
Mit den Heroismen hellenistischer Monarchen verstärkte sich die militärische Komponente des Heroischen, was auf neue Legitimierungserfordernisse hinwies. Aber erst etwa zwei Generationen nach Alexanders Tod nutzte man die heroische Aufladung seiner Figur, um politische Herrschaft durch (partielle) Angleichung, Identifikation (oder auch neue Distanzierung) zu legitimieren. Diese Prozesse zeitigten aber auch eine intensivierte ästhetische Wirkung, so dass der Alexander-Code spätestens im 2. Jh. v. Chr. veralltäglicht und zur semantisch reduzierten Modeerscheinung, zur Bildfloskel werden konnte und explizite Bezüge auf ihn auch in anderen Heroenbildern nur selten erkennbar wurden. Der Transfer des Alexanderbildes in neue, nicht-griechische Kulturräume führte zugleich zu spezifischen Anpassungsprozessen. Soziale Eliten grenzten sich nun ebenfalls durch die Berufung auf und den Vergleich mit Heroen ab, während im Grabkult der Begriff heros für annähernd jeden verstorbenen Bürger verwendbar wurde – eine erste Tendenz der ‚Verbürgerlichung‘ zeichnete sich hier ab. Das Lateinische besaß allerdings keinen eigenen Begriff für heros; das lässt darauf schließen, dass das Heroische in Rom ein Leitkonzept vor allem als exemplarische, auf konkretes Handeln bezogene und nicht als religiöse Qualität darstellte.
Mit der christlichen Prägung der Spätantike und des frühen Mittelalters erschien der leidende Christus als Modell des asketisch-heroischen Verzichts und der Transgression des Todes, das etwa in der imitatio Christi der Heiligen, paradigmatisch in der Figur des Märtyrers, als vorbildliches Ideal propagiert wurde.34 Aber auch vor dem Hintergrund dieser neuen Konstellation wirkten in dieser Phase ältere, z. T. auch in vorchristlichen Vorstellungen wurzelnde Heldenkonzepte (etwa das des athleta Christi) fort, die der Aufwertung bestimmter Heiligenkulte zugute kamen.35
Die soziale Relevanz von Heroisierungen und Heroismen im Hochmittelalter manifestierte sich im Konzept agonal bewiesener Familienehre, an dem die traditionellen Eliten seit der Antike festhielten.36 Allerdings konkurrierte die öffentlich inszenierte Männlichkeit mit neuen Idealen der höfischen Kultur.37 Der vir curialis konnte im geradezu antiheroischen Frauendienst agieren, ohne deshalb seinen heroischen Status zu riskieren. In den Reformbewegungen französischer Klöster setzte sich ein monastisches Heiligenideal durch, das damit zu kämpfen hatte, dass es für weltliche Eliten kaum umsetzbar war. Versuche, Laien zu Heiligen zu machen, stießen auf große Schwierigkeiten. Gleichzeitig erlaubte die heroisch-agonale Bewährung dem Ritter die Distanzierung von höfischen Lebensidealen. So vollzog sich auf der Bühne des Hofes performativ und medial eine wichtige Neujustierung des heroischen Habitus.
In der Folge der Kreuzzüge etablierte sich zudem noch stärker der miles Christianus als neues Modell des Heroischen, in dem das Ideal der christlichen Devotion mit dem Anspruch des agonal-kriegerischen Habitus verbunden wurde. Diesem Modell entsprach auch der verbreitete Rekurs auf individuelle heroische Figuren, wie er im 14. und 15. Jh. zunehmend zu beobachten ist. Diese Individualisierung richtete sich zwar gegen den fürstlichen Hof und den von ihm ausgehenden Sog der Territorialisierung und Staatsbildung, ist aber keinesfalls mit Privatisierung gleichzusetzen: Der neue Heroismus wurde gerade durch öffentliche Heldendenkmäler politisch und sozial zur Wirkung gebracht und gewann so eine richtungsweisende mediale Präsenz im öffentlichen Raum.38
Kennzeichnend für das Mittelalter waren das Nebeneinander und die Verbindung fortlebender antiker und neuer christlicher Heldenmodelle und gerade nicht deren strikte Abgrenzung gegeneinander. Hier lässt sich eine ausgesprochene Überlagerung unterschiedlicher Modelle in verschiedenen ‚Zeitschichten‘ konstatieren.
Die Frühe Neuzeit stellte nicht nur im Hinblick auf die intensive Auseinandersetzung mit dem gesamten Arsenal antiker Heldenfiguren und ihrer Wiederbelebung besonders in der ⟶fürstlichen Repräsentation eine entscheidende Epoche dar. Im Zuge der Konfessionsspaltung und intensivierter militärischer Konflikte zwischen Territorialstaaten setzte im 16. Jh. eine Pluralisierung und verstärkte Konkurrenz von Heldenvorstellungen ein.39 Neue Medien wie Druck und Flugblatt standen nun neben städtischen Heldendenkmälern und differenzierten die Öffentlichkeit des Heroischen40, förderten neue bildsprachliche Bezüge zwischen präfigurativen heroischen Modellen und der Selbstdarstellung der sozialen Eliten. Das Ideal heroischer Männlichkeit wurde um Elemente wie Selbstkontrolle oder religiös bedingte Ideale wie das der Verinnerlichung ergänzt. Überdies entfalteten im späten 16. sowie im frühen und mittleren 17. Jh. Leitbilder einer heroischen Frömmigkeit zunächst in Frankreich, später auch in England (Puritanismus) eine erhebliche subversive Kraft.41 Die etablierte kirchliche und politische Ordnung mit ihren vielen Kompromissformeln sah sich dadurch in ihrem Bestand gefährdet. Zum Teil gelang es, diese subversive Kraft durch eine stärkere Spiritualisierung und Verinnerlichung der Frömmigkeit (z. B. Askese statt des Kampfes gegen die Ketzer) einzudämmen. Dies provozierte aber wiederum Spannungen zwischen einem religiösen Rigorismus und der Bereitschaft zum Kompromiss mit einer weltlichen Moral.
Im Laufe des 17. Jhs. trat im Konzept des honnête homme dem kriegerischen Helden ein auf den ersten Blick eher unkriegerisches, höfisches Modell gegenüber. Höfisches und adliges Umfeld erwiesen sich einmal mehr als soziale Kristallisationspunkte für Transformationen des Heroischen. Strukturell dominant wurden diese Veränderungen vielfach erst im 17. Jh. und verdichteten sich zu einem grundlegenden Umbruch: Einerseits wurde der Herrscher zum fast alleinigen Subjekt der imitatio heroica antiker Helden, andererseits büßten viele heroische Modelle im Rekurs auf antike Vorbilder, die ansatzweise bereits verinnerlichte Ideale verkörperten, ihre vormalige Veridikalität und appellative Kraft ein, so dass Heroismus auch als bloß äußerliche Attitüde kritisiert werden konnte.42
Ab ca. 1650 kam es dabei in Frankreich zu einer Transformation im Hinblick auf die besondere Auratisierung des Helden. Der Glanz (éclat du héros) verwandelte sich von einer Medialisierungs- und Artikulationsfigur mit vielen ästhetisch-appellativen Wirkungen zu einer Reflexionsfigur des Heroischen.43 Einer affirmativen Darstellung des heroischen éclat bspw. in Panegyrik, Historiographie und politischen Traktaten stand eine reflexive und analytische Verwendung des Begriffs in literarischen Texten gegenüber.44 Die damit oftmals verbundene Problematisierung der Repräsentationsformen heroischer Ausstrahlung spiegelt die Brüchigkeit und Ambivalenz der gesellschaftlichen Verankerung des Heroischen wider.
Im Zuge von neuen Repräsentationsbedürfnissen suchte der Adel nach Formen der Bestätigung und Kontrastierung traditioneller Heroismen durch den Bezug auf exotische Helden im höfischen Drama des späten 17. Jhs., wobei auch heroische Eigenschaften auf ‚fremde‘ Figuren übertragen wurden.45 Man kann hier von transkulturellen Formen des Heroischen sprechen, die ebenfalls geeignet waren, auf Brüche und Destabilisierungen kultureller Vorstellungen hinzuweisen. Indem jedoch etwa in den lateinischen Dramen des Jesuitenordens japanische Märtyrer zu Glaubenshelden stilisiert wurden, diente ihr heroischer Habitus dem europäischen Publikum als Spiegel. Mit der Übertragung des Heroischen auf Wissenschaftlerpersönlichkeiten46 fand neben der begrifflichen Extension eine Expansion in nicht-adlige, bürgerliche Kreise statt.
In dem Maße, in dem fürstlichen Mäzenen ein heroischer Habitus als Friedensstifter und ⟶Kunstförderer47 zugeschreiben wurde, erschöpfte sich die Idee des Heroischen nicht länger in militärischen Heldentaten. Auch in der Selbstinszenierung Ludwigs XIV. als roi connétable im Rahmen einer guerre spectacle wird eine Verselbstständigung der heroischen Rolle gegenüber jedem allzu engen Realitätsbezug deutlich. Für Ludwig XIV. genügte es, sich an der Spitze seiner Truppen zu zeigen, um seinen Anspruch zu unterstreichen, dass die Siege letztlich v. a. seinem Genie, seiner Tatkraft und seiner charismatischen Aura zu verdanken seien.48
Im Zeitalter der Aufklärung trat das Genie neben die klassischen Heldenfiguren. Semantisch verkörperte der ⟶grand homme eher die Tugenden des Bürgers einer res publica, während die klassischen Held(inn)en und diejenigen, die ihnen nacheiferten, sich am Ideal aristokratischer Ehre orientierten, das an die Monarchie zurückgebunden war. Man kann im 18. Jh. jedoch nicht generell von einer Krise des Heroischen sprechen. Eher handelt es sich darum, dass neue Modelle historischer Größe die traditionellen Rollenmuster überlagerten und verdrängten. Die Tendenz zur Moralisierung und Domestizierung des Helden ist dabei klar erkennbar, und die Affinität traditioneller kriegerischer Heldenfiguren zur Gewalt wurde zumindest in der französischen Aufklärung zum Problem.
Generell lässt sich auch stärker als früher feststellen, dass Stil und ästhetische Sprachen medial vermittelter Heroisierungen zum Gegenstand von Kontroversen wurden – es gab keinen wirklich festen Kanon künstlerischer Ausdruckformen mehr.49 Man glaubte, nicht länger auf mythologische Figuren zurückgreifen zu können, verfügte aber über keine neue, allgemein verbindliche Bildsprache, um die Mythologie zu ersetzen und den Abstand zwischen dem Helden und dem Alltäglichen zu markieren. Hier deutet sich bereits eine auch medial greifbare stärkere Pluralisierung heroischer Modelle an, wie sie dann für das 19. und 20. Jh. sowie die Gegenwart prägend wird.
Im Zuge des politischen und sozialen Erfahrungsumbruchs, den die Französische Revolution und die Revolutionskriege markierten, wurden die partiell bereits verbürgerlichten Heldenkonzepte auf neue Wertmodelle, vor allem patrie und Nation, aber auch die wehrhaft-bellizistische Republik übertragen. Die historische Semantik des Wortfeldes unterstreicht, dass ‚Held‘ / ‚hero‘ / ‚héro‘ nicht in das Schema klassischer Bewegungsbegriffe passt, deren semantische Kontur sich in einer Sattelzeit zwischen 1770 und 1850 veränderte, sondern eher ein Traditionsbegriff war, in dem historisch ungleichzeitige Komponenten miteinander verknüpft wurden und neben neuen Bedeutungselementen stets ältere Muster erkennbar blieben. Mit der Französischen Revolution entwickelte sich ein neuartig akzentuierter politisch-sozialer Heldenkult im Zeichen der sakralisierten, aus der Gewaltgeschichte der Revolution hervorgegangenen Nation. Der Held wurde zu einer Figur, welche die Grenzen der eigenen nationalen Gemeinschaft bezeichnete und zugleich selber potenziell schon am Rande dieser Gemeinschaft stand.
Neben das heroische Individuum trat dabei in der Propaganda der Revolutionsregime die Gemeinschaft der brüderlich verbundenen Vaterlandsverteidiger, wobei die Gewalt nach innen und außen mehr denn je konstitutiv für die Bestimmung des Helden wurde. Der zum Modell stilisierte politische Held Napoleon, der neue und alte Heroismen (der soziale Aufsteiger und Kriegsheld, der Bezwinger von Natur und Geschichte, der mosesähnliche Gesetzgeber, der republikanische, dann imperiale roi connétable) amalgamierte, wirkte gerade deshalb suggestiv und polarisierend. Aus der Phase der Revolution und der Napoleonischen Herrschaft ging aber gerade kein einheitliches Heroismus-Modell hervor, sondern vielmehr eine starke Spannung zwischen universalistischem Anspruch und einem Spektrum je national konnotierter Held(inn)en (Lord Nelson, Königin Luise), die gerade im Kampf gegen Revolution und Napoleon Kontur und geschichtspolitische Präsenz gewannen.
Die besondere Qualität der Zeit um 1800 als krisenhafte Umbruchphase des Heroischen zeigt sich auch darin, dass in ganz unterschiedlichen Gesellschaften neue Heroismen entwickelt wurden: Neben dem Bonapartismus/Napoleonismus als politischem Heldennarrativ stand die Heldenverehrung republikanischer Präsidenten in den Vereinigten Staaten50 und die Ausdifferenzierung von National- und Volkshelden in Russland.51 Die gesellschaftlichen Transformationen dieser Epoche, das Ende der Ständegesellschaft und die Entstehung sozial definierter Klassen, spiegelten sich im Laufe des 19. Jhs. auch darin wider, dass heroische Qualitäten nun auch auf Vertreter neuer bürgerlicher Berufe wie Erfinder, Ingenieure und Wissenschaftler angewandt werden konnten und dabei soziale Grenzen infrage stellten. Noch stärker als im späteren 18. Jh. wurde im Zeitalter von Massenarmeen und Wehrpflicht dem ⟶‚gemeinen Soldat‘ und nicht mehr allein dem adligen Offizier öffentliche Aufmerksamkeit zuteil, so wie sich die soziale Reichweite des Heroischen allgemein auch auf die Arbeiterschicht auszuweiten begann.52 Im Zuge ideologischer Ausdifferenzierung wurden zumal politisch konnotierte Held(inn)en allerdings auch umkämpfter, weniger selbstverständlich, immer erklärungsbedürftiger, produzierten Held(inn)en immer öfter Gegenheld(inn)en. Eine Integrationswirkung mochte Revolutionshelden und Nationalheldinnen zugeschrieben werden, aber in der Dynamik ideologischer Auseinandersetzungen waren Heroisierungen seit 1789 und 1848 häufig eher Katalysatoren für politische-soziale Destabilisierungen und ideologische Fragmentierungen.
Wesentlich verändert wurde das Heldenbild des 19. Jhs. auch durch eine sich wandelnde Medienlandschaft, zu der Zeitschriften gehörten, die sich an ein Massenpublikum richteten. In England propagierten Publikumszeitschriften bspw. für Jugendliche weniger eine unkritische Verehrung von Held(inn)en als eine zur Nachahmung motivierende Bewunderung, die sich durchaus auch mit einer Kritik der transgressiven, gewaltsamen Züge des Heroischen verbinden konnte.53 Moralische Größe zählte am Ende mehr als die spektakuläre Tat. Die Betonung des moralischen Heldentums gegenüber dem Heldentum der Tat ließ auch Raum für weibliche heroische Lebensentwürfe. Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzepte wurden in Diskursen über das Heroische partiell neu ausgehandelt. Obwohl die traditionellen Heldenfiguren meist männlich waren, konnte das stillere weibliche Heldentum geradezu als überlegen dargestellt werden.54 Doch wurde mit einer solchen Akzentuierung das Transgressionspotenzial weiblicher Heldenfiguren auch bewusst eingehegt. Insgesamt wurden in den Zeitschriften der Held bzw. die Heldin als provokante Grenzgänger und Normverletzer eher ausgeblendet. An ihre Stelle trat der Held als vorbildlicher Normerfüller.
Allerdings verstärkte sich im 19. Jh., konfrontiert mit der Herausforderung einer zumindest weithin diagnostizierten und subjektiv erlebten Entzauberung und Rationalisierung, auch die Nachfrage nach außeralltäglichen Held(inn)en und ihren Taten. Die rege Konjunktur von neuen Heroisierungen und Klagen über ein angeblich heldenloses Zeitalter unterstrichen, dass auch im Zeichen von zunehmend medial integrierten Massengesellschaften der Bedarf an besonderen Identifikationsfiguren nicht abnahm – im Gegenteil. Gegen die Banalisierung des Heroischen setzte Richard Wagner ein ganzheitlich in der ⟶Oper und durch die Stimme inszeniertes Heldenbild.55 Prominent wandten sich gegen die ‚Trivialisierung‘ des Heroischen auch Thomas Carlyle56 und ⟶Friedrich Nietzsche57, der mit seiner Lehre vom ‚Übermenschen‘ einen wirkungsmächtigen Gegenentwurf schuf: Sein Konzept übertrug heroische Eigenschaften wie Selbstüberwindung, Disziplin oder Körperbeherrschung in einen heroischen Individualismus, löste sie aber als „Metaphysiksubstitut“ aus dem gesellschaftlichen und geschichtlichen Kontext.
Die neue Wissenschaft der Soziologie tat sich mit dem Exzeptionellen, dem Nicht-Regelhaften – und dazu gehörten auch die Figuren des Genies und des Helden – schwer und richtete sich in ihren Theorieentwürfen anstatt auf Ausnahmegestalten eher auf den „homme moyen“ (Quételet), gesellschaftliche Durchschnitte und Regelmäßigkeiten.58 Gleichwohl tauchten heroische Motive auch im soziologischen Diskurs auf, so in Auguste Comtes Selbststilisierungen59 oder Max Webers tragisch grundiertem Heroismus des Aushaltens in einer als ‚stahlhartes Gehäuse der Hörigkeit‘ gedeuteten Welt.60 Zudem entstand mit Webers ‚Charisma‘-Begriff eine neuartige Beschreibungs- und Analysekategorie des Heroischen, die eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Phänomen dokumentiert.61
Um 1914 formieren sich dann neue heroische Konzepte, sei es in der Ökonomie – etwa die Figur des Unternehmers bei Joseph A. Schumpeter – oder in der aus dem Kulturkrieg von 1914 hervorgegangenen Opposition von ‚Händlern und Helden‘62 bei Werner Sombart. Der Erste Weltkrieg bedeutete vor diesem Hintergrund eine tiefgreifende Krise des Heroischen. Der massenhafte Tod und die Realität des industrialisierten Krieges ließen überkommene Vorstellungen vom heroischen Krieger als Vaterlandsverteidiger nicht mehr zu, auch wenn lange tradierte Modelle des Heroischen immer wieder in Anschlag gebracht wurden.
Eine besondere Sehnsucht nach heroischen Figuren oder idolatrischen Inszenierungen des Heroischen findet sich zu Beginn des 20. Jhs. auch in literarischen Gruppen, paradigmatisch im George-Kreis.63 Hier wurde eine elitäre ‚Heldenerwartung‘ geweckt, die sich kritisch vom populären politischen Heldenkult des Wilhelminismus absetzte. Ohne das Heroische zu konkretisieren, wurde es im prophetischen Gestus als Zukunftsaufgabe beschworen. Der Heldendiskurs diente hier auch der Affirmation der Gruppenidentität und der selbstinszenierten Aufwertung des Kreises als einer dem Heroischen affinen Jüngerschaft. Der Akt des richtigen Erkennens von Größe wirkte auf den Kreis selbstheroisierend zurück. Der Verehrer wurde ohne eigene Tat mittels einer imitatio heroica zum ‚Haltungshelden‘.
Westeuropa, insbesondere aber Deutschland, erlebt nach dem Paroxysmus heroisch-kriegerischer Lebensentwürfe bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts ein weitgehend ‚postheroisches’ Zeitalter, wie vielfach hervorgehoben worden ist.64 Nach dem Anschlag auf die Charlie Hebdo-Redaktion im Januar 2015 in Paris postulierte der Berliner Bildwissenschaftler Horst Bredekamp jedoch das Ende der ‚postheroischen Gesellschaft‘: „Es gibt in Westeuropa wieder Opfer aus Überzeugung.“65 Selbst Herfried Münkler, der im deutschsprachigen Raum prominenteste Vertreter der Postheroismus-These, konstatierte, dass Terroristen „uns die Wiederaufnahme von Elementen des Heroischen auf[zwingen]“ und „die postheroische Gesellschaft […] ohne Rückgriff auf einen Restbestand des Heroischen nicht überlebensfähig“ sei.66 An dieser Debatte, die durch die Anschläge in Paris im November 2015 weiteren Auftrieb erhielt, wird exemplarisch erkennbar, wie die Auseinandersetzung um die Möglichkeit oder Notwendigkeit heldenhaften Verhaltens unmittelbar die sozialen und politischen Selbstdeutungen von Gesellschaften prägt.
So lässt sich neuerdings eine Renaissance von Heldenfiguren ausmachen. Heterogene und hybride Vorstellungen entstehen dabei aus vielfältigen Bedürfnissen und Rückgriffen auf traditionelle Heldenkonzepte, konkurrierende politische Instrumentalisierungen stehen neben kulturellen Unvereinbarkeiten. In aktuellen Diskussionen zeigt sich eine fortdauernde Skepsis, ein ‚antiheroischer Reflex’, ja eine Tabuisierung von Heldentum67 neben einem bleibenden, vielfach selbstverständlich tradierten und erfüllten Bedürfnis nach heroischen Figuren.68
In der Kreation ‚neuer Helden‘ – zwischen 9/1169, Sportevent70 und Ego-Shooter – dominieren aktuelle Bedürfnisse. Auch die derzeitigen öffentlichen und wissenschaftlichen Debatten um Held(inn)en prägt ein präsentistischer, d. h. auf die gegenwärtige Situation bezogener Blick. Die zeitgenössische Konjunktur des Heroischen zeigt sich auch in der Alltags- und Populärkultur.71 Im Alltag geht mit der inflationären Verwendung des Begriffs ‚Held‘ bzw. ‚Heldin‘ oft eine Banalisierung heroischer Modelle einher. So nutzt die Werbung heroische Semantiken zur Attraktion von Aufmerksamkeit, versuchen zivilgesellschaftliche Organisationen sozial erwünschte Verhaltensweisen aufzuwerten, indem sie exemplarische ‚Helden des Alltags‘ küren. Die Popularität von ⟶Superhelden-Figuren in Filmen, Comics und Computerspielen ist ungebrochen, wobei die Figuren fortwährend an gewandelte gesellschaftliche Rollenmodelle angepasst werden. Heldennarrative besitzen, selbst wenn sie oftmals ironisch gebrochen werden, weiterhin eine enorme Attraktionskraft.
Ein umfangreicher, systematisch gegliederter Bericht über Das Heroische in der neueren kulturhistorischen Forschung liegt seit 2015 auf der Online-Plattform H-Soz-Kult vor.72 Der Bericht wurde von Mitgliedern des Freiburger Sonderforschungsbereichs 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ verfasst und deckt den Zeitraum zwischen etwa 2003 und 2013/14 ab. Zudem publiziert der Sonderforschungsbereich seit 2015 eine annotiert Online-Bibliographie zur Heldenforschung.73 Nur summarisch hingewiesen sei auch auf die zahlreichen eigenen Publikationen des Sonderforschungsbereichs, die seit seiner Einrichtung an der Universität Freiburg im Jahr 2012 entstanden sind.74
Zu den bedeutenden, seit dem Abschluss des Forschungsberichts erschienenen oder dort noch nicht berücksichtigten Publikationen zählen Hans Blumenbergs postum publizierte Studie Präfiguration. Arbeit am politischen Mythos (2014)75 für die Frage nach der imitatio heroica und nach Wiederholungsstrukturen im Hinblick auf das Heroische sowie Veronika Zinks soziologische Dissertation Von der Verehrung (2014)76, die Relationen zwischen Held(inn)en und Anhänger(inne)n, Bewunderern und Verehrern differenziert. Ulrike Brunottes Monographie zu Helden des Todes (2015)77 mit Analysen zur „modernen Männlichkeit“, v. a. aber auch zum Märtyrertum, zum Selbstopfer und zu muslimisch geprägten Gesellschaften, behandelt das Relationengefüge von Held(inn)en und Gender. Ein 2017 erschienener, umfangreicher Sammelband widmet sich ‚Kulturheroen‘ wie Dichtern, Wissenschaftlern und Intellektuellen, denen eine kulturstiftende Rolle zugesprochen wird (Andronikashvili et al. 2017).78 Ein weiterer Band vereint systematische Überlegungen u. a. zur Gewalt, Sakralität und Widerständigkeit von Helden mit zahlreichen Fallstudien (Rolshoven et al. 2018).79 Einschlägig ist ebenfalls ein 2014 erschienener Sammelband zu Formen und Vorstellungen des christlichen Martyriums im Wandel (Blennemann/Herbers 2014; vgl. auch Bergjan/Näf 2014).80 Eine Arbeit zu visuellen und literarischen Männlichkeitsentwürfen nach 9/11 berührt dieses Thema ebenfalls (Tanrisever 2016).81 Postkoloniale Perspektiven akzentuieren mehrere neue Publikationen (u.a. Hirsbrunner 2012; Sèbe 2013 bspw. zu heroic imperialists).82
Als Kennzeichen aktueller Forschung zu Held(inn)en lässt sich konstatieren, dass der historisch bedingte Konstruktionscharakter des Heroischen, seine Funktionen im Rahmen der Verhandlung von Werten, vielfach im Spannungsfeld mit dem Religiösen, seine Integrations- und Mobilisierungsleistungen sowie seine Popularität und Bezüge zu Gender-Fragen wesentliche Forschungsfelder darstellen. Offensichtlich ist indes ein Mangel an Studien zur Sprengkraft des Heroischen, zur mit dem Heroischen verbundenen Verschärfung von Konflikten, der Polarisierung oder Abgrenzung, aber auch seiner unberechenbaren Eigendynamik. Zudem prägt die derzeitigen öffentlichen und wissenschaftlichen Debatten um Held(inn)en ein präsentistischer, d. h. auf die gegenwärtige Situation bezogener Blick. Analytisch reicht er oft nicht weiter zurück als in das 19. und frühe 20. Jh., als bestimmte heroische Figuren und Taten im Rahmen großer Ideologien wie des Nationalismus, Faschismus und Kommunismus instrumentalisiert wurden. Ein solcher Zugriff birgt die Gefahr der retrospektiven Kausalität, die zu stark vom Ergebnis her denkt. Auch verlangen Vielfalt und Individualisierungen der Erscheinungsformen des Heroischen nach umfassenden, überzeitlichen Erklärungen für Heldenvorstellungen. Der präsentistische Blick läuft, wo er Erklärungsversuche dominiert, zusammen mit dem Bedürfnis nach umfassender Erklärung aber Gefahr, die vielfältigen, konkurrierenden und zum Teil auch in sich gebrochenen Heldenkonzepte zu stark auszublenden, die vielfach auf weit älteren Traditionen und Transformationen beruhen. Longue durée-Studien stehen also in der neueren Forschung weiterhin im Schatten von Rezeptionsanalysen und Studien zu Einzelfiguren, die das Thema kaum theoretisch oder als historisch differenziertes Aneignungsphänomen angehen. Vor allem bedürfen theoretische Zugriffe, die vielfach (Ideal-)Typologien liefern oder exemplarisch fundiert sind, historischen Überprüfungen durch Einzelstudien zu unterschiedlichen Erfahrungsräumen und -zeiten, um langfristig eine zu einseitig europäische Perspektive zu vermeiden.
Die geisteswissenschaftliche Auseinandersetzung mit Heldenfiguren und dem Heroischen begann bereits im 19. Jahrhundert (Hegel 1835/1970; D’Anvers 1878; Hager 1887/88; Bethe 1891)83, das mit den Überlegungen z. B. Carlyles und Nietzsches wichtige Denkanstöße auch für die spätere Forschung lieferte. Die älteren umfassende Deutungen, die Helden – in der Nachfolge Carlyles oder Nietzsches – als kulturelle Grundphänomene unter religiösen, ethnologischen und/oder psychologischen Gesichtspunkten zu erklären suchen (wie z. B. Bloomhardt 1941; Hook 1943; Campbell 1949; Jung 1985)84, haben jedoch keine Fortführung gefunden und sind selbst Objekte wissenschaftlicher Forschung geworden (Momm 1986; Higgins 2003).85 Sie gelten heute als Zeichen brüchig gewordener Heldenkonzepte und eines ‚heroic revival‘, das Max Horkheimer als ‚Patentrezept‘ des krisengeschüttelten Kapitalismus der 1920er- und 30er-Jahre bezeichnete (Horkheimer 1934, zitiert nach Faber 1991/92)86, d. h. als Hinweise auf einen in dieser Epoche zu erkennenden grundlegenden Wandel.
Die bis heute entstandenen Forschungsarbeiten sind umfangreich und heterogen; sie entstammen vor allem der Altertumswissenschaft, der Geschichtswissenschaft sowie den Literatur- und Kunstwissenschaften und wurden durch soziologische, kultur- und medienwissenschaftliche Untersuchungen zunehmend ergänzt. Dominiert wird die Forschungslandschaft von einer kaum übersehbaren Fülle von Einzelstudien. Viele gelten einzelnen Heldenfiguren und ihren Gestaltungen, Aneignungen und Rezeptionen, besonders jenen der Antike (und hier vor allem Achilleus, Odysseus und Herakles), die zum festen Repertoire europäischer Heldenfiguren gehören und am Beginn der griechisch geprägten europäischen Literatur- und Kunst-, aber auch Religionsgeschichte stehen (s. u. a. Stanford 1964; King 1987; Riha/Zelle 1989; Kray/Oettermann 1994a/b; Latacz 1995; Andreae 1999; Brinkmann/Wünsche 2003; Barnouw 2004; Albertz 2006; Zimmermann 2004; Gehrke 2009).87 Da sich jede Gesellschaft, Kultur und Epoche diejenigen Held(inn)en schafft, die sie nötig hat (s. Faliu/Tourret 2007; Allison/Goethals 2010)88, liegen derartige Untersuchungen auch für Heldenfiguren späterer Epochen vor und akzentuieren hierbei vielfach deren Status als Identifikations- und Erinnerungsfiguren von nationaler Bedeutung (Nora 1984–1992; Makolkin 1992; Mosse 1993; Dörner 1996; Bell 2001; François/Schulze 2001; Hein-Kircher 2006; Gerwarth 2007; Riall 2007; Münkler 2009)89, gelegentlich auch in international vergleichender Perspektive (Flacke 2001; Boudrot 2001; Gerwarth 2009).90 Die Forschungen zu National- und Kriegshelden konzentrierten sich stark auf das 19. und 20. Jh.; besondere Beachtung haben im 20. Jh. Helden des Faschismus (Behrenbeck 1996; Baird 1990; Schilling 1999)91 und seines Widerstands (Meckl 2000)92 gefunden – neuerdings auch im Hinblick auf Opferdiskurse (Sabrow 2008; Stegmann 2010; Kaiser 2010)93. Untersucht wurde auch die visuelle Verstetigung national relevanter Heroisierungen in Denkmälern (Yarrington 1988; Koselleck/Jeismann 1994; Völcker 2000; Bemmann 2007; Schult 2009)94 und in der Historienmalerei (Hichberger 1985; Mai 1988, Kirchner 2001).95 Andere Studien widmen sich Diskursen des Heroischen in bestimmten Epochen oder Genres der europäischen Literatur (s. z. B. Hepp 1974; Folkenflik 1982; Duncan 1990; Disselkamp 2002; Plett 2002; Wein 2002; Reiling/Rohde 2011).96 Untersucht werden aber auch typologische Ausprägungen des Heroischen wie Antihelden (Thorslev 1962; Lubin 1968; Rollin 1973; Bernstein 1992; Plett 2002; Dallapiazza/Anichini/Bravi 2007)97 Genderaspekte des Heroischen werden seit den 1990er-Jahren häufig reflektiert, und zwar in Hinblick auf Männlichkeit ebenso wie in Bezug auf Vorstellungen weiblichen Heldentums (Larson 1995; Plume 1996; Lyons 1997; Götz 1999a/b; Foyster 1999; Böhm 2000, Hagemann 2002 und 2007; Rose 2002; Schilling 2002; Studt 2003; Kollmann 2004; Bohrer et al. 2009; Gerwarth 2009; Keller/Kragl 2010; van Marwyck 2010; Mennenga 2011)98 Zusammen mit Genderfragen gerät auch die Emotionalität und Affekthaftigkeit von Heldenfiguren stärker in den Blick (Scholz 2010; Immer/van Marwyck 2011)99, die sich z. B. in Phänomenen wie dem Heldentod (Koselleck 1998)100 oder der Märtyrergestalt als heroischer Figur (Burschel 2004; Freeman/Mayer 2007; Niewiadomski 2011) potenzieren.101
Insgesamt beschäftigten sich nur wenige Arbeiten mit elementaren Prozessen der Heroisierung und der Veränderung heroischer Konzepte. Für die Antike sind hier besonders Studien zur religiösen Dimension des Heldenkults zu nennen (Deoudi 1999; Boehringer 2001)102 sowie Studien zum Konzept des Heros selbst (z. B. Brelich 1958; Nagy 1991; Albersmeier 2009; Jones 2010).103 Zum Mittelalter und zum Übergang zur Renaissance liegen einige umfassende Arbeiten zu Heldenkonzepten vor (Burns/Reagan 1976; Cauchies/Small/Brown 2001)104; der Blick auf Veränderungen blieb aber auf einzelne Aspekte beschränkt, etwa den Übergang vom antiken Heros zum christlichen Helden sowie zu Märtyrern und Heiligen (s. Crouzet 1990; Müller/Wunderlich 1996; Freyburger 1997; Studt 2003; Freeman/Mayer 2007; Hammer/Seidl 2010).105 In der Forschung zur Frühen Neuzeit wurden vor allem ritterliche Ideale und ihre heroischen Implikationen untersucht (Adamson 1994; Anglo 1990; Braudy 2003, auch Wrede 2009).106 Für die späte Frühe Neuzeit rückten Herrscher als Helden und ihre imitatio heroica sowie deren mediale Inszenierung stärker in den Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses (Burke 1992; Cornette 1993; Sabatier 1999; Oredsson 1994; Heyde 1995; Goloubeva 2000).107 Solche heroischen Rollenmodelle wurden auch für die Antike bereits untersucht (Wrede 1981; Huttner 1997; Bergmann 1998)108, für spätere Epochen aber noch nicht vergleichend berücksichtigt. Eine stärkere Psychologisierung des kriegerischen Heldentums seit der zweiten Hälfte des 18. Jh.s glaubt Harari in einer provokanten Studie konstatieren zu können (Harari 2008)109, während Drévillon u. a. die Neudefinition eines heroischen Kriegertums im Adel im Zuge des Wachstums stehender Heere analysiert (Drévillon 2005).110 Eine den Revolutionshelden seit 1789 gewidmete Studie (Naumann 1984)111 beschreibt das späte 18. und frühe 19. Jh. als Epoche der Säkularisierung eines ursprünglich mythisch-sakral definierten Heldentums, ohne aber die religiösen Konnotationen von Heldentum in der vorangehenden Zeit oder die religiösen Instrumentalisierungen seit der Frühen Neuzeit einzubeziehen. In Hinblick auf langfristige Veränderungsprozesse in der Neuzeit wurden in erster Linie die im Rahmen europäischer Nationalismen entstehenden und konkurrierenden Nationalhelden untersucht. Der Wandel vom Konzept des Helden als großem ‚Täter‘ zu den grands hommes im 18. Jh. (s. Pigeaud/Barbe 1998; Ritter 2004)112 oder zum heroenhaften common man im 19. Jh. (Smith 2005; MacLeod 2007)113 wurde als Krise des Heroischen interpretiert. Überhaupt sind krisenhafte Momente des Heroischen für die Neuzeit anhand von Darstellungen in unterschiedlichen Medien nachgewiesen worden (Coenen-Mennemaier 1999; Kirchner 2001; Plett 2002; Herding 2004)114, ohne dass jedoch konkurrierende, gleichzeitige Affirmationen des Heroischen ausreichend gewürdigt worden sind. Die gegenseitige Konkurrenz rivalisierender Modelle ist von der Frühen Neuzeit bis heute aber ein offenbar zentrales Phänomen. Es erscheint in diesem Kontext als symptomatisch, dass Früchtl (2004)115 in einer philosophisch-kulturhistorischen Studie das Ich als ambivalenten Helden der Moderne bezeichnet, während Allison/Goethals (2010)116 sich der Konkurrenz und Vielfalt von Helden in einem psychologischen Zugriff nähern.
In einer vielfach neben der wissenschaftlichen Diskussion geführten Debatte um ‚Neue Helden‘ zwischen Tabuisierung und Akzeptanz trafen in Deutschland postheroische Ideale und der Glaubwürdigkeitsverlust militärischen Heldentums nach den beiden Weltkriegen auf neue Bedürfnisse nach Helden und Heldinnen (Körber-Stiftung 2008; Münkler 2006; Münkler 2009; Bohrer et al. 2009, Reemtsma 2009; Essig 2010; Klonovsky 2011, SZ für Kinder 2011; brand eins 2011).117 Aber auch in anderen Gesellschaften stehen individualistische Heldenkonzepte neben kollektiven, und private neben medial weit und in großer Vielfalt verbreiteten ‚Leitbildern‘ – bisweilen durchaus kulturell konkurrierend und sich widersprechend, wie in den unterschiedlich ideologisch geprägten Heroisierungen der Akteure des 11. September 2001 deutlich wird. Hier kommen auch moralische sowie identitäts- und kulturrelevante Implikationen ins Spiel, die nur schwer relativierbar sind (Mayeur-Jaouen 2002 [zum Nahen Osten]; Faliu/Tourret 2007; vgl. die Kontrastierung Zivilcourage – Heldentum, in Bohrer et al. 2009; Bultmann 2010).118 Zugleich erfuhr die konstante, aber in den vergangenen Jahren ebenfalls intensivierte Präsenz von Heldenfiguren in der populären Kultur – in Film, Literatur und Comic, aber auch den neuen digitalen Unterhaltungsmedien – verstärkte Beachtung (z. B. Colebatch 1990; Drucker 1994; Sparks 1996; Bongco 2000; Wrigley 2005, Landa 2007; Bohrmann 2009; Kainz 2009; Mittermayer 2009; Shimpach 2010; Heimerl/Feichtinger 2011; Imorde/Scheller 2011).119 Dass zugleich gerade antike Helden in neuen Überblickswerken und Ausstellungen wieder umfassend thematisiert wurden (Albersmeier 2009; Trofimova 2010)120 – einschließlich ihrer Tradierung und Umformung bis in die Moderne (Faliu/Tourret 2007; s. perpetuiert in der Website http://classes.bnf.fr/heros/index.htm)121 – zeigt, wie stark hierbei Rückbezüge auf eine historisch fundierte Identität wichtig zu sein scheinen (vgl. auch Ernstell 2009; Frankhäuser/Paas 2009).122
Sonderforschungsbereich 948: „Held“. In: Compendium heroicum. Hg. von Ronald G. Asch, Achim Aurnhammer, Georg Feitscher und Anna Schreurs-Morét, publiziert vom Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ der Universität Freiburg, Freiburg 01.02.2019. DOI: 10.6094/heroicum/hdd1.0