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Neun Helden

  • Version 1.0
  • publiziert am 3. Dezember 2020

1. Definition

Die Gruppe der Neun Guten Helden (frz. neuf preux) verbildlicht einen spätmittelalterlichen Kanon von Personen, die für ihre Tugendhaftigkeit und ihre heroischen Taten verehrt wurden. Zunächst nur als literarischer Topos vertreten, entwickelten sich die Neun Helden später ebenso zu einem kunstgeschichtlichen Motiv, das sich in unterschiedlichen ⟶medialen Ausprägungen wie der Malerei, Fresken, Tapisserien oder Skulptur wiederfindet, wobei Auswahl und Reihung keiner festgelegten Tradition folgen. In diesen Darstellungen werden die Neun Helden zu idealen Repräsentanten ritterlicher Tapferkeit erhoben, deren Ruhm und Vorbildlichkeit sich auf die auf dem Schlachtfeld geleisteten ⟶Heldentaten begründet. Die Verkörperung ritterlicher Vorbildfiguren hatte dabei nicht nur rein ⟶ästhetische oder repräsentative Funktionen, sondern verfolgte darüber hinaus appellative wie auch moralisierende Absichten.

Zu Beginn des 14. Jahrhunderts werden die Neun Helden erstmals als eine Liste der idealen Ritter aufgestellt. Diese Gruppe der ritterlichen Idealgestalten umfasste mit Hektor von Troja, Alexander dem Großen und Julius Caesar drei ⟶Helden der heidnischen Antike, mit Judas Makkabäus, König David und dem Propheten Josua drei Vertreter des Alten Testaments und mit König Artus, Karl dem Großen und Gottfried von Bouillon drei Figuren, die das Christentum repräsentierten. Die Neun Helden traten zu Beginn des 14. Jahrhunderts in Frankreich als Idealgestalten des Rittertums zuerst in der Literatur auf und gaben danach zu zahlreichen Darstellungen Anlass. Von Frankreich ausgehend fanden sie ihren bildlichen Niederschlag in Deutschland, Österreich, Italien, England und Dänemark.1Wyss, Robert: „Die neun Helden. Eine ikonographische Studie“. In: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 17 (1957), 73-106, 73. Den männlichen Neun Helden wurde als Pendant eine Gruppe von neun Frauen gegenübergestellt, die analog zu den Männern die Bezeichnung ⟶Neun Heldinnen (frz. neuf preuses) trägt.

Aus der triadischen Gliederung der Gruppe gemäß den drei Religionen spricht nach Höltgen „nicht nur die Vorliebe für Zahlenspiel und -symbolik, sondern auch die Gewohnheit der Weltchronisten, die Geschichte in Anlehnung an die Bibel in mehrere Weltzeitalter einzuteilen.“2Höltgen, Karl Josef: „Die ‚Nine Worthies‘“. In: Anglia – Zeitschrift für englische Philologie 77 (1959), 279-309, 280. Demnach vertreten die Neun Helden als besonders prägnante Personen die ganze den damaligen Europäern bekannte Welt. Sie decken eine Zeitspanne beginnend in der heidnischen Antike über die biblisch-jüdische Geschichte bis hin zur christlichen Gegenwart ab, in der die mittelalterlichen Ritter zu verorten sind. Die Dreiergruppen entsprechen damit auch der christlich-heilsgeschichtlichen Einteilung der Weltzeitalter in ante legem (vor dem Gesetz; von Adam bis Moses), sub lege (unter dem Gesetz; von Moses bis Christus) und sub gratia (unter der Gnade; seit der Erlösung durch Christus).3Diese Gliederung der Geschichte in drei Zeitabschnitte ist aus dem Brief des Apostels Paulus an die Römer abgeleitet, der diese Einteilung vornahm, als er schrieb: „Die Sünde soll nicht über euch herrschen; denn ihr steht nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade“ (Röm 6,14).

2. Der literarische Topos

2.1. Jacques de Longuyon: „Les vœux du paon“ (1312)

Erstmals treten die Neun Helden als Gruppe in dem auf 1312 datiertem Gedicht Les vœux du paon von Jacques de Longuyon auf.4So verweist auch Johan Huizinga im Klassiker der europäischen Historiographie Herbst des Mittelalters (1919) auf Jacques de Longuyons Les vœux du paon als erste Quelle des Neun Helden-Topos: „Ebenso untrennbar erweisen sich ritterliche und Renaissance-Elemente im Kult der neun Tapferen, ‚les neuf preux‘. Jene Gruppe von neun Helden, drei Heiden, drei Juden, drei Christen, stammt aus der Sphäre der Ritterepik; zuerst begegnet sie in den Vœux du paon des Jacques de Longuyon um 1312.“ Huizinga, Johan: Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden. 10. Auflage. Stuttgart 1969: Kroener, 92. Der Titel des Gedichtes verweist auf die Eide, die von Rittern zu Beginn des 14. Jahrhunderts abgelegt wurden. Die Berufung auf bestimmte Ideale und Vereinbarungen erfolgte in Form von Gelöbnissen, die im Namen bestimmter Vögel ausgesprochen wurden; so bezieht sich Longuyons Schrift auf einen Eid, der im Namen des Pfaus abgegeben wird.5Vgl. Geis, Walter: „Die Neun Guten Helden, der Kaiser und die Privilegien“. In: Geis, Walter / Krings, Ulrich (Hg.): Das gotische Rathaus und seine historische Umgebung. Köln 2000: J.P. Bachem, 387-413, 387. Im Auftrag des Bischofs von Lüttich schrieb Longuyon das auf die Taten Alexanders des Großen bezogene Versepos und transferierte durch den Titel des Werkes das Thema ins Höfische.6Vgl. Geis: „Die Neun Guten Helden“, 2000, 387. Das Handlungsgerüst der Romanze bildet der Kampf um die Stadt Epheson, die von dem Inderkönig Clarus belagert wird. Die Burgherrin Fesonas hatte ihm ihre Hand verweigert, daraufhin eilte Alexander zu ihr und bot Fesonas selbstlos seine Hilfe an. Die Strophen, die sich mit den Neun Helden befassen, bettet Longuyon in die Schilderung der entscheidenden Schlacht zwischen den indischen Belagerern und den Verteidigern Ephesons ein. Innerhalb des Gedichtes widmet Longuyon jedem Helden einen eigenen Vers und beschreibt darin seine wichtigsten Heldentaten.

So zeichnete sich Hektor besonders durch seine kämpferische Leistung während des trojanischen Krieges aus. Er führte die Amtsgeschäfte der Stadt und besiegte laut Longuyons Fassung neunzehn Könige sowie mehr als einhundert Feldherren und Grafen. Alexander der Große erfährt vor allem durch die Schilderung seines Sieges über Nikolaus, den persischen König Darius und die Eroberung Babylons seine Würdigung. Iulius Caesars Qualitäten als Feldherr und Eroberer Englands, Alexandriens, Afrikas, Arabiens, Syriens und Ägyptens, ebenso wie sein Sieg über Casibilanus und Pompeius, werden in dem französischen Gedicht gelobt. In der Gruppe der alttestamentlichen Helden tat sich Judas Makkabäus vor allem durch die Tötung von Apollonius, Antiochos und Nicanor hervor. Josua teilte durch sein frommes Gebet die Fluten des Jordans, wodurch eine Durchquerung des Flusses möglich wurde. Außerdem lobt der Dichter Josuas Sieg über die zwölf Könige. Als vorbildliche Tat Davids rühmt Longuyon dessen erfolgreichen Kampf gegen den Riesen Goliath. Unter den christlichen Helden tat sich König Artus als Herrscher Britanniens durch den Sieg gegen den Riesen Ruston hervor, dessen Gewand aus Bärten bezwungener Könige gefertigt war. Karl der Große zeichnete sich vor allem durch die erfolgreichen Schlachten in Frankreich, Spanien und dem Königreich Pavia aus. In Jerusalem soll er die Taufe und die heiligen Sakramente wiedereingeführt haben. Dem zeitlich jüngsten aus der Reihe der Helden, Gottfried von Bouillon, wird der Sieg über den Sultan Suleiman als hervorragende Tat angerechnet. Als dem Befreier der Stadt Jerusalem wird seiner Krönung zum König im letzten Vers gebührend gedacht.

Gleichermaßen muss auch der von Longuyon getroffenen Anordnung und Auswahl der einzelnen Helden besondere Beachtung zukommen. So lässt sich die Gruppe, angefangen von den antiken Helden Hektor, Alexander und Caesar; über die alttestamentlichen Helden Josua, David und Judas Makkabäus; bis zu den christlichen Helden Artus, Karl der Große und Gottfried von Bouillon auch in einen zeitlichen Zusammenhang einordnen. Wie in einer Chronik der Weltgeschichte werden herausragende Persönlichkeiten und Taten für die Nachwelt festgehalten. Dementsprechend stehen die Neun Helden für historische Zeitabschnitte, die durch ihre Taten maßgeblich geprägt wurden. Jeder einzelne der Helden bildet in dieser Hinsicht eine wichtige Zäsur innerhalb der Geschichte. Dabei wird die Geschichte von der Antike, angefangen mit Hektors Kampf um Troja, bis in die damalige jüngste Vergangenheit mit dem Kreuzzug Bouillons abgedeckt.7Bereits Horst Schroeder hat in seinen Ausführungen zum Topos der Nine Worthies in Literatur und bildender Kunst (1971) auf diese Bedeutung der Neun Helden im Hinblick eines summarischen Abrisses der Weltgeschichte hingewiesen. Vgl. Schroeder, Horst: Der Topos der Nine Worthies in Literatur und bildender Kunst. Göttingen 1971: Vandenhoeck & Ruprecht, 49. Laut Karl Josef Höltgen (1959) entspricht dies „(…) dem personalen Charakter mittelalterlicher Historiographie, Geschichte nicht als objektiven Geschehnisverlauf, sondern als Taten und Schicksale hervorragender Persönlichkeiten darzustellen.“ Als Beispiele nennt Höltgen „Weltchroniken und Annalen, die häufig mit Adam beginnen und einzelne Zeitabschnitte durch einen oder mehrere Namen markieren (…).“ Höltgen: „Die ‚Nine Worthies‘“, 1959, 280.

2.2. Jan van Boendales „Leken Spieghel“ (1325–1333)

Dem Heldenkanon Longuyons folgend verfasste der niederländische Schriftsteller Jan van Boendale zwischen 1325 und 1333 den Leken Spieghel (niederländisch: Laienspiegel). In enzyklopädischer Form sammelte Boendale Wissen, das für ein moralisches und vorbildhaftes Leben notwendig war. In seinem Volksbuch ist die Geschichte der Neun Helden in eine bei Adam und Eva beginnende Erzählung eingebettet. Es folgen die Geschichte des Alten Bundes und des Lebens Jesu Christi. Nach der römischen und christlichen Geschichte endet die Erzählung mit der Wiederkunft Christi auf Erden und den Erwartungen an den Beginn seines tausend Jahre währenden Reiches. Im Anschluss folgt eine Sittenlehre, „in welcher der Dichter die Fürsten zu einer Politik ermahnt, die dem Gemeinwohl dient, in der die Eltern zu gründlicher Unterweisung der Kinder ermuntert, die Prasser zur Mäßigung und die Dichter zur Wahrung der Moral aufgefordert werden“.8Geis: „Die Neun Guten Helden“, 2000, 388.

Für die nachfolgende Betrachtung der Neun Guten Helden im Hansasaal in Köln ist Boendales Werk deshalb von Bedeutung, weil nur sehr wenige literarische Zeugnisse des Neun Helden-Topos in Deutschland bekannt sind.9Vgl. Schroeder: Der Topos der Nine Worthies, 1971, 79. Ein niederdeutsches Gedicht, das einer Ubi sunt Formel entspricht, erzählt vom Tod der einzelnen Neun Helden und verweist auf ihre irdische Vergänglichkeit. Vom Ruhm der Helden und ihren tapferen Taten wird in dem Ende des 14. Jahrhunderts verfassten Gedicht jedoch nicht erzählt. Der zweite bekannte Text trägt den Titel Von den weltlichen herren. Es stammt aus der Zeit um 1400 und findet sich in der Kolmarer Liederhandschrift.10Schroeder: Der Topos der Nine Worthies, 1971, 79. Darin fragt der Dichter nach den bedeutendsten unter den weltlichen Herrschern, den Neun Helden.

Die niederländische Literatur zu den Neun Helden ist deutlich umfangreicher als die deutsche. Niederländische Dichtungen fanden ihren Weg nach Köln, wo sie aufgrund der sprachlichen Nähe (und im Gegensatz zu den französischen Texten) auch verstanden werden konnten. Da die beiden genannten deutschen Textquellen erst um 1400 niedergeschrieben wurden, die Kölner Darstellung der Neun Guten Helden jedoch früher zu datieren ist, kann davon ausgegangen werden, dass den Auftraggebern fremdsprachige Quellen bekannt waren. Eine Auftraggabe ohne Kenntnis der literarischen Quellen ist höchst unwahrscheinlich, denn Longuyon definierte mit seinem Les vœux du paon erst den klassischen Kanon der Neun Helden. Der Autor des Leken Spieghel bedauert zwar, dass Caesar anstelle von Kaiser Augustus in die Gruppe der antiken Helden aufgenommen wurde, traut sich jedoch nicht, sich über Longuyons etablierten Kanon hinwegzusetzen und die Gruppe nach seinen Wünschen zu verändern. Dies verdeutlicht, dass Longuyons Kanon der Neun Helden „sich unmittelbar nach seinem Erscheinen bereits zu einer literarischen Konstante verfestigt hat.“11Schroeder: Der Topos der Nine Worthies, 1971, 80.

3. Fallbeispiel: Die „Neun Guten Helden“ im Hansasaal in Köln

Als ein markantes Beispiel für die Rezeption der Neun Helden in Deutschland sowie die Übernahme des Topos in die Bildenden Künste soll im Folgenden auf die Darstellung der Neun Guten Helden im Hansasaal des Kölner Rathauses eingegangen werden (Abb. 1). Die Heldenmonumente wurden dort im 14. Jahrhundert als Gruppe ritterlicher Idealgestalten aufgestellt und gelten damit als eines der frühesten Zeugnisse innerhalb der Bildhauerkunst.12Die Datierung der Skulpturen der Neun Guten Helden ist in der Forschungsliteratur umstritten. Bergmann / Lauer datieren die Figuren aufgrund stilistischer Parallelen zu einem Fund von Skulpturenfragmenten aus dem Kölner Domchor auf eine Zeit um 1310. Vgl. Bergmann, Ulrike / Lauer, Rolf: „Die Domplastik und die Kölner Skulpturen“. In: Bergmann, Ulrike / Legner, Anton (Hg.): Verschwundenes Inventarium. Der Skulpturenfund im Kölner Domchor: Köln 1984: Schnütgen-Museum, 40-41. Dieser Entstehungszeitraum dürfte jedoch als zu früh angesetzt sein. Geis setzt die Datierung in seiner ausführlichen Untersuchung mit überzeugenden Argumenten in die Zeit um 1320/30. Geis: „Die Neun Guten Helden“, 2000, 400-401. Allein der Verweis auf Jacques de Longuyons Les vœux du paon spricht gegen die frühe Datierung von Bergmann / Lauer, da Longuyon das Gedicht erst um 1312 niederschrieb. Zudem war es in französischer Sprache verfasst. Erst mit Jan van Boendales Leken Spieghel liegt eine literarische Vorlage in einer Sprache vor, die von den Kölnern auch verstanden wurde. Aus der weiten Verbreitung des Buches lässt sich vermuten, dass es dem Kölner Publikum auch bekannt war. Setzt man diese beiden literarischen Quellen als Grundlage für die Skulpturengruppe voraus, ist eine Datierung erst nach 1312 beziehungsweise nach der Entstehung des Leken Spieghel zwischen 1325 und 1333 anzusetzen. Die Verbreitung des Topos wird hierin modellhaft veranschaulicht, zudem markiert die Aufstellung der Heldengruppe innerhalb des Rathausbaus den Übergang des Themas von der ritterlich-höfischen Welt in den bürgerlich-städtischen Bereich. Als exempla einer gerechten Regierung innerhalb eines öffentlichen Verwaltungsgebäudes fordern sie das betrachtende Publikum auf, sich stets für eine Form der guten Regierung einzusetzen. Im Zentrum des hier behandelten Beispiels steht die künstlerische Ausgestaltung der Heldenmonumente, wobei der Kontext des historischen Aufstellungsortes und die gesellschaftlichen Rahmenbedingen zu berücksichtigen sind.

Die „Neun Guten Helden“ im Hansasaal des Kölner Rathauses
Die „Neun Guten Helden“
Die „Neun Guten Helden“
Die „Neun Guten Helden“
im Hansasaal des Kölner Rathauses (Gesamtansicht), 14. Jahrhundert.
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Foto von Raimond Spekking, 2020 (via Wikimedia Commons)

Die „Neun Guten Helden“
im Hansasaal des Kölner Rathauses (Gesamtansicht), 14. Jahrhundert.
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3.1. Hansasaal

Mit einer Länge von 29 m und einer Breite von 7,25 m, überdeckt von einem 9,70 m hohen spitzbogigen Tonnengewölbe aus Holz, bildet der Hansasaal das Herzstück des gesamten Rathauskomplexes.13Vgl. Mühlberg, Fried: „Bau- und Kunstgeschichte des alten Rathauses zu Köln“. In: Fuchs, Peter (Hg.): Das Rathaus zu Köln. Berichte und Bilder vom Haus der Bürger in Vergangenheit und Gegenwart. Köln 1973: Greven, 77-106, 78. Der ursprünglich als ‚Langer Saal‘ bezeichnete Raum wurde im 18. Jahrhundert zum ‚Hanseatischen Saal‘ umbenannt, woraus sich schließlich die heutige Bezeichnung ‚Hansasaal‘ ableitete. Hier sollen im Jahr 1367 die Hansestädte getagt und die Kölner Konföderation als Bündnis im Krieg gegen Dänemark gegründet haben.14Vgl. Mühlberg: „Bau- und Kunstgeschichte“, 1973, 78. Die Funktion des Hansasaales war vielfältig, er diente als Versammlungsort für die Zusammenkünfte verschiedener Gremien und als Gerichtssaal des Rates, darüber hinaus kam ihm eine repräsentative Funktion zu. Vor allem die Verleihung von Stadtrechten trug dazu bei, dass sich das Rathaus zu einem der wichtigsten Profanbauten entwickelte, in welchem sich ein wachsendes Selbstverständnis des Bürgertums widerspiegelte. Das Kölner Rathaus gehört hierbei nicht nur zu den ältesten im deutschen Raum, sondern kann sogar als das älteste in Deutschland bekannte Rathaus bezeichnet werden.15Vgl. Leiverkus, Yvonne: Köln. Bilder einer spätmittelalterlichen Stadt. Köln / Weimar / Wien 2005: Böhlau, 122. Leiverkus weist darauf hin, dass das Kölner Rathaus bereits in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts erwähnt wird. Das Rathaus steht auf einem geschichtsträchtigen Platz der Stadt, denn es befand sich an diesem Ort während der römischen Herrschaft das Praetorium. Vgl. Rauch, Ivo / Täube, Dagmar / Westermann-Angerhausen, Hiltrud (Hg.): Die gute Regierung. Vorbilder der Politik im Mittelalter. Köln 2001: Schnütgen-Museum, 7. Eine genaue Bestimmung der Bauzeit kann nicht erfolgen, doch ist der Zeitraum der Errichtung des Saales auf das frühe 14. Jahrhundert anzusetzen. Spätestens jedoch im Jahr 1341, als festgelegt wurde, dass der Stadtschreiber „under der burgere huis“ wohnen sollte, müssen die Bauarbeiten weitestgehend abgeschlossen gewesen sein.16Vgl. Bellot, Christoph: „Zur Geschichte und Baugeschichte des Kölner Rathauses bis ins ausgehende 14. Jahrhundert“. In: Geis, Walter / Krings, Ulrich (Hg.): Das gotische Rathaus und seine historische Umgebung. Köln 2000: J.P. Bachem, 197-335, 247.

Der tonnenüberwölbte Saal nimmt das gesamte Obergeschoss des ursprünglichen Rathausbaus ein; er befindet sich im zweiten Stockwerk des quergelagerten mittelalterlichen Kernbaus und ist in der Westansicht zu einem guten Drittel hinter der Renaissancehalle verborgen.17Vgl. Hagendorf-Nußbaum, Lucia / Nußbaum, Norbert: „Der Hansasaal“. In: Geis, Walter / Krings, Ulrich (Hg.): Das gotische Rathaus und seine historische Umgebung. Köln 2000: J.P. Bachem, 337-386. An der Nordwand des Saales befindet sich eine formenreich ausgestaltete Blendmaßfiguration (Abb. 2). An der gegenüberliegenden Südwand des Hansasaales präsentieren sich die Skulpturen der Neun Helden in gotischem Fialwerk (Abb. 3). Die aus Stein gefertigten Skulpturen der Neun Guten Helden stehen in einer dichten Reihe, der horizontalen Mittellinie der Südwand leicht nach unten versetzt, auf übereck gestellten Postamenten. Über den fialbekrönten Baldachinen, welche die einzelnen Heldenmonumente umfangen, befinden sich am spitz zulaufenden Ende des Bogenfeldes die wesentlich kleineren Skulpturen des Kaisers und die Personifikationen des Stapel- und Befestigungsrechtes.

3.2. Die Skulpturen der „Neun Guten Helden“

In Anbetracht der literarischen Vorlage von Jacques de Longuyon in seinem Gedicht Les vœux du paon stellt sich die Frage nach der plastischen Umsetzung eines literarischen Werkes zur aus Stein gefertigten Skulptur. Longuyon berichtet zwar eingehend über die ruhmreichen Taten der Neun Helden, liefert jedoch keine nähere Beschreibung ihrer ⟶körperlichen Erscheinung oder Attribute. Allerdings werden die Helden durch ihre in den Versen berichteten Kämpfe als Krieger charakterisiert, was eine Darstellung von waffentragenden Figuren in Rüstung nahelegt. Die aus Stein gefertigten, rund 185 cm hohen Skulpturen der Neun Helden sind in einer Reihe auf übereck gestellten viereckigen Konsolen jeweils unter einem achteckigen Baldachin positioniert.18Die genannten Größenangaben der Monumente beziehen sich auf die Angaben von Fried Mühlberg. Mühlberg: „Bau- und Kunstgeschichte“, 1973, 78. Sie stehen in ruhiger Haltung mit beiden Beinen auf kleinen Erdhügeln und ihre Fußspitzen zeigen nach außen. Die Helden sind mit zeitgemäßen, ritterlichen Waffenröcken und schützenden Kettenstrümpfen bekleidet. Vier der dargestellten Helden tragen über dem Waffenrock einen vor der Brust geschlossenen Umhang, der hinter den Ellbogen zurückgeführt ist, damit der restliche Körper und die Waffen sichtbar bleiben. Jeder der neun Helden ist zusätzlich mit einem um die Hüfte gelegten Lendengürtel ausgestattet, der als Aufhängung des Schwertes dient. Zusätzlich ist jeder Figur ein Schild beigegeben, der sich an der linken Körperseite befindet. Die Gesichter der Helden tragen keine individuellen Züge und haben somit keinen porträthaften Charakter. Auch hinsichtlich des Alters lassen sich keine markanten Unterschiede zwischen den einzelnen Figuren feststellen.

Ihre Positionierung an der Südseite des Hansasaales schließt eine allumsichtige Betrachtung aus, ihre Frontalansicht ist folglich als Hauptansichtsseite konzipiert. Von links nach rechts stehen die drei Christen Karl der Große, König Artus und Gottfried von Bouillon (Abb. 4), die drei alttestamentlichen Helden Josua, David, und Judas Makkabäus (Abb. 5) und die drei heidnischen Helden Caesar, Hektor und Alexander der Große (Abb. 6).

Aufgrund der einheitlichen ritterlichen Kleidung mit Waffenrock sind zwischen den einzelnen Helden keine markanten Unterschiede festzumachen. Doch kann anhand der Gesichter eine Aufteilung in Triaden nach der Religionszugehörigkeit erfolgen: Die christlichen Helden unterscheiden sich von den jüdischen und heidnischen Dreiergruppen durch ihre glattrasierten Gesichter, während Juden und Heiden einen Vollbart tragen. Die jüdische Dreiergruppe wiederum unterscheidet sich von den übrigen durch die hohen spitzen Helme, „die an die typischen Judenhütchen erinnern, womit im Mittelalter das alttestamentliche Volk stets charakterisiert wurde.“19Wyss: „Die neun Helden“, 1957, 86. Hinsichtlich der ursprünglichen Farbigkeit der Skulpturen ist zu bemerken, dass nicht nur Bart und Haupthaar vergoldet waren, wie es Wyss (1957) beschrieben hat.20Wyss: „Die neun Helden“, 1957, 86. Durch die Vorkriegsreinigung der Figuren des Hansasaales ist die leuchtende Farbigkeit der Statuen bekannt: „Sie waren rot, blau und grün bemalt, Waffenschmuck, Haupthaar und Bärte in Gold gehalten.“21Mühlberg: „Bau- und Kunstgeschichte“, 1973, 79.

Eine zentrale Position in der Mitte der Figurengruppe nimmt David ein (Abb. 7). Seine frontale Stellung des Körpers und die besondere Aktivität heben ihn innerhalb der Reihe der Helden besonders hervor. Mit der linken Hand stützt er sich auf seinem Schild ab, während er mit einer weit ausholenden Bewegung sein Schwert schon fast in ganzer Länge aus der Scheide gezogen hat. Die unerschrockene Kampfbereitschaft unterscheidet die Figur des Davids deutlich von Josua, der sich links von ihm befindet (Abb. 8). Josua trägt zwar bereits die zum Schutz dienenden Handschuhe, doch hängt sein Schwert noch in der Scheide am Gürtel, der an seiner Hüfte locker befestigt ist. Josuas rechter Arm ist angewinkelt und mit der linken Hand hält er entspannt den Schild. Seine Hüfte ist leicht nach rechts verlagert, was dazu führt, dass die Figur sich mit ihrem Oberkörper nahezu an der linken Seite der Nischenwand anlehnt. Der Kopf ist dabei leicht nach links gewendet und der Blick auf einen Punkt in weiter Ferne gerichtet. Beim dritten der jüdischen Helden, Judas Makkabäus, liegt eine weitere Variation der kampfbereiten Haltung vor (Abb. 9). Mit der linken Hand greift Judas an den Griff des Schwertes, das jedoch noch vollständig in der Scheide steckt. Als einziger unter den neun Helden trägt er den oben abgerundeten dreieckigen Schild erhoben vor der linken Seite seines Körpers. Die rechte Hand ist an sein rechtes Ohr gelegt, der Kopf dabei leicht nach rechts geneigt. Der Blick der Figur ist nach oben gerichtet, als erwarte sie eine Entscheidung aus göttlicher Höhe.

In der Gruppe der Heiden (Abb. 10), die in der Reihe rechts neben der Gruppe der Juden steht, ist es allein Alexander der Große, der im Begriff ist, seine Waffe zu greifen. Seine linke Hand hält die Scheide, aus der er mit der rechten Hand bereits beginnt, sein Schwert zu ziehen. Zusätzlich zur einheitlich gestalteten ritterlichen Kleidung der übrigen Helden trägt die Figur einen Brustpanzer mit Gorgonenhäuptern. Diese sind als Zeichen Alexanders für bereits erfolgreich geschlagene Schlachten zu betrachten. Auf dem Kopf, der leicht nach rechts unten geneigt ist, trägt die Skulptur Alexanders einen Turban. Neben Alexander dem Großen steht Hektor von Troja (Abb. 11). Der Körper der Skulptur ist leicht nach links gedreht, die rechte Hand befindet sich auf Höhe der Hüfte, während die andere locker auf dem Schild abgelegt ist. Um den nach links gewendeten Kopf Hektors ist ebenfalls ein Tuch geschlungen. Ähnlich wie Josua blickt Hektor auf einen in der Ferne liegenden Punkt. Die siebte Figur in der Reihe der Neun Guten Helden stellt den römischen Herrscher Caesar dar (Abb. 12). Als Insignien seiner Macht trägt er eine Krone mit blattförmigen Spitzen und hält in seiner rechten Hand ein Zepter, das ihn eindeutig als Herrscherpersönlichkeit auszeichnet. Die linke Hand hält derweil den, wie auch bei den übrigen Helden auf der linken Seite befindlichen, Schild. Sein Blick ist, gleich dem von Josua und Hektor, abwartend in die Ferne gerichtet.

In der Gruppe der christlichen Helden (Abb. 13) steht Karl der Große als erster der Reihe links am Rand der Südwand des Hansasaales. Sein rechter Arm ist in mahnender Geste erhoben, während die linke Hand den Schild hält. Wie Caesar trägt auch Karl der Große eine Krone auf dem Kopf. An zweiter Position in der Reihe der Helden steht König Artus, dessen linke Hand gerade den Griff seines Schwertes umschließt. Mit der rechten Hand greift er sich an den Kopf, auf dem er eine zweiblättrige Krone trägt (Abb. 14). Sein Kopf neigt sich dabei ein wenig nach rechts, was als Geste der Nachdenklichkeit aufgefasst werden kann. Rechts neben Artus und zur Linken Josuas befindet sich Gottfried von Bouillon (Abb. 15). Zu seinen Füßen liegt ein Hund als treuer Weggefährte des Helden und kaut versonnen an einem Knochen. Gottfrieds linke Hand hält, wie bei der Mehrzahl der übrigen Helden, den schützenden Schild. In seiner rechten Hand hält Gottfried das Schwert kampfbereit empor.

3.3. Die „Neun Guten Helden“ als Vermittler einer guten Politik

Das skulpturale Standbild besitzt gegenüber Malereien und Tapisserien als plastische Ausgestaltung des Helden eine Medialität, der besondere Aufmerksamkeit zukommen muss. ‚Heldische‘ Materialien wie Bronze und Stein verdeutlichen den Ewigkeitsanspruch der geleisteten Heldentat und prägen durch ihre auf Dauer angelegte Präsenz die Vorstellungen der Betrachter über einen langen Zeitraum hinweg. Der Aufwand zur Fertigung eines aus Stein gefertigten Monuments, wie im Fall der Kölner Neun Guten Helden, entspricht dem Gedanken des Heroischen durch seinen Aufwand in Planung und Ausführung in besonderem Maße. Die Materialität des Steines symbolisiert Festigkeit, Unveränderlichkeit und Dauerhaftigkeit. Diese Symbolkraft des Materials lässt sich dabei auch auf das politische Programm der Ratsherren übertragen: Die Gesetze, die im Hansasaal erlassen werden, stehen in der Tradition der Neun Helden, die durch ihre vorbildhaften Taten als Vermittler einer guten Politik mahnend über die Ratssitzungen wachen. Durch ein Hinaufsehen zu den Heldenmonumenten werden die Betrachter stets daran erinnert, ihrem beispielhaften Handeln zu folgen.

Die Neun Guten Helden standen nicht nur für ritterliche Ideale wie Mut und Kampfbereitschaft, sondern versinnbildlichen auch eine gute Politik. Folglich sind drei der Helden – Josua, Caesar, Hektor – derart gestaltet, dass ihr Blick in die Ferne schweift. Sie drücken Nachdenklichkeit und Besonnenheit aus und erinnern daran, dass erst durch reifliche Überlegung eine gute Entscheidung zu treffen sei. Weitere drei Figuren – Karl der Große, Artus, Judas – scheinen auf eine Eingebung zu hoffen. Sie warnen vor übereilt gefällten Entscheidungen und mahnen zu einer gründlichen Abwägung. Gerade Judas Makkabäus mit seinem nach oben gerichteten Blick und seiner Hand am Ohr scheint dabei auch auf göttlichen Ratschlag zu warten. Die übrigen drei Helden – Gottfried von Bouillon, König David, Alexander der Große – zeigen sich kampfbereit mit gezückten Schwertern. Sie symbolisieren Durchsetzungswillen und die Kraft, politische Entscheidungen auf eine konsequente Art und Weise durchzusetzen und getroffene Vereinbarungen mutig zu verteidigen.

Durch die gestalterische Zuspitzung zu überlebensgroßen Monumenten und der Platzierung im öffentlich-politischen Raum des Hansasaales wird die Heldengruppe in besonderem Maße in der mittelalterlichen Gesellschaft verankert. So versinnbildlichen die Helden in Köln nicht nur tugendhafte Idealgestalten, sondern treten „in den Bereich der Gerechtigkeit und werden zu Assistenzfiguren des Gerichtes und der Richter, die über Recht und Unrecht des Volkes ihr Urteil fällen“.22Wyss: „Die neun Helden“, 1957, 87. In dieser Funktion avancieren sie zu vorbildhaften Charakteren für jeden einzelnen Bürger Kölns, der sein Leben innerhalb der Gesellschaft durch die Achtung der Gesetze und Rechte auszugestalten hat. Der Wirkungskreis der Heldenstatuen begrenzt sich also nicht nur auf die Ratsherren, sondern überträgt sich darüber hinaus auf sämtliche Bürger der Stadt. Jeder einzelne der Neun Guten Helden verweist auf die vorbildhaften Tugenden des gründlichen Überlegens, der Besonnenheit und der Durchsetzungskraft – Tugenden von zeitloser Kontinuität und Aktualität, an die durch die Betrachtung der Skulpturen immer wieder neu erinnert wird (siehe z. B. Abb. 16).

Bundeskanzlerin Angela Merkel besichtigt die „Neun Guten Helden“
Bundeskanzlerin Angela Merkel besichtigt die „Neun Guten Helden“
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Foto von Raimond Spekking, 2019 (via Wikimedia Commons)

Bundeskanzlerin Angela Merkel besichtigt die „Neun Guten Helden“
Quelle: Foto von Raimond Spekking, 2019 (via Wikimedia Commons)

4. Forschungsstand

Wyss (1957) hat in seinem Artikel Die Neun Helden: eine ikonographische Studie in der Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte das Thema der Neun Helden und ihre bildlichen Darstellungen untersucht.23Wyss: „Die neun Helden“, 1957. Er leitet seine Ausführungen mit einer Betrachtung der literarischen Quellen ein, dabei stehen besonders Jacques de Longuyons Les vœux du paon (1312) und weitere französische Schriftquellen im Zentrum. Wyss arbeitet die besondere Verehrung der Neun Helden in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts am burgundischen Hof heraus. Nach den ikonographischen Erläuterungen zu ausgewählten Werken der Helden im französischen und deutschen Kulturbereich konzentriert sich Wyss auf Darstellungen der Neun Helden in der Schweiz, die im 15. Jahrhundert zum ersten Mal in Erscheinung treten. Ziel von Wyss’ Arbeit ist es, die literarischen und bildlichen Quellen der schweizerischen Darstellungen nachzuvollziehen und die Zusammenhänge mit den ausländischen Parallelerscheinungen zu untersuchen.

Schroeder (1971) hat in seiner Arbeit Der Topos der Nine Worthies in Literatur und bildender Kunst den Versuch unternommen, den Topos der Neun Helden umfassend zu dokumentieren und verschiedene Erklärungsansätze zu seinen Ursprüngen und seiner Verbreitung zu beleuchten.24Schroeder: Der Topos der Nine Worthies, 1971. Er widerlegt die umstrittene Behauptung, dass der Topos der Neun Helden walisischen Triaden entstammt, um sich anschließend eingehend mit Jacques de Longuyons Alexanderromanze Les vœux du paon als Ausgangspunkt des Neun Helden-Topos zu beschäftigen.25Schroeder folgt in seinen Ausführungen den Bemerkungen von Paul Meyer, der bereits 1883 Longuyons Gedicht als Ursprung des Neun Helden-Topos bezeichnete. Meyer, Paul: „Les neuf preux“. In: Bulletin de la Société des anciens textes français 9 (1883), 45-54. Schroeder kann anhand einer Zusammenstellung über die Verbreitung des Topos in der europäischen Literatur und den Bildkünsten überzeugend darlegen, dass die Verbreitung der untersuchten Thematik nicht nur auf geographischer, sondern ebenso auf gattungsbezogener Ebene stattfand. So tauchte der Topos nicht nur in der Literatur, sondern auch in Gobelinkunst, Wand- und Glasmalerei, Bildhauerkunst, Heraldik und in Holz- und Metallschnitt als bildliches Thema auf. Ferner hat sich Schroeder auch mit den Zusatzbildungen zum Neun Helden-Topos, den Neun Heldinnen und der Figur des zehnten Helden, auseinandergesetzt.26Die Vertreterinnen der Neun Heldinnen, darunter Penthesilea, Tomyris und Semiramis, gehören alle der griechischen Sagenwelt an, stehen aber nicht wie die männlichen drei Triaden für drei verschiedene Religionen. Einzelne Heldinnen entstammen aus Amazonenvölkern, haben ihre Tapferkeit und Kampfbereitschaft folglich in einer Vielzahl von Schlachten bewiesen. Dennoch sehen sowohl Huizinga als auch Wyss nicht die heldenhaften Taten der Amazonen als Ursprung der weiblichen Heldengruppe, sondern vielmehr im mittelalterlichen Bedürfnis nach Symmetrie. Dieses erforderte eine Gegenüberstellung der Neun Heldinnen und der Neun Helden in Form eines weiblichen Gegenstückes. Huizinga: Herbst des Mittelalters, 1969, 92. Wyss: „Die neun Helden“, 1957, 104. Für eine ausführliche Betrachtung der Neun Heldinnen: Sedlacek, Ingrid: Die Neuf Preuses. Heldinnen des Spätmittelalters. Marburg 1997: Jonas.

Eine genauere Betrachtung der Neun Guten Helden des Kölner Hansasaales wurde von Geis (2000) im Sammelband Köln: Das gotische Rathaus und seine historische Umgebung geleistet.27Geis: „Die Neun Guten Helden“, 2000. Wie bereits bei Wyss und Schroeder gründen sich die Ausführungen von Geis auf Longuyons Versepos, woran er eine Analyse der plastischen Umsetzung der literarischen Vorlage anschließt. Geis beschäftigt sich nicht nur mit der Ausgestaltung und Bekleidung der Neun Helden, sondern auch mit möglichen Inspirationsquellen für die Skulpturen. Einen weiteren wichtigen Schwerpunkt in Geis’ Auseinandersetzung mit den Neun Helden bildet ihre Funktion als Identifizierungsmodell für die Ratsherren des Kölner Rathauses.

Die jüngere Forschung zum Thema der Neun Helden von Andrey Egorov (2018) konzentriert sich vor allem auf die Symbolik und Funktion der Figurengruppe.28Egorov, Andrey: „Charismatic Rulers in Civic Guise: Images of the Nine Worthies in Northern European Town Halls of the 14th–16th Centuries“. In: Bedos-Rezak, Brigitte Miriam / Rust, Martha Dana (Hg.): Faces of Charisma. Image, Text, Object in Byzantium and the Medieval West. Leiden / Boston 2018: Brill, 205-239. Trotz einsetzender Säkularisierung waren die Abbilder christlicher Figuren präsent und sollten gerechtes Verhalten bewirken. Egorov zeigt in seiner ausführlichen Studie anhand ausgesuchter Beispiele in den Rathäusern Köln, Mechelen und Lüneburg, dass die Aufgabe der Neun Helden als Vorbilder einer guten Regierung vor allem darin bestand, die bürgerlichen Ratsherren zu einem ebenso exemplarischen Handeln zu motivieren: „Prefiguring one another as types and antitypes, the Nine Worthies are meant to embody the most prominent and glorious wordly recipients of the gifts of grace in each successive period – as such, of course, they are charismatic figures in a literal sense.“29Egorov: „Charismatic Rulers in Civic Guise“, 2018, 211. Dabei hinterfragt Egorov auch die Auswahl der entsprechenden Figuren und diskutiert die These einer ihnen innewohnenden überwältigenden charismatischen Strahlkraft, die sich auch auf ihre Betrachter übertragen sollte.30Egorov: „Charismatic Rulers in Civic Guise“, 2018, 210.

5. Einzelnachweise

  • 1
    Wyss, Robert: „Die neun Helden. Eine ikonographische Studie“. In: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 17 (1957), 73-106, 73.
  • 2
    Höltgen, Karl Josef: „Die ‚Nine Worthies‘“. In: Anglia – Zeitschrift für englische Philologie 77 (1959), 279-309, 280.
  • 3
    Diese Gliederung der Geschichte in drei Zeitabschnitte ist aus dem Brief des Apostels Paulus an die Römer abgeleitet, der diese Einteilung vornahm, als er schrieb: „Die Sünde soll nicht über euch herrschen; denn ihr steht nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade“ (Röm 6,14).
  • 4
    So verweist auch Johan Huizinga im Klassiker der europäischen Historiographie Herbst des Mittelalters (1919) auf Jacques de Longuyons Les vœux du paon als erste Quelle des Neun Helden-Topos: „Ebenso untrennbar erweisen sich ritterliche und Renaissance-Elemente im Kult der neun Tapferen, ‚les neuf preux‘. Jene Gruppe von neun Helden, drei Heiden, drei Juden, drei Christen, stammt aus der Sphäre der Ritterepik; zuerst begegnet sie in den Vœux du paon des Jacques de Longuyon um 1312.“ Huizinga, Johan: Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden. 10. Auflage. Stuttgart 1969: Kroener, 92.
  • 5
    Vgl. Geis, Walter: „Die Neun Guten Helden, der Kaiser und die Privilegien“. In: Geis, Walter / Krings, Ulrich (Hg.): Das gotische Rathaus und seine historische Umgebung. Köln 2000: J.P. Bachem, 387-413, 387.
  • 6
    Vgl. Geis: „Die Neun Guten Helden“, 2000, 387.
  • 7
    Bereits Horst Schroeder hat in seinen Ausführungen zum Topos der Nine Worthies in Literatur und bildender Kunst (1971) auf diese Bedeutung der Neun Helden im Hinblick eines summarischen Abrisses der Weltgeschichte hingewiesen. Vgl. Schroeder, Horst: Der Topos der Nine Worthies in Literatur und bildender Kunst. Göttingen 1971: Vandenhoeck & Ruprecht, 49. Laut Karl Josef Höltgen (1959) entspricht dies „(…) dem personalen Charakter mittelalterlicher Historiographie, Geschichte nicht als objektiven Geschehnisverlauf, sondern als Taten und Schicksale hervorragender Persönlichkeiten darzustellen.“ Als Beispiele nennt Höltgen „Weltchroniken und Annalen, die häufig mit Adam beginnen und einzelne Zeitabschnitte durch einen oder mehrere Namen markieren (…).“ Höltgen: „Die ‚Nine Worthies‘“, 1959, 280.
  • 8
    Geis: „Die Neun Guten Helden“, 2000, 388.
  • 9
    Vgl. Schroeder: Der Topos der Nine Worthies, 1971, 79.
  • 10
    Schroeder: Der Topos der Nine Worthies, 1971, 79.
  • 11
    Schroeder: Der Topos der Nine Worthies, 1971, 80.
  • 12
    Die Datierung der Skulpturen der Neun Guten Helden ist in der Forschungsliteratur umstritten. Bergmann / Lauer datieren die Figuren aufgrund stilistischer Parallelen zu einem Fund von Skulpturenfragmenten aus dem Kölner Domchor auf eine Zeit um 1310. Vgl. Bergmann, Ulrike / Lauer, Rolf: „Die Domplastik und die Kölner Skulpturen“. In: Bergmann, Ulrike / Legner, Anton (Hg.): Verschwundenes Inventarium. Der Skulpturenfund im Kölner Domchor: Köln 1984: Schnütgen-Museum, 40-41. Dieser Entstehungszeitraum dürfte jedoch als zu früh angesetzt sein. Geis setzt die Datierung in seiner ausführlichen Untersuchung mit überzeugenden Argumenten in die Zeit um 1320/30. Geis: „Die Neun Guten Helden“, 2000, 400-401. Allein der Verweis auf Jacques de Longuyons Les vœux du paon spricht gegen die frühe Datierung von Bergmann / Lauer, da Longuyon das Gedicht erst um 1312 niederschrieb. Zudem war es in französischer Sprache verfasst. Erst mit Jan van Boendales Leken Spieghel liegt eine literarische Vorlage in einer Sprache vor, die von den Kölnern auch verstanden wurde. Aus der weiten Verbreitung des Buches lässt sich vermuten, dass es dem Kölner Publikum auch bekannt war. Setzt man diese beiden literarischen Quellen als Grundlage für die Skulpturengruppe voraus, ist eine Datierung erst nach 1312 beziehungsweise nach der Entstehung des Leken Spieghel zwischen 1325 und 1333 anzusetzen.
  • 13
    Vgl. Mühlberg, Fried: „Bau- und Kunstgeschichte des alten Rathauses zu Köln“. In: Fuchs, Peter (Hg.): Das Rathaus zu Köln. Berichte und Bilder vom Haus der Bürger in Vergangenheit und Gegenwart. Köln 1973: Greven, 77-106, 78.
  • 14
    Vgl. Mühlberg: „Bau- und Kunstgeschichte“, 1973, 78.
  • 15
    Vgl. Leiverkus, Yvonne: Köln. Bilder einer spätmittelalterlichen Stadt. Köln / Weimar / Wien 2005: Böhlau, 122. Leiverkus weist darauf hin, dass das Kölner Rathaus bereits in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts erwähnt wird. Das Rathaus steht auf einem geschichtsträchtigen Platz der Stadt, denn es befand sich an diesem Ort während der römischen Herrschaft das Praetorium. Vgl. Rauch, Ivo / Täube, Dagmar / Westermann-Angerhausen, Hiltrud (Hg.): Die gute Regierung. Vorbilder der Politik im Mittelalter. Köln 2001: Schnütgen-Museum, 7.
  • 16
    Vgl. Bellot, Christoph: „Zur Geschichte und Baugeschichte des Kölner Rathauses bis ins ausgehende 14. Jahrhundert“. In: Geis, Walter / Krings, Ulrich (Hg.): Das gotische Rathaus und seine historische Umgebung. Köln 2000: J.P. Bachem, 197-335, 247.
  • 17
    Vgl. Hagendorf-Nußbaum, Lucia / Nußbaum, Norbert: „Der Hansasaal“. In: Geis, Walter / Krings, Ulrich (Hg.): Das gotische Rathaus und seine historische Umgebung. Köln 2000: J.P. Bachem, 337-386.
  • 18
    Die genannten Größenangaben der Monumente beziehen sich auf die Angaben von Fried Mühlberg. Mühlberg: „Bau- und Kunstgeschichte“, 1973, 78.
  • 19
    Wyss: „Die neun Helden“, 1957, 86.
  • 20
    Wyss: „Die neun Helden“, 1957, 86.
  • 21
    Mühlberg: „Bau- und Kunstgeschichte“, 1973, 79.
  • 22
    Wyss: „Die neun Helden“, 1957, 87.
  • 23
    Wyss: „Die neun Helden“, 1957.
  • 24
    Schroeder: Der Topos der Nine Worthies, 1971.
  • 25
    Schroeder folgt in seinen Ausführungen den Bemerkungen von Paul Meyer, der bereits 1883 Longuyons Gedicht als Ursprung des Neun Helden-Topos bezeichnete. Meyer, Paul: „Les neuf preux“. In: Bulletin de la Société des anciens textes français 9 (1883), 45-54.
  • 26
    Die Vertreterinnen der Neun Heldinnen, darunter Penthesilea, Tomyris und Semiramis, gehören alle der griechischen Sagenwelt an, stehen aber nicht wie die männlichen drei Triaden für drei verschiedene Religionen. Einzelne Heldinnen entstammen aus Amazonenvölkern, haben ihre Tapferkeit und Kampfbereitschaft folglich in einer Vielzahl von Schlachten bewiesen. Dennoch sehen sowohl Huizinga als auch Wyss nicht die heldenhaften Taten der Amazonen als Ursprung der weiblichen Heldengruppe, sondern vielmehr im mittelalterlichen Bedürfnis nach Symmetrie. Dieses erforderte eine Gegenüberstellung der Neun Heldinnen und der Neun Helden in Form eines weiblichen Gegenstückes. Huizinga: Herbst des Mittelalters, 1969, 92. Wyss: „Die neun Helden“, 1957, 104. Für eine ausführliche Betrachtung der Neun Heldinnen: Sedlacek, Ingrid: Die Neuf Preuses. Heldinnen des Spätmittelalters. Marburg 1997: Jonas.
  • 27
    Geis: „Die Neun Guten Helden“, 2000.
  • 28
    Egorov, Andrey: „Charismatic Rulers in Civic Guise: Images of the Nine Worthies in Northern European Town Halls of the 14th–16th Centuries“. In: Bedos-Rezak, Brigitte Miriam / Rust, Martha Dana (Hg.): Faces of Charisma. Image, Text, Object in Byzantium and the Medieval West. Leiden / Boston 2018: Brill, 205-239.
  • 29
    Egorov: „Charismatic Rulers in Civic Guise“, 2018, 211.
  • 30
    Egorov: „Charismatic Rulers in Civic Guise“, 2018, 210.

6. Ausgewählte Literatur

  • Bellot, Christoph: „Zur Geschichte und Baugeschichte des Kölner Rathauses bis ins ausgehende 14. Jahrhundert“. In: Geis, Walter / Krings, Ulrich (Hg.): Das gotische Rathaus und seine historische Umgebung. Köln 2000: J.P. Bachem, 197-335.
  • Bergmann, Ulrike / Lauer, Rolf: „Die Domplastik und die Kölner Skulpturen“. In: Bergmann, Ulrike / Legner, Anton (Hg.): Verschwundenes Inventarium. Der Skulpturenfund im Kölner Domchor. Köln 1984: Schnütgen-Museum.
  • Egorov, Andrey: „Charismatic Rulers in Civic Guise: Images of the Nine Worthies in Northern European Town Halls of the 14th–16th Centuries“. In: Bedos-Rezak, Brigitte Miriam / Rust, Martha Dana (Hg.): Faces of Charisma: Image, Text, Object in Byzantium and the Medieval West. Leiden / Boston 2018: Brill, 205-239.
  • Geis, Walter: „Die Neun Guten Helden, der Kaiser und die Privilegien“. In: Geis, Walter / Krings, Ulrich (Hg.): Das gotische Rathaus und seine historische Umgebung. Köln 2000: J.P. Bachem, 387-413.
  • Hagendorf-Nußbaum, Lucia / Nußbaum, Norbert: „Der Hansasaal“. In: Geis, Walter / Krings, Ulrich (Hg.): Das gotische Rathaus und seine historische Umgebung. Köln 2000: J.P. Bachem, 337-386.
  • Höltgen, Karl Josef: „Die ‚Nine Worthies‘“. In: Anglia – Zeitschrift für englische Philologie 77 (1959), 279-309.
  • Huizinga, Johan: Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden. 10. Auflage. Stuttgart 1969: Kroener.
  • Leiverkus, Yvonne: Köln. Bilder einer spätmittelalterlichen Stadt. Köln / Weimar / Wien 2005: Böhlau.
  • Meyer, Paul: „Les neuf preux“. In: Bulletin de la Société des anciens textes français 9 (1883), 45-54.
  • Mühlberg, Fried: „Bau- und Kunstgeschichte des alten Rathauses zu Köln“. In: Fuchs, Peter (Hg.): Das Rathaus zu Köln. Berichte und Bilder vom Haus der Bürger in Vergangenheit und Gegenwart. Köln 1973: Greven, 77-106.
  • Mühlberg, Fried: „Bau- und Kunstgeschichte des alten Rathauses zu Köln“. In: Fuchs, Peter (Hg.): Das Rathaus zu Köln. Berichte und Bilder vom Haus der Bürger in Vergangenheit und Gegenwart. Köln 1973: Greven, 77-106.
  • Schroeder, Horst: Der Topos der Nine Worthies in Literatur und bildender Kunst. Göttingen 1971: Vandenhoeck & Ruprecht.
  • Sedlacek, Ingrid: Die Neuf Preuses. Heldinnen des Spätmittelalters. Marburg 1997: Jonas.
  • Wyss, Robert: „Die neun Helden. Eine ikonographische Studie“. In: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 17 (1957), 73-106.

7. Abbildungsnachweise

Zitierweise

Jennifer Krieger: Neun Helden. In: Compendium heroicum. Hg. von Ronald G. Asch, Achim Aurnhammer, Georg Feitscher und Anna Schreurs-Morét, publiziert vom Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ der Universität Freiburg, Freiburg 03.12.2020. DOI: 10.6094/heroicum/nghd1.0.20201203