Hinweis: Dieser Beitrag ist ‚work in progress‘, denn er behandelt ein Thema, das aktuell im Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ intensiv untersucht wird.
Heroische Figuren und ihre Publika konstituieren sich wechselseitig (siehe ⟶Held, ⟶Konstitutionsprozesse heroischer Figuren). Eine Gemeinschaft lädt eine heroische Figur durch Zuschreibungen auf (siehe ⟶Heroisierung) und verleiht ihr dadurch jene für das Heroische konstitutive ⟶Attraktionskraft, die sie selbst auszustrahlen scheint; umgekehrt kann die Heldenfigur auf die Gesellschaft zurückwirken, die Aushandlung von Normen fördern, soziale Relationen stabilisieren, in Frage stellen oder neue stiften. Diese wechselseitigen Konstitutions- und Resonanzprozesse implizieren diskursive und semiotische Vorgänge wie solche der Legitimierung, Selbstversicherung oder Normendebatten (vgl. auch ⟶Propaganda). Zu ihnen gehören ebenso emotionale und physisch-somatische Reaktionen, es wird Aufmerksamkeit erzeugt, Stimmungen oder kollektive Gefühlslagen werden evoziert wie etwa Spannung, Staunen, Bewunderung oder Verehrung – aber auch Ablehnung oder Empörung (siehe auch ⟶Verrat).1 Gerade solche emotional-physischen Reaktionen sind für Heroisierungen und das Verhältnis heroischer Figuren zu ihren Publika charakteristisch.
Die Prozesse und Relationen, die in diesem Sinne zwischen heroischen Figuren und sozialen Formationen zu beobachten sind, nennen wir Affizierung.2 Sie vollziehen sich in sozio-materiellen Konstellationen von Personen, Dingen und Räumen auf der einen Seite und Ausdrucksformen, Diskursen und Konventionen auf der anderen, die als „affective arrangement[s]“ bezeichnet werden.3 Heroische Figuren gibt es nicht, ohne dass über sie berichtet und kommuniziert wird (siehe ⟶Medialität). Entsprechend werden Heroisierungen und heroische Figuren in sinnlich wahrgenommenen, performativen bzw. medialisierten Darstellungen formiert und wirksam (vgl. ⟶Gattungen). Diese sind grundsätzlich mit Ästhetiken verbunden. Unter Ästhetiken verstehen wir im Rückgriff auf die Grundbedeutung von griech. aisthesis, also als ‚Aisthetik‘, das Relationsgeflecht sinnlich wahrnehmbarer Formen der Darstellung mit ihrer Wahrnehmung und Wirkung, welche nicht allein auf Prozessen rationaler Bewertung oder diskursiver Praxis, sondern bspw. auch auf Präsenzeffekten beruhen.4 Heroischen Figuren ist ein „ästhetischer Konstruktionscharakter“5 eigen, der ganz besonders darauf angelegt ist, affektive Reaktionen zu evozieren. Als Sozialfiguren werden in ihnen zudem ‚brennende‘ Themen der jeweiligen Gegenwartsgesellschaft verhandelt.6 Beides – die ästhetischen Darstellungsformen wie auch der enge Bezug zu jeweiligen Gegenwarten – generiert das besondere Affizierungspotenzial heroischer Figuren.
Mit Affizierungsästhetiken des Heroischen sind folglich die Gefüge medialer Bedingungen, formaler Qualitäten und Ausdrucksformen von Darstellungen des Heroischen, ihrer Rezeption bzw. Wirkung auf Einzelne und Gruppen und den damit verbundenen gesellschaftlichen Beziehungen und Wandlungsprozessen gemeint. Sie kommen in „affektiven Arrangements“ zum Tragen. Dynamiken von Affizierungsästhetiken des Heroischen zu untersuchen, erlaubt es, wechselseitige Prägungen von Ästhetiken und sozialen Formationen besser zu verstehen.
In den Feldern des Sozialen, Politischen und Ökonomischen gewinnen Ästhetisierungen und damit verbundene Affektwirkungen gegenwärtig in sehr unterschiedlicher Weise an Bedeutung.7 In den Kulturwissenschaften spricht man von einem aesthetic turn, der eine neue Hinwendung zur Untersuchung sinnlicher Effekte als Faktoren der Kommunikation zum Ausdruck bringt.8 Die Erforschung von Ästhetiken und Affekten werden dabei bisweilen verbunden, so in den Sozialwissenschaften9, aber auch in den Bild- und Filmwissenschaften.10 Räume werden als ästhetisch gestaltet und dadurch emotional wirkend und affizierend untersucht.11 Die Emotionsgeschichte ist ein eigener kulturhistorischer Forschungszweig12, für die Literaturwissenschaft wurde das Feld der Emotionsforschung in einem eigenen Handbuch umrissen.13 Des Weiteren liegen allgemeine Ansätze der Ästhetik und Emotionsforschung vor.14
Enge Bezüge zur Affizierungskraft des Heroischen weisen Studien zu Wunder, Bewunderung und Staunen auf.15 In der Kunstgeschichte wurden aktuell Ethiken des Sehens und der Aufmerksamkeit analysiert.16 Damit verbunden ist auch das Erhabene, das als eine affektästhetische Kategorie oft mit ähnlichen Begriffen wie das Heroische beschrieben wird.17 Seine Verbindung mit der Wirkung von Natur kann mit Heroischem gekoppelt sein (‚heroische Landschaft‘)18; es manifestiert sich auch im Konzept ‚heroischer Musik‘.19 Die Affizierungskraft von Narrativen, die für das Heroische konstitutiv sind, u. a. über die Erzeugung von Spannung, wird derzeit in der Münchner DFG-Forschungsgruppe „Philologie des Abenteuers“ (FOR 2568) untersucht. Auch die bisher wenigen Arbeiten zu Ästhetik und Heroismus sind anschlussfähig.20
Bisherige Forschungen untersuchen einerseits die appellativen und affizierenden Effekte heroischer Figuren und richten andererseits mehrheitlich den Blick auf Semantiken und Diskurse. Aufbauend darauf ermöglicht es die Untersuchung von Affizierungsästhetiken des Heroischen, das Relationengeflecht von Heroisierungen, Ästhetiken und Sozialem zu analysieren. Ästhetiken heroischer Figuren können bspw. nicht diskursivierte kollektive Gestimmtheiten von Gemeinschaften zum Ausdruck bringen (structures of feeling).21 Über die Untersuchung ästhetischer Arrangements heroischer Figuren lassen sich Affektordnungen und -hierarchien in ihrer sozialen Bedeutung bestimmen.22 Da Helden polarisieren, als figurativer Fokus von Gemeinschaften affizieren und als Sozialfiguren soziale Topoi zugleich indizieren, tragen sie zum Erklärungspotenzial affizierender Ästhetiken für gesellschaftliche Aushandlungsprozesse bei.
Der Sonderforschungsbereich 948 untersucht heroische Affizierungsästhetiken in folgenden Arbeitsbereichen (Einträge folgen / in Arbeit):
Andreas Gelz / Barbara Korte / Stefanie Lethbridge / Stefan Tilg / Ralf von den Hoff / Tobias Schlechtriemen / Achim Aurnhammer / Thomas Seedorf / Anne Hemkendreis / Morten Grage: „Affizierungsästhetiken“. In: Compendium heroicum. Hg. von Ronald G. Asch, Achim Aurnhammer, Georg Feitscher und Anna Schreurs-Morét, publiziert vom Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ der Universität Freiburg, Freiburg 18.11.2020. DOI: 10.6094/heroicum/aaed1.0.20201118
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DOI | 10.6094/heroicum/aaed1.0.20201118 |
Schlagworte (DNB/GND) | Affektivität, Ästhetik, Held, Heroisierung, Heldenverehrung, Medien, Gemeinschaft, Sozialer Prozess |
Karlsruher Virtueller Katalog (KVK) | Affektivität, Ästhetik, Held, Heroisierung, Heldenverehrung, Medien, Gemeinschaft, Sozialer Prozess |
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