Sakralisierung ist ein mit ⟶Heroisierungen vergleichbarer Prozess der Auszeichnung, der Sakralität als Zuschreibungskategorie des Außeralltäglichen hervorbringt. Als ‚sakral‘ kann man in wissenschaftstheoretischem Sinne dabei zunächst das bezeichnen, was von Menschen dem Göttlichen bzw. dem Menschen selbst nicht verfügbaren Mächten zugeordnet und so als ‚geheiligt‘ aus dem Feld des Materiell-Physischen ausgegrenzt und mit etwas Außerweltlichem verbunden wird.1 Zu den Prozessen der Sakralisierung zählen beispielsweise Divinisierung und Relationierung zum Göttlichen, durch die Figuren wie Märtyrer und Heilige konstituiert werden. Es handelt sich also um eine Form der Überhöhung, Ehrerweisung und Auszeichnung, die Exemplarität bzw. Vorbildhaftigkeit markiert und Bewunderung oder Verehrung hervorbringt, ohne dass der Begriff ⟶‚Held‘ ins Spiel kommt.2
Die Beziehungen zwischen Sakralisierungen und Heroisierungen sind eng, gleichwohl nicht eindeutig: Zwar sind religiös fundierte Ausnahmefiguren wie Heilige, Propheten oder Märtyrer ohne heroische Konturen und Konnotationen wohl kaum erklärbar. Dies bedeutet aber umgekehrt nicht, dass jeder Held eo ipso auch eine sakral konnotierte Figur sein muss, jeder sakral ausgezeichnete König auch ein Held.3 Art und Dichte des Verhältnisses sind vielmehr individuell, aber auch epochal und kulturell sowie religiös zu differenzieren. Die Relationen erreichen über Epochengrenzen hinweg aber eine Qualität, die sie als relevanten Beobachtungsfilter für eine größere Anzahl von Erscheinungsformen des Heroischen empfiehlt.
Das Denken der griechischen Antike bleibt von beständiger Bedeutung zumindest für europäisch geprägte Heldenvorstellungen. Für dieses Denken ist der Doppelcharakter von Heroen als episch-heldenhaft und als religiös grundlegend: Sie waren vielfach Kultempfänger und damit Teil der sakralen Sphäre. Aber bereits das ⟶homerische Epos nennt sämtliche Figuren einer als groß angesehenen mythischen Vergangenheit ebenfalls Heroen. Beide Kategorien wurden oft getrennt, waren begrifflich und konzeptionell, konnten aber vor allem in Heroisierungsprozessen auch wechselseitig überblendet werden. Entsprechend offen sind deshalb manche Übergänge vom Heroischen zum Göttlichen, vom Heldenhaften zum Sakralen.4 Die Spätantike scheint zumindest Europa einen Traditionsstrang hinterlassen zu haben, in dem sich Konzepte des Heiligen mit denen des Heroischen nachhaltig verbanden – wenn auch mit unübersehbaren, substantiellen Brechungen und Transformationen, insbesondere im Blick auf Status und Rolle der Gewalt und des Opfers und ebenso auf das Verhältnis zum nachantiken, zumeist nicht mehr polytheistisch definierten Göttlichen.5 So gewinnt nicht nur die Diskussion um Märtyrer6 als Helden gerade heute wieder neues Gewicht, und zwar auch dezidiert jenseits der Grenzen des christlich geprägten kulturellen und gesellschaftlichen Raums.7 Durch die christliche Prägung einer Vielzahl kultureller Phänomene vor allem Europas wird dieser Traditionsstrang seit dem Mittelalter nicht nur über die Figuren der Heiligen und Märtyrer, sondern auch über die der Könige und Herrscher fortgeführt, die heroenhaften Status, aber auch Sakralität zugesprochen bekommen können.8 Gerade in diesem Kontext haben Symbolsprachen des Heroischen, des Sakralen und der Macht manches gemein. Erinnert sei an den ‚Glanz‘ als Qualität außeralltäglicher Figuren. Bis in die Neuzeit werden sie daher in wechselseitiger Überlagerung, aber auch Aktivierung und Deaktivierung älterer und neuerer Kategorien auf überhöhte Figuren der Gegenwart und Geschichte angewandt.9 Auch die Sakralisierung der Nation und die Nationalisierung des Religiösen sind im 19. und 20. Jahrhundert ohne Heroisierungen nicht vorstellbar.10
Das Heroische und das Sakrale weisen in ihrem Charakter als Symbolisierungen und Diskursfelder des Außerordentlichen, in ihrer Phänomenologie, auffällige Ähnlichkeiten auf.11 Dies zeigt allein schon der Zugriff auf das Phänomen des Sakralen, der die Arbeit der DFG-Forschergruppe 1533 „Sakralität und Sakralisierung in Mittelalter und Früher Neuzeit“ an der Universität Erlangen zwischen 2011 und 2017 prägte.12 Sie nahm – wie der SFB 948 im Hinblick auf das Heroische – Abstand von einer a priori definitorisch festgelegten Bestimmung des Sakralen, um sich auf Prozesse der Sakralisierung zu konzentrieren und damit deren Dynamik in den Blick zu nehmen. Sie verstand Sakralisierungen als Prozesse der Grenzmarkierung und -aushandlung, in denen wie im Falle von Heroisierungen und ⟶Heroismen die Medien und Formen der Vermittlung, die Sprachen und Ausdrucksformen, aber auch die Unschärfen ihrer Bedeutungen und Definitionen relevant werden.13 Ergänzen lässt sich, dass auch die affektive Kraft des Heroischen, das Erstaunen und Faszination hervorruft, Nähe und Distanz evoziert, grundsätzlich dem Sakralen verwandt zu sein scheint, zumindest in der Beschreibung seiner Wirkung zwischen tremendum und fascinans durch R. Otto – auch wenn dies weder das Sakrale umfänglich, noch analytisch ausreichend präzise definiert.14
In diachroner Perspektive zeigt sich, dass die Etablierung monotheistischer Religionen seit der Spätantike vielfach eine Trennung ihrer Helden von den Heroen der Antike mit sich brachte. Sakrale Qualitäten, die antike Heroen im Polytheismus ebenso wie Helden der hinduistischen Tradition besaßen, mussten in monotheistischen Religionen in anderer Weise definiert werden, da der antike fließende Übergang zum Divinen so nicht mehr denkbar war.15
Deutlich wird aber auch, dass Märtyrer, christliche Heilige, jüdische und hinduistische Helden und im Islam heroisierte Figuren wie Heroen „offene“ Figuren sind, deren Bedeutung diachronen Transformationen ausgesetzt ist.16 Auch sie werden besser erklärbar, wenn die auf sie bezogenen Zuschreibungsprozesse als Formen der Heroisierung untersucht werden – vor allem, weil dadurch Zuschreibungen von Außerordentlichkeit besser vergleichbar werden, die außerhalb des Religiösen liegen und nicht allein im Kontext religiöser Diskurse in den Blick genommen werden können. Die Frage nach Sakralisierungen als besonderen oder gesteigerten Formen der Heroisierung bringt aber auch zusätzliche Facetten in den Diskurs über das Heroische ein. Held(inn)en werden vor allem in bestimmten historischen Zusammenhängen sakralisiert, vor allem dann, wenn religiös fundierte Symbolsprachen eine hohe Akzeptanz bzw. Legitimationskraft versprechen. Offenbar hängt dies damit zusammen, in welchen Kontexten und Epochen welche Formen der Zuschreibung von Außeralltäglichkeit wirksamer, überzeugender und anschlussfähiger für gesellschaftliche und politische Diskurse waren.
Zu fragen ist, welche besondere Steigerung von Heroisierungen sich durch religiös-sakralisierte Symbolsprachen ergeben. Fallstudien zum 17. Jahrhundert, aber vor allem der Blick auf die Entwicklungen seit dem späten 18. Jahrhundert legen nahe, dass sich aus der Sakralisierung eigene Projektionsflächen für die Manifestation göttlichen Willens und die Vergegenwärtigung von Providenz und Prädestination, von Opfer, Buße und Erlösung ableiten und auf heroische Figuren übertragen lassen.17 Dieser Aspekt, der sich im langen 19. Jahrhundert vor allem in der Autosakralisierung der Nation im Krieg umsetzte, ist in seiner sinnstiftenden Funktion kaum zu überschätzen. Religiöse Codierungen boten ein schier unerschöpfliches Reservoir an Interpretamenten, Motiven und Topoi an, um Heroisierungen suggestiv und „stark“ zu kommunizieren. Diese Funktion wurde ganz besonders dort deutlich, wo sich wie in Frankreich seit der Revolution die Sakralisierung der monarchischen Zentralfigur von den ursprünglichen heilsgeschichtlichen Erlösungsinhalten abgetrennt hatte, und sich die religiöse Formensprache immer mehr auf einen politischen Erlösungsrahmen der Revolution, der Republik und der Nation übertrug.18 In Napoleon wurde das semantische Potenzial der Schnittmenge von kriegerischer Heroisierung, Nation und Religion besonders deutlich und zugleich widersprüchlich. Es vermittelte das Bild einer gleichsam permanenten Umbruchsgeschichte, die immer neue Erlösungsversprechen hervorbrachte, deren relative Dauer sich aber immer mehr verkürzte.19
Gerade auf der Ebene der Geschichts- und Erinnerungspolitik entstanden aus der sinnhaften Aneignung von Heroisierungen und Sakralisierungen distinkte Erfahrungs-, Schicksals- und Opfergemeinschaften. Diese kollektive Selbstthematisierung transzendierte die Unterscheidung von Siegern und Verlierern – gerade der Verlierer oder Märtyrer konnte als moralischer Sieger fungieren, Gewaltverzicht zum Modell (un)heroischer Überlegenheit werden.20 Und aus der Aneignung von Niederlagen, Umbrüchen, von Verlust- und Opfergeschichten konnten besonders suggestive Sinnzuweisungen entstehen, auf die sich politische Bewegungen beziehen konnten. So könnte man formulieren, dass religiös konnotierte Heroisierungen besondere Resonanzräume schaffen, in denen sich Erfahrungen und Erwartungen überindividuell konturieren lassen. Zugleich sind solche Resonanzräume durch eine besondere Verdichtung von kommunikativen Kontakten und medial vermittelten Vorstellungen, Bildern und Interpretamenten gekennzeichnet. In diesem Sinne sollte man den Zusammenhang zwischen Sakralisierung und Heroisierung als Kommunikationsereignis fassen, das durch Bezugspunkte, Projektionsflächen und Erinnerungsspeicher zur diskursiven Bündelung von Selbstdeutungen anregt. Doch resultierte daraus niemals stabilisierende Eindeutigkeit. Indem sich Heroisierungen und Sakralisierungen überlagerten, entstanden eigenwillige Deutungsdynamiken, -konkurrenzen und damit Polysemien, die sich oftmals der Kontrolle entzogen.
Es stellt sich auch die weiterführende Frage, ob nicht gerade der Einsatz des Sakralen die im Heroischen latent vorhandenen Potentiale der Macht und damit auch die gegenüber dem Einzelnen ausgeübte Dominanz und Unterdrückung noch steigern kann, Sakralisierung also stärker noch als Heroisierung ein typisches Instrument der Machtbegründung und Machtausübung darstellt. Allerdings darf man hier Anspruch und Wirklichkeit keinesfalls gleichsetzen, denn aus der Kopplung von Sakralisierung und Heroisierung konnten immer wieder auch vieldeutige Muster der Herrschaftsbegründung und Herrschaftskritik entstehen.21
Schließlich tragen sakral aufgeladene Erscheinungsformen des Heroischen stets auch Aspekte des Gegenläufigen, ja Widerständigen in sich. Sie verstärken tendenziell also die im Feld des Heroischen stets vorhandene Ambivalenz. Biblische aber auch außerbiblische Propheten und Märtyrer verlangen Gefolgschaft, provozieren aber gerade aufgrund der Absolutheit ihres Anspruchs auch Ablehnung und Widerstand. Womöglich legt also – so paradox das zunächst klingt – gerade der analytische Blick auf religiöse Stilisierungen heroischer Figuren gegenüber einer oft auf Momente der Affirmation fokussierten Sicht des Helden Aspekte relativierender Distanz, Kritik und Infragestellung frei.
Teaserbild: Gian Lorenzo Bernini. „Die Transverberation der hl. Teresa von Ávila“, 1646, Marmor, Rom, Santa Maria della Vittoria, Cornaro-Kapelle.
Quelle: User:Vassil / Wikimedia Commons
Lizenz: Creative Commons CC0 1.0 Universal
Felix Heinzer / Jörn Leonhard / Ralf von den Hoff: „Sakralisierung“. In: Compendium heroicum. Hg. von Ronald G. Asch, Achim Aurnhammer, Georg Feitscher und Anna Schreurs-Morét, publiziert vom Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ der Universität Freiburg, Freiburg 13.02.2019. DOI: 10.6094/heroicum/skd1.0
Metadaten |
|
DOI | 10.6094/heroicum/skd1.0 |
Schlagworte (DNB/GND) | Sakralisierung, Das Sakrale, Das Heilige, Heroisierung, Held, Heldenverehrung, Apotheose, Märtyrer, Heiligkeit |
Karlsruher Virtueller Katalog (KVK) | Sakralisierung, Das Sakrale, Das Heilige, Heroisierung, Held, Heldenverehrung, Apotheose, Märtyrer, Heiligkeit |
Lizenz | Creative Commons BY-ND 4.0 |
Rubrik | |
Index |
|