Im juristischen Sinne basiert die ⟶Grenzüberschreitung des Banditentums auf dem Tatbestand des Raubs, der die rechtswidrige Zueignung von Eigentum unter der Anwendung von ⟶Gewalt oder der Drohung mit Gewalt bezeichnet. Der Raub des Banditen kann von ihm selbst oder von anderen als eine Herausforderung der herrschenden materiellen Güterverteilung und der sozioökonomischen Gerechtigkeitsordnung dargestellt werden, vor allem dann, wenn asymmetrische Machtverhältnisse in der Gesellschaft als ein strukturelles Problem wahrgenommen werden. Während insbesondere die staatliche Obrigkeit bemüht sein kann, den Banditen zum Straftäter – oder gar Terroristen – zu erklären und somit zu deheroisieren, basiert die populäre ⟶Heroisierung von Banditen darauf, dass er für die gewaltsame Umkehrung einer als ungerecht wahrgenommenen Güterverteilung steht, von der bis dahin vor allem die Obrigkeiten profitierten. In der Heroisierung von Banditentum wird also kontextbezogen eine gewaltsame Grenzüberschreitung der normativen Ordnung mit einer erstrebten Umkehrung der sozioökonomischen Gerechtigkeitsordnung verbunden, sodass Banditen als heroische Kippfiguren im ⟶typologischen Feld des Heroischen zu verorten sind. Über die Frage nach der Verehrung eines Banditen als Sozialheld oder umgekehrt der Markierung desselben Akteurs als Straftäter lassen sich somit Aussagen über die im Feld der Macht konkurrierenden sozialen Akteure treffen.1
Die Heroisierung von Kriminellen und Gesetzlosen (als Oberkategorie zum Banditen) bedarf einer gesonderten Diskussion. Alle heroischen Konfigurationen von Kriminellen und Gesetzlosen beruhen auf einer devianten oder delinquenten Grenzüberschreitung, die von der Gemeinschaft positiv bewertet wird. Banditenhelden werden im Folgenden als eine spezifische Unterkategorie dieser Figuren eingegrenzt und behandelt.
Anhand des kategorischen Unterschieds zwischen Raub und Diebstahl ist der Idealtyp des Banditenhelden von dem auf Gewalt verzichtenden Meisterdieb (gentleman thief) zu differenzieren, der etwa in fiktiven Figuren wie Maurice Leblancs (1864–1941) Romanheld Arsène Lupin oder Daniel Ocean aus der Ocean-Filmreihe (Urfassung: 1960; Trilogie: 2001–2007) zu erkennen ist. Aus ähnlichen Gründen ist auch die Heroisierung von meisterhaften Drogenschmugglern wie Howard Marks aus Mr. Nice (1996; Verfilmung: 2010) oder Trickbetrügern wie Frank Abagnale aus Catch Me If You Can (1980; Verfilmung: 2002) anders zu deuten als die Heroisierung von Banditenhelden. Diese werden selten mit Gewaltakten assoziiert und erfahren oft eine gesellschaftliche Rehabilitation, wie sie etwa durch die ‚Heimkehr des verlorenen Sohnes‘ im Lukasevangelium präfiguriert ist.
Darüber hinaus hat sich die Heroisierung von Mafia- und Gangsterfiguren zumindest in der zeitgenössischen populären Kultur, z. B. in Filmen wie Der Pate-Saga (1969; Verfilmung als Trilogie: 1972–1990) und Scarface (1983) sowie bei Gangster-Rappern, von der Heroisierung von Banditen deutlich verselbstständigt. Zwar werden diese analog zu Banditenhelden aufgrund ihres sozialen Aufstiegs als Repräsentanten einer niedrigen oder benachteiligten Sozialschicht idealisiert, doch generieren hochorganisierte und in Familiennetzwerken operierende Kriminalitätskartelle in Großstädten, wie etwa die italienische Mafia oder die japanische Yakuza, andere Deutungsdynamiken als Banditen, die hauptsächlich in kleinen Männerbünden Raubüberfälle begehen. Im Gegensatz zu Banditen ist die zeitgenössische organisierte Kriminalität immer in Betrugs- und Geldwäschegeschäfte involviert, um den öffentlichen Schein eines legal erworbenen Vermögens zu wahren, was eine Heroisierung erheblich verkompliziert. Für brutale Drogenbarone wie Pablo Escobar (1949–1993) und geniale Drogenhersteller wie die fiktive Figur des Walter White aus der Fernsehserie Breaking Bad (2008–2013) gelten, auch wenn sie gelegentlich in Raubüberfälle involviert waren, andere Heroisierungsdynamiken, da sie zum Großteil als ⟶Antihelden gesehen werden, die wegen ihrer listigen Überlegenheit gegenüber normalen Menschen und gewöhnlichen Kriminellen idealisiert werden und damit eine andere Sozialität als Banditenhelden verkörpern.
Die Differenzierung zwischen Piraten und Banditen ist wiederum deutlich schwieriger zu vollziehen, da sie als Gewaltgemeinschaften meistens sehr ähnlich funktionieren. Dennoch ist das Meer – und vor all die Ozeane – ein wichtiges räumliches Unterscheidungsmerkmal in spezifischen historischen Konfigurationen. Wegen der größeren Distanz zur Küstenbevölkerung erfolgt die Heroisierung der Piraten auf andere Weise als im Falle der Banditen, die sich meist in räumlich begrenzten, ländlichen Peripherien aufhalten. Sofern Piraten sich auf Hochsee und in internationalen Gewässern bewegen, ist auch der Autonomie- und Territorialitätsanspruch der Piraten gegenüber den staatlichen Souveränitäten auf andere Weise konfliktbeladen als bei Banditen, die sich meist in innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Grenzgebieten aufhalten.2 Die Differenzierung ist jedoch flüssiger Natur und die historisch-soziologische Ähnlichkeit zwischen Piraten und Banditen in bestimmten Kontexten nicht von der Hand zu weisen.3
Auf der theoretischen Ebene sind Banditenhelden mit Rebellen und ⟶Freiheitshelden vergleichbar, insofern sie alle die Obrigkeiten und Machtverhältnisse gewaltsam herausfordern und dafür heroisiert werden. Daher ist die Banditenforschung an der Schnittstelle der Sozial- und Kulturgeschichte und der Konflikt- und Sozialbewegungsforschung zu verorten.4 Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Banditentum ist insbesondere durch das vom Soziologen und Sozialhistoriker Eric J. Hobsbawm entwickelte Konzept der „social banditry“ geprägt.5 Trotz berechtigter Kritik hat sich Hobsbawms Konzept des „Sozialbanditen“ jenseits von Disziplingrenzen und Kulturräumen als äußerst produktiv für die Forschung erwiesen.
Hobsbawms Idealtyp des Sozialbanditen basiert auf dem Archetypen des Robin-Hood-Mythos, in dem der Bandit als ein Held und sozialer Akteur idealisiert wird, der die herrschende Klasse ihres Reichtums beraubt, um die errungene Beute zunächst unter der Banditengemeinschaft und dann unter den Bedürftigen und Unterdrückten der Bevölkerung zu verteilen. Untersuchungen, die auf Hobsbawms Konzept aufbauen, unterscheiden Sozialbanditen von „kriminellen Räubern“. Während Sozialbanditen im Namen einer unterdrückten sozialen Klasse oder Schicht für politische Teilhabe kämpften, indem sie auf den Raub als eine „proto-politische“ Protesthandlung zurückgriffen, verfolgten „gewöhnliche“ kriminelle Räuber vermeintlich verwerfliche, egoistische und materialistische Ziele.6 Diese Unterscheidung ist allerdings nicht immer nachvollziehbar, da sie meist normative und moralische Werturteile ahistorisch in die Vergangenheit projiziert und weil komplexe Banditenbiographien nicht immer eindeutig zuzuordnen sind. Sogar das Gegenbild eines ursprünglich „asozialen“, später aber heroisierten Banditen ist den Quellen nicht selten zu entnehmen: Während etwa Quellen der Sozialgeschichte die Terrorisierung der ländlichen Bevölkerung durch jene Banditen dokumentieren, die später zu Repräsentanten des sozialen Wandels im Sinne eben jener Bevölkerungsgruppen aufgewertet wurden, verdeutlichen kulturgeschichtliche Analysen, dass anstelle von sozialen und solidarischen Idealen einer unterdrückten Klasse viel mehr der Machtstreit zwischen Familienclans sowie Geschlechter- und Ehrvorstellungen die Handlungen von Banditen bestimmten.7 Die historisch-soziologische Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Banditentums zeigt zudem, dass entgegen der Annahme einer kategorischen Dichotomie zwischen der staatlichen Obrigkeit und nichtstaatlichen Banditen, wie Hobsbawms Idealtyp dies vorsieht, viele berüchtigte Banditenhelden von Staaten als Milizen und Statthalter kooptiert und rekrutiert wurden.8
Die andere Unterscheidung, die bei Hobsbawm selbst unklar bleibt und die dem Konzept zusätzliche Kritik eingebracht hat, betrifft die Differenzierung der Analyseebenen. Hobsbawm fasst unter dem Phänomen der social banditry einerseits reale historische Sozialbanditen, die als Rebellen in lokalen und politischen Widerstandkulturen aktiv waren, andererseits und zugleich aber auch mythologische, folkloristische, literarische und historiographische Konstruktionen des Sozialbanditentums. Zudem impliziert er eine Kausalbeziehung zwischen den beiden Ebenen, derzufolge bestimmte Personen von späteren Generationen gerade deswegen folkloristisch und literarisch als Sozialbanditen idealisiert wurden, weil sie tatsächlich Sozialbanditen waren.9 Es wäre aber falsch, die soziale Wirklichkeit und die Sozialkonstruktion des Sozialbanditen als zwei vollkommen getrennte Phänomene zu betrachten, da sich gerade Heroisierungsprozesse durch eine Vermengung dieser Ebenen auszeichnen. Graham Seals nennt dies in seiner vergleichenden Forschung über heroisierte Banditen das Robin-Hood-Prinzip, das besagt: „Wherever and whenever significant numbers of people believe they are the victims of inequity, injustice, and oppression, historical and/or fictional outlaw heroes will appear and continue to be celebrated after their deaths.“10
Die Analyse der Heroisierung von Banditen muss daher sowohl die historische Konfiguration in den Blick nehmen als auch die mythischen Dimensionen, über welche die historischen Akteure erklärt werden. In diesem Sinne ist nicht Robin Hood der heroisierte Sozialbandit, sondern jener Akteur, dessen Handeln in einer bestimmten historischen Konfiguration von den Zeitgenossen oder einem nachgeborenen Publikum mit dem mythologisierten Präfigurat des Robin Hood in Relation gesetzt wird.
Die Heroisierung (sowie ⟶Deheroisierung) der Figur des Banditen ist kein neuzeitliches Phänomen. Schriftliche Quellen belegen einen regen Deutungsstreit über Banditen bereits in der römischen Antike – wenn nicht gar früher.11 Wegen der zunehmenden Verflechtung der Staatssouveränität mit lokalen Lebenswelten hat sich die Politisierung des Banditendiskurses seit der Neuzeit jedoch deutlich intensiviert und reproduziert.12 Einerseits haben moderne Staaten im Sinne der Zentralisierung und Erweiterung der Souveränitätsansprüche das Banditentum als ein öffentliches Problem neudefiniert und gewaltsam unterdrückt.13 Andererseits haben politische Bewegungen sowie deren Unterstützer*innen seit dem 19. Jahrhundert das Banditentum zu einheimischen Widerstandskulturen umgedeutet, glorifiziert und popularisiert.
Die auf Hobsbawm zurückgehende heroische Umdeutung von Banditen als „primitive Rebellen“ sowie die dagegen gerichtete Kritik, dass die meisten Banditen eigentlich brutale Raubmörder seien, ist daher ein Kernthema der globalhistorischen Sozialbanditenforschung. Sie untersucht die politische Legitimierung des Banditentums in verschiedenen Kontexten, nicht selten Jahrzehnte oder Jahrhunderte nach den Ereignissen. Nichtsdestotrotz besteht kein Zweifel, dass berühmte Banditenhelden überall in der Weltgeschichte vor allem in Zeiten von Rebellionen und Guerillakriegen auftraten, wie etwa Bai Lang (1873–1914) im Anschluss der Xinhai-Revolution in China (1911), Pancho Villa (1878–1923) während der mexikanischen Revolution (1910–1920), Sándor Rózsa (1813–1878) in der ungarischen Revolution (1848–1849), Stenka Razin (1630–1671) bei seinem Aufstand gegen das Zarentum Russland und viele mehr.
In der Geschichtswissenschaft werden Referenzen auf Hobsbawms Sozialbanditen in verschiedenen Weltregionen unterschiedlich interpretiert. Die Tatsache, dass Banditenhelden in Prozessen der Nationenbildung popularisiert wurden, und zwar jenseits der historischen Realitäten wie etwa im Falle des litauischen Volkshelden Tadas Blinda (1846–1877), ist ein wesentlicher Gegenstand der Geschichtskritik.14 Die in Südosteuropa verbreiteten – und von Hobsbawm mehrfach zitierten – Legenden und Lieder über Heiducken und Klephten wurden etwa in post-osmanischen Geschichtsnarrativen der Balkanländer weitgehend nationalistisch (und zum Teil sozialistisch) als Berichte über Freiheitskämpfer*innen gedeutet, die sich gegen die Osmanen stellten. Diese patriotische Heroisierung der Banditenfiguren im Balkan wurde von Historiker*innen kritisiert und revidiert.15 In postkolonialen Kontexten, so etwa in Indien und Afrika, wurde Hobsbawms Konzept des Sozialbanditen wiederum deutlich aufgeschlossener rezipiert, um gegen eurozentrische Deutungen die sogenannten thugees und bushmen als Ausdruck des antikolonialen und organisierten Widerstands behaupten zu können.16
In bestimmten Kulturen, wie etwa in der Geschichtsschreibung und Volkskultur des Nahen Ostens und Nordafrikas, finden Banditenhelden per se nur wenig Beachtung, da die Banditen hier meist mit anderen Sozialkategorien wie Sufi-Orden, urbanen Zunftstrukturen oder Stammeskulturen assoziiert und kodiert werden.17 Die anatolische Legende von Köroğlu aus dem 16. Jahrhundert ist eine der Ausnahmen.18 Der Widerstand der kaukasischen Banditenhelden, der sogenannten Abrek, gegen die russische Besetzung wurde in epischen Liedern und Erzählungen verarbeitet.19 Weitere Beispiele für ausgeprägte Banditenkulturen, denen viel Aufmerksamkeit zuteilwurde, findet man bei staatenlosen Minderheiten in Staatsperipherien, wie etwa bei den Kurden in der Türkei, die durch den Erfolg des Romans Memed mein Falke (Türk. İnce Memed, 1955) von Yaşar Kemal (1923–2013) internationale Bekanntschaft erlangt haben, aber auch in der Forschung wegen der politischen Dimension der Kurdenfrage zunehmend Beachtung finden.20
Wie Memed mein Falke zeigt, erfreuen sich einige Banditen sowie andere gesetzlose Helden noch heute großer Beliebtheit in der populären Kultur.21 Der Archetyp für die Romantisierung von Banditen ist nach wie vor die Sagengestalt des Robin Hood und seine vielfältigen literarischen Umsetzungen, in denen Robin Hood je nach historischem Kontext entweder als Bauer oder Edelmann neukonfiguriert wurde.22 In den um 1800 entstehenden Gattungen der Räuberdramen und -romane, darunter Friedrich Schillers (1759–1805) Die Räuber (1781), Johann Heinrich Zschokkes (1771–1848) Abällino der große Bandit (1794) und Christian August Vulpius’ (1762–1827) Rinaldo Rinaldini (1799), wurden die sich ändernden kulturellen Ehrvorstellungen anhand tragischer Banditenhelden literarisch verarbeitet.23 Jenseits von Tragödien, insbesondere in der Unterhaltungsliteratur der Neuzeit, werden Banditenhelden gemäß dem Archetypen des Abenteurers dargestellt und stehen für Utopien, gesellschaftlichen Eskapismus und Selbstjustiz.24
Da es sich beim Raub per definitionem um eine gewalttägige Tat handelt, ist auch der Bandit stets ein Gewaltakteur, sodass sich seine Heroisierung nicht lediglich auf die Umverteilung von fremdem Eigentum stützt, sondern sich zudem auch auf den zugrundeliegenden Gewaltakt bezieht. In der Heroisierung individueller Banditen wird daher regelmäßig auf ihre kämpferischen oder kriegerischen Gewaltkapazitäten Bezug genommen, wie dies im Beispiel der literarischen Figur Robin Hood etwa beim Diskurs über seine vermeintlich herausragenden Fähigkeiten als Bogenschütze der Fall ist; ein historisches Beispiel ist dagegen die berühmte kugelsichere Metallrüstung, die Ned Kelly (1854–1880) bei seinen Raubüberfällen und Feuergefechten mit der Polizei trug. Die individuelle Gewaltkapazität symbolisiert im Falle des Banditen häufig nicht nur die ihm zugeschriebene Standfestigkeit im Angesicht der staatlichen oder semi-staatlichen Übermacht professioneller Gewaltakteure, sondern verweist auch auf den häufig mit dem Banditentum in Verbindung gebrachten Aspekt der Maskulinität, die sich auf über die ⟶Körperlichkeit zugeschriebene Ideale beruft.
Anderseits sind individuelle Banditen meist in ein heroisiertes ⟶Kollektiv eingebunden, welches als Gewaltgemeinschaft das legitime Gewaltmonopol der staatlichen Obrigkeit herausfordert.25 Die Heroisierung von Banditengemeinschaften kann sich ebenso auf die kollektive ‚Bande‘ beziehen wie auch auf eine einzelne Führungsfigur. Banditengemeinschaften sind innerhalb ihrer Gruppe sowie in Bezug auf ihr Umfeld von sozialen Kulturen geprägt, die zur Heroisierung in unterschiedlicher Weise beitragen. Die interne Kultur der Banditengemeinschaft basiert, erstens, auf der Kollektiverfahrung einer gesetzlosen und gewaltpraktizierenden Bande. Zweitens manifestieren sich in der Beuteverteilung die hierarchischen Strukturen und solidarischen Werte der Bande, sie kann so zu einer Stärkung der Gemeinschaftskultur beitragen. Drittens können Verhaltens- und Ehrenkodizes die interne Kultur der Banditengemeinschaft durch Regeln und Rituale, durch Auszeichnungen und gewalttätige Sanktionen prägen. Die Wiederbelebung des osmanisch-albanischen Gewohnheitsrechts Kanun als Ehrenkodex sowie des traditionellen Ehrenschwurs Besa als Geheimnisschwur in der albanischen organisierten Kriminalität verdeutlicht die Notwendigkeit einer kodifizierten Ordnungsstiftung und sanktionierten Ehrenregelung in der kriminellen Gemeinschaftsbildung.26 Die notwendige Geheimhaltung der kriminellen Taten trägt an den Berührungspunkten zwischen internen und extern Gemeinschaften zur heroischen Mythenbildung bei.27
Die Legimitierung von Gewalthandlungen, der abenteuerhafte Gesetzesbruch und die gemeinschaftliche Autonomie sind wesentliche Elemente der Selbstheroisierung der Banditen und tragen auch zu deren externer Heroisierung bei. Nicht selten ist die charismatische Rolle des Anführers ein wichtiger Bestandteil an der Schnittstelle zwischen interner und externer Heroisierung von Banditenkollektiven. Die charismatische Führung kann sich auch mit traditionellen Herrschaftsansprüchen verbinden, wenn der Anführer aus einem höheren Gesellschaftsstand stammt, wie etwa bei Raubrittern. Zur Selbstheroisierung gehört die narrative Vermittlung der vergangenen Leistungen der Banditen an neurekrutierte Mitglieder sowie Rituale der Selbstzelebrierung und des Gedenkens an Gefallene.
Banditen stellen eine Gemeinschaft dar, die sich von der Gesellschaft bewusst abtrennt, um sozioökonomische Autonomie zu erlangen. Allerdings ist die Autonomie der Banditengemeinschaft auf die Entwendung gesellschaftlicher Ressourcen angewiesen. Der Autonomieanspruch der Banditen richtet sich gegen die vorherrschenden sozioökonomischen Abhängigkeitsverhältnisse in der Gesellschaft. Anstatt gesellschaftliche Abhängigkeitsverhältnisse komplett auf den Kopf zu stellen, möchte das Banditentum diese – so zumindest ist es Grundlage der Heroisierungsdiskurse – zu Lasten der Obrigkeiten lediglich partiell umgestalten und zu Gunsten der eigenen Gemeinschaft ausrichten. Diese partielle und eigennützige ‚Korrektur‘ der sozialen Güterverteilung unterscheidet den idealtypischen Banditen (d. h. den Sozialbanditen) vom totalen und selbstlosen Idealtyp des politischen Rebellen.
Die Banditengemeinschaft ist jedoch angewiesen auf eine externe Gemeinschaft aus Hilfeleistenden, Schutzempfangenden oder Zuschauenden, mit denen eine andere Kollektivkultur gepflegt werden muss. Diese externe Dimension der Heroisierung ist wichtig für den Erhalt der Autonomie der Banditengemeinschaft sowie ihre Mythenbildung über Zeit und Raum. Weil aus dem Banditentum selten eine gesellschaftliche Rückkehr oder Rehabilitation in die Normalität ohne Straffolgen möglich ist, besteht eine Grenze zwischen den Banditen und ihren externen Unterstützern. Die legale und lebensweltliche Grenzüberschreitung ist wesentlich für die externe Heroisierung, weil nicht jeder diesen Weg gehen kann. Der Bandit ist nah und fern zugleich.
Interne und externe Heroisierungserwartungen können sich auch widersprechen, vor allem in Bezug auf die kulturelle Bedeutung und die sozialen Konsequenzen des Gewaltakts, wie z. B. bei der Verschleppung von Frauen und Mädchen als Beute und bei der Zwangsrekrutierung von Knaben und jungen Männern. Während solche Verschleppungen den Banditen in der Banditengemeinschaft als männlichen Held auszeichnen können, wurden die betroffenen Familien nicht selten in gesellschaftlichen Ehrverlust gestürzt, da die Verschleppung oft als sexuell unehrenhafter Missbrauch der Entführten gedeutet wurde und damit die Erniedrigung der gesamten Familie zur Folge haben konnte.28 Ein besonderes Beispiel für solche genderspezifischen Aspekte des Menschenraubs bietet die Lebensgeschichte von Phoolan Devi (1963–2001), die sogenannte ‚Banditenkönigin‘ von Indien. Sie heiratete einen Banditenführer, nachdem sie von Banditen entführt wurde. Später wurde sie selbst zur Anführerin der Banditen und rächte sich an ihrem ersten Ehemann im heimatlichen Dorf, mit dem sie als Kind zwangsverheiratet worden war. Die Heroisierung von Phoolan Devi war zudem noch von einer ⟶Sakralisierung geprägt, da sie als Inkarnation einer indischen Göttin verehrt wurde.29
Die graduelle Kriminalisierung und damit auch der Versuch der öffentlichen Deheroisierung des Banditen vom schädlichen Kriminellen zum gefährlichen Terroristen wird davon bestimmt, wie die Obrigkeiten die Gefährdung der sozialen Ordnung durch das Banditenwesen einstufen. So wird ein potentieller Banditenheld lediglich als gesellschaftlicher Parasit denunziert, der gewissermaßen ‚natürlich‘ vorkommt, als Schädling kontrolliert und bekämpft werden muss, aber keine politische Gefahr für die Gesellschaftsordnung darstellt. Vor allem separatistische Gewaltaktionen in der Peripherie werden von Staaten als Banditenwesen entpolitisiert und diskursiv der Staatshegemonie untergeordnet, wie etwa in den kurdischen Gebieten der Türkei bis vor der Gewalteskalation in den 1990er Jahren.30 Sobald Banditen jedoch als eine ernsthafte Gefahr für die soziopolitische Ordnung eingestuft werden, können sie wie ‚Raubtiere‘ behandelt und gewaltsam gejagt werden. Die Militarisierung der Polizeimaßnahmen gegen kriminelle Banden in Lateinamerika verdeutlicht einerseits die strukturelle Versicherheitlichung des Staatsapparates in den letzten Jahrzehnten und andererseits die zunehmende Kennzeichnung der organisierten Kriminalität als politische Gefahr in populistischen Regimen.31 Politisierung und Entpolitisierung des Banditen sind auch wesentliche Diskurse, die der intentionalen Deheroisierung dienen können. Um den Souveränitätsanspruch zu verstärken, kann ein unpolitischer Bandit von den Obrigkeiten zum Terroristen erklärt oder ein Revolutionär zum Banditen degradiert werden. Eine diskursive Aufwertung von der Nichtbeachtung eines Banditen zu seiner besonderen Beachtung seitens der staatlichen Obrigkeiten kann jedoch der Heroisierung durch die Opposition dienen, da gesellschaftliche Abschottung und politische Hetze als wesentliche Teilaspekte des Schicksals der Banditenhelden angesehen werden. Die Gleichzeitigkeit von Heroisierung und krimineller Grenzüberschreitung darf nicht als Widerspruch gedeutet werden. Die Heroisierung des Banditen ist immer ein Politikum, weil die Heroisierung geradezu auf der Politisierung der Banditen basiert.
Für Hobsbawm standen Sozialbanditen stets an der Schwelle zu politischen Bewegungen. Das Politische am Banditentum ist jedoch nicht das Soziale. Es ist die gewaltsame, transgressive Kapazität der Banditen, die sie sowohl mit Rebellen als auch mit staatlichen Gewaltakteuren vergleichbar macht.32 Folgt man der Gewalt- und Staatssoziologie nach Charles Tilly, ist die historische Emergenz von Staaten mit dem Banditentum eng verknüpft, da die Legitimierung und Monopolisierung der organisierten Gewalt und die Einforderung von „Schutzsteuern“ den Prozess der Staatenbildung vorangetrieben haben.33 Aufgrund der Ähnlichkeit der beiden Phänomene können Banditen eine lokale Parastaatlichkeit beanspruchen, die sich gegen die Souveränitätsansprüche der Staaten richtet.34 Staatlichkeit als eine Performanz des Gewalt- und Schutz-Monopols wird von Banditen sowie anderen Formen der organisierten Kriminalität durch das „Racket-Prinzip“ auf der mikrosoziologischen Ebene fortgeführt, wobei diese parallelen Ordnungsstrukturen durch Normen der hegemonialen Maskulinität von Männerbünden kulturell manifestiert werden.35 Man kann das Banditentum gar als eine gesellschaftliche Selbstkorrektur einer degenerierenden oder fehlenden staatlichen Ordnung verstehen.36 Hier steht daher die Heroisierung und Deheroisierung des Banditentums stets in einem dialektischen Verhältnis zum als legitim angesehenen Gewaltmonopol des Staates.
Die Grundbedingung für die Heroisierung der Banditen ist dabei die Delegitimierung des Gewaltmonopols der Obrigkeiten und der etablierten Gerechtigkeitsordnung als in Wahrheit räuberisch und korrupt. Umgekehrt werden im Sinne der Konkurrenzbeziehungen im imaginären Feld des Heroischen Banditen deheroisiert, indem zugleich der Legitimitätsanspruch staatlicher Akteure aufgewertet wird.
Banditenhelden erschaffen sowohl realhistorische wie auch imaginierte Raum- und Zeitordnungen. Als eine Form der organisierten Gewalt ist das Banditentum von einer Grenzraumerfahrung jenseits der Normalität und Legalität gekennzeichnet. Der Bandit geht sprichwörtlich ‚in die Berge‘. In seinen historischen Erscheinungsformen ist das Banditentum zumeist ein frontier-Phänomen, und zwar im doppelten Sinne des Wortes. Einerseits kamen Banditen an der unilateralen frontier der Entdeckung und Eroberung vor, wo Staatsbildung und Zivilisationsmission aufeinandertrafen. Andererseits waren und sind Banditen häufig in bilateralen Grenzgebieten und an Kriegsfronten vorzufinden.37 Diese beiden Raumdimensionen der frontier, die das Auftreten von Banditen bestimmen, werden im Western-Genre einerseits durch das Indianerterritorium im Westen, andererseits durch die mexikanische Grenze im Süden markiert. Die idealtypische räumliche Verortung des Banditentums in den ländlichen Peripherien und Grenzgebieten ist in der Gegenwart jedoch kaum noch haltbar, da urbane Gewaltgemeinschaften wie Nachbarschafts- und Straßengangs große Ähnlichkeit zu den Territorialansprüchen ländlicher Banditen vergangener Jahrhunderte haben, sofern diese Nachbarschaften sich der polizeilichen Kontrolle entziehen können.
Der lokale Territorialanspruch, nämlich Gewaltkontrolle und Besteuerungshoheit – etwa der als ‚Wegzoll‘ bekannte Tribut an Wegelagerer – in einem abgeschiedenen und der Kontrolle der Zentralmacht entzogenen Territorium (nicht selten schwer zugängliche Berge, Wälder oder Wüsten), sowie die hohe Mobilität zwischen den Raub- und Zufluchtsräumen (zum Teil über Staatsgrenzen) generieren vielfältige historische und mythische Manifestationen des Heroischen, wie etwa des Sherwood Forest bei Robin Hood and the Merry Men.38 Die Territorialität und die Mobilität des Banditentums tragen zur Idealisierung der freien und autonomen Lebenswelten von Banditen bei. Dadurch wird eine historische oder imaginierte Topographie der Gesetzlosigkeit konstruiert, die dem Gesetzesraum des politischen Zentrums gegenübersteht.39 Nicht nur die Banditen werden heroisiert oder kriminalisiert, sondern gesamte Territorien, die mit dem Banditenwesen in Verbindung stehen. Die Abgeschiedenheit des Territoriums kann auch eine Kehrseite des Banditentums sein. Für Gemeinschaften, die großen Wert auf ihre Autonomie legen, gewähren schwerzugängliche Berge, Wälder oder Wüsten einen schützenden Zufluchtsraum nicht nur vor staatlichen Obrigkeiten, sondern auch vor den Plünderungen feindlicher Banditen.40
Die Konjunkturen des Banditenwesens markieren auch eine Zeitordnung und bieten sich damit für Periodisierungen an. Im Sinne eines „great age of social banditry“ definiert Hobsbawm eine Übergangsphase zwischen Agrargesellschaften und kapitalistischer Staatenbildung, die sich in Europa zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert ereignet habe, während andere Teile der Welt diese Übergangsphase im 19. und 20. Jahrhundert durchlebten.41 Einerseits trägt die Romantisierung von Abenteuer und Autonomie in historischen Narrativen dazu bei, ein ‚Zeitalter der Banditenhelden‘ zu imaginieren. Andererseits kann aus staats- und ordnungszentrierter Perspektive die Gesetzlosigkeit einer historischen Periode als ‚Banditenzeit‘ geächtet werden. Das historische Auftreten von Banditen in einer bestimmten Periode muss auch nicht deckungsgleich mit ihrer Mystifizierung als ‚Zeit der Banditen‘ sein, weil Periodisierungen immer Konstrukte sind und der Mythos um Banditenhelden auch ohne realhistorische Banditen auskommt.
Ob gegenwärtig noch realhistorische Sozialbanditen existieren, wurde von Hobsbawm kategorisch verneint. Fest steht jedoch, dass Banditenhelden als Mythos sich einer Konjunktur in der globalen Popkultur erfreuen, in der Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Unterdrückung als strukturelles Problem wahrgenommen wird.
Teaserbild: Pjetër Marubi: „The Young Warriors of Shala“, um 1900, Fotografie.
Quelle: User:Ookuninusi / Wikimedia Commons, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_Young_Warriors_of_Shala.jpg (Zugriff am 16.07.2020)
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Alp Yenen: „Banditen“. In: Compendium heroicum. Hg. von Ronald G. Asch, Achim Aurnhammer, Georg Feitscher und Anna Schreurs-Morét, publiziert vom Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ der Universität Freiburg, Freiburg 28.07.2020. DOI: 10.6094/heroicum/bd1.0.20200728