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Durchhalten

1. Einleitung

Durchhalten ist eine Handlung, die sich zunächst negativ bestimmen lässt: durchzuhalten heißt, nicht aufzugeben1So gibt Duden Online unter ‚durchhalten‘ als Synonym ‚nicht aufgeben‘ an. Online unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/durchhalten (Zugriff am 1.4.2019)., sei es beim Marathonlauf oder im Dschungelcamp, während einer Diät oder der Examensvorbereitung. Kann das Durchhalten somit als Teil unserer Alltagswelt betrachtet werden, so mag es doch überraschen, dieses „Weiter so“ als eine heroische Handlung zu untersuchen. Und doch begegnen uns Figuren, die gerade deshalb als Helden inszeniert werden, weil sie nicht aufgeben. Zu denken ist hier beispielsweise an Scott of the Antarctic und dessen strapaziöse, ja tödliche Expeditionstour zum Südpol, an Odysseus, der seine göttlich auferlegte Irrfahrt unermüdlich fortsetzt, bis er schlussendlich ins heimische Ithaka gelangt, oder an Nelson Mandela, dessen Kampf gegen das Apartheitsregime Südafrikas als ein jahrelanges Trotzen und heroisches Durchhalten erzählt werden kann. Trotz der Belege für eine enge Verbindung von Durchhalten und Heldentum hat sich die Forschung nur rudimentär mit dem Problemkomplex befasst. Einschlägig ist Nicolas Deterings Aufsatz Heroischer Fatalismus. Denkfiguren des ‚Durchhaltens‘ von Nietzsche bis Seghers (erscheint im Herbst 2019), der sowohl die Elemente der Denkfigur systematisch zusammenstellt als auch schlaglichtartig Aktualisierungen in der deutschen Literatur zwischen 1900 und 1945 betrachtet.2Detering, Nicolas: „Heroischer Fatalismus. Denkfiguren des ‚Durchhaltens‘ von Nietzsche bis Seghers“. In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, Neue Folge 60 (2019), 317–339. Die Überlegungen wurden präsentiert im Rahmen eines durch den Sonderforschungsbereich 948 / Teilprojekt D6 organisierten Workshops am 19. Januar 2018. Wesentliche Anregungen v. a. im Hinblick auf die Definition des ‚Durchhaltens‘ verdankt vorliegender Artikel dieser Arbeit. Ferner ist Lothar Bluhms begriffsgeschichtliche Arbeit Auf verlorenem Posten (2012) zu nennen, in der er eine Entwicklungslinie des Sprachbildes vom Barock bis ins 21. Jahrhundert zeichnet und in einigen Kapiteln den Zusammenhang zwischen ‚Durchhalten auf verlorenem Posten‘ und Heldentum aufzeigt.3Bluhm, Lothar: Auf verlorenem Posten. Ein Streifzug durch die Geschichte eines Sprachbildes. Trier 2012: Wissenschaftlicher Verlag Trier.

2. Definition

Unter ‚Durchhaltewille‘ wird im Folgenden die Disposition eines Subjekts verstanden, unter strapaziösen Umständen dem dringenden physischen oder psychischen Bedürfnis, auf- oder nachzugeben, zu widerstehen und unter den gegebenen Verhältnissen weiterzumachen. Während ‚Durchhaltewille‘ also auf die Bereitschaft, die Haltung abzielt, beschreibt das ‚Durchhalten‘ selbst die daraus folgende Handlung. Mit Max Webers weitem Handlungsbegriff lässt sich das ‚Durchhalten‘ – er spricht von ‚Erdulden‘ – als ein aktives, duratives Tun begreifen, wenn damit ein subjektiver Sinn verbunden ist, das Handeln also ein intentionales, nicht zufälliges ist.4Vgl. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Studienausgabe hg. von Johannes Winckelmann. Erster Halbband. Köln/Berlin 1964: Kiepenheuer & Witsch, 16. Ausführlich zu Webers Handlungsbegriff und seiner Indienstnahme für eine Heuristik des Heroischen vgl. Aurnhammer, Achim / Klessinger, Hanna: „Was macht Schillers Wilhelm Tell zum Helden? Eine deskriptive Heuristik heroischen Handelns“. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 62 (2018), 127–149, hier 130–132. Insofern lässt sich das ‚Durchhalten‘ nicht als das Aufschieben einer später einzulösenden Tat, sondern als die Tat selbst auffassen. Der Handlungsspielraum ist im Durchhalten deutlich eingeschränkt. Das Subjekt hat weder die Möglichkeit, auf seine augenblickliche Situation verändernd einzuwirken, noch kann es das Ziel auf eine andere Art erreichen. So unterschiedlich die Umstände auch sein mögen, die das Durchhalten erfordern5Detering: „Heroischer Fatalismus“, 2019, 321, nennt die Widerstandskraft eines antagonistischen Gegenübers, widrige Witterungsbedingungen und die schlicht nicht enden wollende Zeit. Zu ergänzen ist diese Liste – insbesondere im Hinblick auf den Sport als zentrale Domäne des ‚Durchhaltens‘ – durch die körperliche Verausgabung, aber auch durch Druck auf gesellschaftlicher oder politischer Ebene, wie das Beispiel Mandela zeigt., ist ihnen doch gemeinsam, dass sie das Subjekt an den Rand der psychischen oder physischen Erschöpfung drängen und das Bedürfnis, auf- oder nachzugeben stetig verstärken. Dieses (Er-)Leiden bildet überhaupt die Voraussetzung, um von ‚Durchhaltewille‘ und ‚Durchhalten‘ sprechen zu können. Die Bereitschaft, die Entbehrungen und Erschöpfungen in Kauf zu nehmen und auszuhalten, erfordert wiederum mentale Stärke, Affektkontrolle, Selbstdisziplin und Opferbereitschaft. In dieser Hinsicht knüpfen Vorstellungen des ‚Willens zum Durchhalten‘ an ältere Modelle wie den Stoizismus (‚Apathie‘), den Epikureismus (‚Ataraxie‘) oder die Askese an, mit denen sie die Tugenden der Selbstdisziplinierung, der Selbstkontrolle und der Selbstüberwindung teilen.6 Die Parallele in erster Linie zum Stoizismus zieht auch Detering: „Heroischer Fatalismus“, 2019, 321. Das Durchhalten ist mithin eine Bewährung gegen sich selbst, gegen den Drang zu Kapitulation und Resignation.

Ferner handelt es sich beim Durchhalten um einen durativen wie final ausgerichteten Zustand. Ein Ziel, auf das hingearbeitet oder auch zugewartet wird, ist abzusehen, aber zugleich so weit in die Ferne gerückt, dass sich das Durchhalten über einen längeren Zeitraum erstreckt. Das Ziel ist nur prospektiv vorhanden. Die Finalität des Durchhaltens verspricht hierbei nicht nur das Ende der entsagungsvollen Situation, sondern überschreibt diese auch mit Sinn und verleiht dem Durchhalten seine Legitimität.7Die Finalität als zentrale Komponente des ‚Durchhaltens‘ diskutiert auch Detering: „Heroischer Fatalismus“, 2019, 320–321, ohne jedoch den Bezug zur Sinngebung und Legitimierung herzustellen. Das Durchhalten geschieht mithin nicht um seiner selbst willen, sondern ist zweckgerichtet. Dem Erfolg kommt gleichwohl wenig bis keine Bedeutung zu, da der Fokus auf der Konfrontation mit sich selbst liegt. Hoffnung auf ein Ende des Durchhaltens kann dabei in unterschiedlichem Maße vorhanden sein. Der Durchhaltewille kann in nuce mit den Worten Ernst Bertrams (1884–1957) als eine ‚Haltung des Dennoch‘ beschrieben werden.8Vgl. Bluhm: Auf verlorenem Posten, 2012, 111–113; sowie Detering: „Heroischer Fatalismus“, 2019, 324. Die Wendung bringt zum einen die Widrigkeit der Umstände, die Beschwerlichkeit der Situation zum Ausdruck, zum anderen die innere Bereitwilligkeit, ungeachtet oder auch gerade ihretwegen standzuhalten und Haltung zu bewahren. Dies trifft sowohl für konkrete, raumzeitlich genau verortbare Durchhaltesituationen wie etwa in Krieg und Sport (s. u.) als auch für zeitdiagnostische Positionen zu. So wurde Ernst Bertrams Formulierung in der Weimarer Republik, u. a. bei Thomas Mann und Oswald Spengler, aufgegriffen und zu einer weltanschaulich-politischen Denkfigur umgewidmet, die eine sittliche, schicksalsbejahende Haltung angesichts eines bevorstehenden (kulturellen, gesellschaftlichen, politischen, …) Untergangs konturiert.9Zu der Popularität dieser Haltung in der Weimarer Republik und der Nazi-Zeit vgl. Bluhm: Auf verlorenem Posten, 2012, 113–136; spezifisch zu Thomas Mann vgl. Detering: „Heroischer Fatalismus“, 2019, 324–326. Paradigmatisch wird diese Haltung zum Beispiel in Gottfried Benns Gedicht Dennoch die Schwerter halten (1933) beschworen. Es fordert trotz des Bewusstseins um einen nahenden Untergang zur trotzigen Schicksalsbejahung (‚amor fati‘) wie zur Standhaftigkeit auf und kennzeichnet dieses Verhalten als ein heroisches.

3. Heroisierung

Spezifische Formen heroischen Handelns, die sich nicht in einer einmaligen wie kurzzeitigen ⟶Heldentat erschöpfen, erfordern auf Seiten des Helden ein hohes Maß an ‚Durchhaltewillen‘. In diesen Fällen rückt das ‚Durchhalten‘ an die Stelle einer einzigen entscheidenden Heldentat und wird selbst ⟶heroisierungsfähig. Voraussetzung dafür ist die ‚wertrationale‘ Bestimmung (Max Weber) des Durchhaltens, d. h. es muss aus dem „bewußten Glauben an den – ethischen, ästhetischen, religiösen oder wie immer sonst zu deutenden – unbedingten Eigenwert eines bestimmten Sichverhaltens“ geschehen.10Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, 1964, 17; Hervorhebung im Original. Davon zu unterscheiden sind das ‚zweckrationale‘, das ‚affektuelle‘ und das ‚traditionale‘ Handeln (vgl. ebd.). Das Heroisierungspotential des Durchhaltens ist freilich abhängig von unterschiedlichen Parametern, es bedient und modifiziert jedoch die üblichen typologischen Merkmale des Heroischen.11Diese typologischen Merkmale sind das Ergebnis der Diskussionen im Sonderforschungsbereich 948. Sie dienen zur Beschreibung der zahlreichen und häufig unterschiedlichen Heldenfiguren und ihrer Erzählungen. Im konkreten Einzelfall kann, aber muss nicht, jedes der Merkmale die Heroisierung bzw. Medialisierung kennzeichnen. Vgl. dazu auch: Schlechtriemen, Tobias: „Konstitutionsprozesse heroischer Figuren“. In: Asch, Ronald G. / Aurnhammer, Achim / Feitscher, Georg / Schreurs-Morét, Anna (Hg.): Compendium heroicum, publiziert vom Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ der Universität Freiburg, Freiburg 7.6.2018. (Zugriff am 1.4.2019.) Dabei handelt es sich stets um Zuschreibungen, die erst in der medialen Darstellung (s. u.) hervorgebracht werden.

a) Agonalität
Die Agonalität einer heroischen Handlung wird im Falle des Durchhaltens internalisiert. Sie löst sich von den externen Faktoren und wird auf den Kampf gegen sich selbst verschoben. Das Tun, d. i. das Aushalten des Zustandes und das Nichtnachgeben, wird im Zuge dessen nach innen verlagert. Was nach innen also das ausschlaggebende Moment bildet, erscheint nach außen als Nichttat.

b) Agency
Die Situation, die das Durchhalten erfordert, mag frei gewählt oder von außen erzwungen sein. Entscheidend ist allein, dass eine Bejahung seitens des Helden aus eigenem Antrieb erfolgt, also eine bewusst affirmative Positionierung gegenüber Entbehrung und Erschöpfung inszeniert wird. Erst dadurch kann das (Er-)Leiden in ein souveränes, ⟶selbstmächtiges Handeln umgedeutet werden.

c) Exzeptionalität
Die Situation, die das Durchhalten erfordert, ist eine Extremsituation. Dem Helden verlangt sie außergewöhnliche körperliche, insbesondere aber mentale Stärke und Ausdauer ab, und in dieser Hinsicht hebt er sich von der durchschnittlichen Masse ab, die zu dieser Leistung üblicherweise nicht fähig ist.

d) Transgressivität (zeitlich)
Die eigenen physischen und/oder psychischen Grenzen, die der Held ausreizt und die ihn zwingen, über sich hinauszuwachsen, sind im Durchhalten zeitlicher Natur. Es ist die lange Dauer der Durchhaltesituation, die den Helden an den Rand der physischen und/oder psychischen Erschöpfung bringt, der nicht zu erliegen den Grenzgang oder -übertritt verlangt. Die Situation stellt mithin eine Gefahr für die körperliche und seelische Gesundheit des Helden dar, gefährdet seine Existenz und kann zum Tod führen. Dieser ist maximaler Ausdruck der ⟶Grenzüberschreitung.

4. Medialisierung

Die Zuschreibungen kommen in den konkreten Heroisierungen des Durchhaltens auf je eigene Weise zum Ausdruck. Internalisierung der Agonalität im Kampf gegen das eigene Bedürfnis zur Aufgabe, ein selbstmächtiges, aktives Bejahen der alternativlosen Situation, exzeptionelles körperliches und mentales Leistungsvermögen sowie ein transgressives Über-sich-Hinauswachsen dienen in unterschiedlicher Weise dazu, das Durchhalten als eine heroische Handlung erscheinen zu lassen. So verschieden diese Zuschreibungen sind, kennzeichnet sie doch alle eine besondere Innerlichkeit: als Erprobung der eigenen physischen und psychischen Leistungsbereitschaft; als Konfrontation mit den Grenzen, die der eigene Körper setzt; als Kampf gegen sich selbst und als Affirmation des eigenen Willens.

a) Internalisierte Agonalität
Aufgrund der genannten Innerlichkeit verlangt die Heroisierung des Durchhaltens einen auffälligen Medialisierungsaufwand. Die heroische Darstellung erfüllt dabei eine doppelte und tendenziell widersprüchliche Funktion. So werden einerseits die innerlichen Vorgänge herausgehoben und gleichsam nach außen gekehrt, sodass sie für die Heroisierung nutzbar werden und die dargestellte Handlung zu einem Deutungsangebot heroischen Durchhaltens wird. Andererseits erfordern die mit der Innerlichkeit einhergehenden deheroisierenden Tendenzen einen eigenen Umgang, damit eine gegensätzliche Rezeption dieses Angebots erschwert wird. Mögliche Vertextungsstrategien solcher inneren Vorgänge, die beispielsweise der Roman bietet, sind interne Fokalisierung, Figurenrede oder Gedankenbericht bis hin zum stream of consciousness. Der Kampf gegen sich selbst – sei es im Widerstand gegen den dringenden Wunsch, zu fliehen oder, ganz im Gegenteil, zur Tat zu schreiten, sei es das Ringen mit dem sprichwörtlichen „Schweinehund“ – kann auch über Figuren im Umfeld des Durchhaltenden medial sichtbar werden, die die Handlung beispielsweise kommentieren oder als Verehrergemeinschaft staunend anerkennen und den Helden in seinem Tun bestärken. Das kann im Einzelfall sogar bedeuten, dass diese Figuren die inneren widerstreitenden Parteien und Bedürfnisse des Helden verkörpern und auf diese Weise die Handlungsoptionen, auf die der Durchhaltende selbst verzichtet, ihrerseits zum Ausdruck bringen.

b) Agency
Entscheidend ist dabei, dass auch im tendenziell entmächtigenden Handlungsspielraum, der nur die Entscheidung zwischen dem Durchhalten und seinem Gegenteil, dem Aufgeben des Durchhaltens, zulässt, die Agency des durchhaltenden Helden plausibel bleibt. Zwar zeigt sich die Brisanz der heroischen Prüfung gerade dann, wenn das Durchhalten als einzige Handlungsoption zur Aufgabe medialisiert wird. Doch damit kann die heroische Handlung semantisch kippen: Insbesondere wenn zusätzliche Kontextbedingungen des Durchhaltens wie göttliche Determiniertheit, ein militärischer Auftrag oder Wettkampfregeln hinzukommen, kann der Held auch als Getriebener verstanden werden, dessen Entscheidungen fremden Mächten überantwortet sind, oder als passiver Dulder, der die widrigen Umstände lediglich über sich ergehen lässt. Folglich lässt sich beobachten, dass die eigentlich entmächtigende, weil alternativlose Situation positiv und aktivierend umgewertet wird, zum Beispiel, indem die Haltung vor der Handlung selbst betont wird.

c) Exzeptionalität
Ein vergleichbares Kippmoment resultiert aus der heroischen Zuschreibungskategorie der exzeptionellen körperlichen und mentalen Leistung. Das Über-sich-Hinauswachsen in der Auseinandersetzung mit den Grenzen, die der eigene Körper setzt, kann auf Ebene der Darstellung als Leiden manifest gemacht werden, etwa durch eine blutende Wunde oder durch das im Schmerz verzerrte Gesicht. Medial ist dies also durch eine besondere Visibilität umgesetzt, wie sie insbesondere die Bildenden Künste, aber beispielsweise auch mimetische und beschreibende Vertextungsverfahren hervorbringen. Die innerliche und grundlegend subjektive Grenzerfahrung tritt damit als ein körperliches Geschehen an die Oberfläche – sichtbar bezeugt das Leiden die heroische Leistung. Die heroisierende Darstellung gestaltet folglich die physische und psychische Pein des Helden auf markante Weise aus, bemisst sich doch an ihr die Qualität und Exzeptionalität des heroischen Durchhaltens. Doch dieser Darstellungsfokus auf den heroischen Körper erzeugt wiederum deheroisierende Effekte, denn sie lässt den Helden des Durchhaltens weniger als abstrakte, entpersonalisierte Projektionsfigur denn als Mensch aus Fleisch und Blut hervortreten. Das Leiden, das die Leistung als ein körperliches Geschehen so affizierungsstark zum Ausdruck bringt, macht den Helden tendenziell mit seinen Rezipienten gemein. Indem die Heroisierung notwendigerweise die körperliche und seelische Qual inszeniert, stellt sie den Helden auf einen schmalen Grat: Ruft sein Handeln vorrangig Mitleid hervor, erscheint sein heroisches Durchhalten als bloßes Erleiden, das die Exzeptionalität im allzu Menschlichen verschwinden lässt.

d) Finalität und Transgressiviät
Auf einer strukturellen Ebene macht die Betonung der durativen Dimension den Zweck zum Kulminationspunkt der Handlung. So kann beispielsweise die mit dem heroischen Durchhalten verbundene psychische und physische Ausdauer auf eine Weise medial inszeniert werden, dass sie für den Rezipienten erfahrungshaft aktualisiert und nachvollziehbar wird. Zudem ist die heroische Durchhalteerzählung aufgrund ihrer Finalität mit der enormen Aufwertung eines bestimmten Zwecks oder Werts verbunden, in dem die Handlung ihren Sinn erfährt. Auch diese starke Finalität der Handlung kann ambivalente Rezeptionseffekte des heroisierten Durchhaltens bedingen. Indem nämlich die Heroisierung das Ziel in unbedingter Eindeutigkeit ausstellt, fordert sie dazu auf, Position zu beziehen, und wirft die Frage auf, ob der exponierte Zweck die entbehrungsreiche Handlung plausibel rechtfertigen kann. Die Polarisierung kann also zur Folge haben, dass die Heroisierung des Durchhaltens als unglaubwürdig wahrgenommen wird, fanatisch erscheint oder sich ins Lächerliche verkehrt.

5. Beispiele

5.1. Erster Weltkrieg

Eines der gewichtigsten Ereignisse in der Auseinandersetzung um das heroische Durchhalten stellt der Erste Weltkrieg dar. Der Einsatz fortschrittlicher Technik wie schwerer Artillerie und Maschinengewehr und der Ausbau befestigter Schützengrabensysteme zur Verteidigung machten das Primat der Offensive obsolet und beraubten traditionelle Heldenvorstellungen ihrer Gültigkeit. Vor dem Hintergrund des andauernden Stellungskrieges an der Westfront, der horrende Opferzahlen bei nur unwesentlichen Gebietsgewinnen forderte, avancierte das ‚Durchhalten‘ zu einem der zentralen Schlagworte der ⟶Kriegspropaganda der kriegführenden Staaten. Ihren Niederschlag fand die Durchhalterhetorik hauptsächlich in den (kriegsaffirmativen) Zeitungen, wurde aber auch von den ⟶Soldaten selbst in Feldpostbriefen aufgenommen.12Vgl. Reimann, Aribert: Der große Krieg der Sprachen. Untersuchungen zur historischen Semantik in Deutschland und England zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Essen 2000: Klartext, 28–48. Auf Plakaten und Postkarten wurde sie bildlich umgesetzt: Gezeigt wurden idealisierte Bilder des ‚stählernen Kämpfers‘, etwa in Fritz Erlers Plakat zur sechsten Kriegsanleihe vom Frühjahr 1917 (Mann mit dem Stahlhelm vor Verdun). Es stellt einen Soldaten in Uniform und Stahlhelm, zwei Handgranaten in der Tasche und einer Gasmaske um den Hals dar. Der Krieg wird durch den Stacheldraht präsent gemacht und zugleich in den Hintergrund gerückt, der Fokus liegt auf der Willens- und Nervenstärke des Soldaten. Auf seinem Gesicht liegt ein entschiedener Ausdruck, seine Augen leuchten und schauen in die Ferne. Unverkennbar verkörpert der dargestellte Soldat die Tugend des heroischen Durchhaltens bis zum erwarteten Sieg.13Zum Plakat Fritz Erlers vgl. Bruendel, Steffen: „Vor-Bilder des Durchhaltens. Die deutsche Kriegsanleihe-Werbung 1917/18“. In: Bauerkämper, Arnd / Julien, Elise (Hg.): Durchhalten! Krieg und Gesellschaft im Vergleich. Göttingen 2010: Vandenhoeck & Ruprecht, 81–108, und Hoffmann, Detlef: „Der Mann mit dem Stahlhelm vor Verdun. Fritz Erlers Plakat zur sechsten Kriegsanleihe 1917“. In: Hinz, Berthold / Mittig, Hans-Ernst / Schäche, Wolfgang / Schönberger, Angela (Hg.): Die Dekoration der Gewalt. Kunst und Medien im Faschismus. Gießen 1979: Anabas, 101–114. Zum Wandel des Soldaten- bzw. Männerbildes vgl. Hüppauf, Bernd: „Schlachtenmythen und die Konstruktion des ‚Neuen Menschen‘“. In: Hirschfeld, Gerhard / Krumeich, Gerd (Hg.): Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch… Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkrieges. Essen 1993: Klartext, 43–84; Ulrich, Bernd: „Krieg der Nerven, Krieg des Willens“. In: Werber, Niels / Kaufmann, Stefan / Koch, Lars (Hg.): Erster Weltkrieg. Kulturwissenschaftliches Handbuch. Stuttgart/Weimar 2014: Metzler, 232–258; sowie Reulecke, Jürgen: „Vom Kämpfer zum Krieger – Zum Wandel der Ästhetik des Männerbildes während des Ersten Weltkriegs“. In: Autsch, Sabiene (Hg.): Der Krieg als Reise. Der Erste Weltkrieg – Inneneinsichten. Siegen 1999: Carl Böschen, 52–62.

Fritz Erler: Mann mit dem Stahlhelm vor Verdun, 1917
Fritz Erler: „Mann mit dem Stahlhelm vor Verdun“
Fritz Erler: „Mann mit dem Stahlhelm vor Verdun“
Fritz Erler: „Mann mit dem Stahlhelm vor Verdun“
1917, Farblithographie, 72 x 55 cm, Druck von Fritz Maison München, The Imperial War Museum Posters Collection, Q 75995.
Lizenz

Gemeinfrei

Quelle

User:1970gemini / Wikimedia Commons (Zugriff am 26.10.2022)

Fritz Erler: „Mann mit dem Stahlhelm vor Verdun“
1917, Farblithographie, 72 x 55 cm, Druck von Fritz Maison München, The Imperial War Museum Posters Collection, Q 75995.
Quelle: User:1970gemini / Wikimedia Commons (Zugriff am 26.10.2022)
Lizenz: Gemeinfrei

Daneben beteiligte sich auch das Theater als „kulturelle Praxis von hoher zeitgenössischer Relevanz und als wichtige[s] öffentliche[s] Forum“14Baumeister, Martin: Kriegstheater. Großstadt, Front und Massenkultur 1914–1918. Essen 2005: Klartext, 7. an dem Durchhaltediskurs. Insbesondere in Deutschland thematisierten zahlreiche Stücke die veränderte Kriegsführung und die damit zusammenhängende Fortdauer des Krieges, und beschworen Vaterlandsliebe, Ehre, Treue, Kameradschaft, Standfestigkeit und Durchhaltevermögen des Heeres. Stellvertretend sei hier auf Paul Seifferts (1866–1939) Kriegsstück mit dem sprechenden Titel Dennoch durch! (1917) verwiesen. Der Dreiakter inszeniert die Meldung der Kriegsfreiwilligen im September 1914 sowie ihre Abfahrt an die Westfront (I), das Warten der Soldaten auf den Angriffsbefehl in einem Unterstand bei Soissons im Januar 1915 (II) und das Eintreffen der Nachricht vom Heldentod des Protagonisten Georg im Elternhaus (III). Aufschlussreich für die Frage des Durchhaltens ist der zweite Akt, der im Wesentlichen eine Auseinandersetzung mit dem Grabenkrieg und dessen Implikationen darstellt. Bedeutsam ist der eingeschränkte Handlungsspielraum der Soldaten, was auch im Raum semantisiert wird. Der Unterstand ist eng und dunkel, ruft ein Gefühl der Eingeschlossenheit hervor und wird einem Maulwurfgraben gleichgesetzt.15Vgl. Seiffert, Paul: Dennoch durch! Deutsches Schauspiel aus dem Weltkriege. Berlin 1917: Rohde, 26. Während in der Ferne die Kämpfe bereits begonnen haben, lautet der Befehl, nach wie vor zu warten und die Stellung zu halten. Die Handlungsoptionen der Soldaten beschränken sich mithin auf das ‚Ausharren bis zum Angriffsbefehl‘ einerseits und dem Erliegen der sich als körperliches Verlangen manifestierenden Kampfeslust und damit verbunden einem frühzeitigen Sturm andererseits. Letzteres würde jedoch in eine sichere Niederlage münden. Nur ein geduldiges Aus- und Durchhalten, so will es der Text, verbürgt den Sieg dieser Schlacht und in metonymischer Parallelsetzung den Sieg des gesamten Krieges. So besteht der zweite Akt weniger aus konkreter Handlung als aus den Diskussionen der Soldaten um den Wartebefehl, die sich in zwei Lager spalten. Auf der einen Seite steht Georg, dem die Führung der Mannschaft überantwortet ist und der den Wartebefehl gehorsam befolgt, wenn er auch die zur Unterlassung der Tat übermenschliche Anstrengung beklagt.16Vgl. z. B. ebd., 25, 30. Die restlichen Soldaten auf der anderen Seite, die immer wieder auf eine Offensivtat drängen und die er davon abzuhalten versucht17Vgl. insbes. ebd., 26–31., dienen als Kontrastfiguren. Das Hadern Georgs wird damit auf die Mannschaft projiziert, die internalisierte Agonalität ausgelagert und für das Publikum sichtbar gemacht. Georg gelingt es schließlich, seine Mannschaft, trotz der Beschwerlichkeiten im Schützengraben wie Kälte und Nässe, aber auch Ödnis und Langeweile, von der Notwendigkeit des Abwartens und Durchhaltens zu überzeugen. Indes kommt es zu keiner Problematisierung des Befehls und es gilt im Dramentext als gesichert, dass seine Befolgung den Schutz der Heimat gewährleisten wird. Georgs Handeln unterliegt ausschließlich einem Pflichtethos gegenüber dem Vaterland:

„Warum des Schützengrabens Maulwurfsöde? […]
Warum nur können wir in soviel Dreck und Graus –
warum nur wollen wir im Höllengraben
ganz stille – feste – zähe – übermenschlich warten?!?
Weils nötig ist fürs Vaterland!
[…]
Und wer des Schützengrabens schwere Wartezeit
durch ungeduldges Stürmen stört –:
wer gar in feiger Seelenmattigkeit
nur eine einzge Lücke beut dem Feinde –:
der bringt das ganze Vaterland in Not.
Drum für die liebe Heimat,
für unsre Väter, Mütter und Geschwister
ist uns der Schützengraben not. –
Ists schwer auch – dennoch durch!“

Die Soldaten stimmen daraufhin im Chor „Wir wollen warten!“ gemeinsam ein.18Ebd., 31. In Georgs Ansprache und der Reaktion seiner Mannschaft wird deutlich, dass die Wartesituation eine von außen veranlasste ist, die allerdings eine Positionierung der Soldaten bedingt. Nachdem Georg die Truppe von der Notwendigkeit des Aus- und Durchhaltens überzeugt hat, nehmen die Soldaten aktiv und bewusst die ab- und erwartende Haltung ein und deuten ihr Warten in ein selbstbestimmtes Handeln um. In einer Art Schwur gelobt die Mannschaft: „wir halten zähe durch, bis wirs erreicht: den Sieg!“19Ebd., 38.

5.2. Radsport

Der Roman Le Tour de Souffrance von André Reuze aus dem Jahr 192520Reuze, André: Le Tour de Souffrance. Paris 1925: Fayard. Die deutsche Übersetzung: Reuze, André: Giganten der Landstraße: ein Rennfahrer-Roman. Übers. von Fred Antoine Angermayer. Berlin 1928: Büchergilde [sowie Reuze, André: Giganten der Landstraße: ein Tour-de-France-Roman. Übers. von Fred Antoine Angermayer. Berlin 1998: SVB Sportverlag] weicht an einigen Stellen erheblich vom Original ab. Die Übersetzungen sind im Folgenden der Auflage von 1998 entnommen. kann als Durchhalteerzählung bezeichnet werden. Den „Héros inutiles. Héros quand même“ gewidmet, inszeniert der Text die „Tour de France“ gemäß seinem Titel als einen Parcours, der die Radfahrer an die Grenzen ihrer körperlichen und psychischen Belastbarkeit bringt.21Zum Folgenden vgl. auch: Gamper, Michael: „Körperhelden. Der Sportler als ‚großer Mann‘ in der Weimarer Republik“. In: Fleig, Anne / Nübel, Birgit (Hg.): Figurationen der Moderne. Mode, Sport und Pornographie. München 2001: Wilhelm Fink, 145–166; sowie das Kapitel: „The Géants de la Route: Gender and Heroism“. In: Thompson, Christopher: The Tour de France. A Cultural History. Berkeley u. a. 2008: University of California Press, 95–140. Bis zum Ende der Tour durchzuhalten, ist dabei die sportliche Herausforderung und Voraussetzung des Sieges. So erklärt der Sportjournalist Ravenelle: „Oui, monsieur, c’est ça le Tour. Il ne s’agit seulement de pédaler avec ses muscles, avec sa volonté et puis à coup de drogues […], il faut rester sur la selle malgré les courbatures, les furoncles, les plaies, pendant un mois et 5.416 kilomètres.“22Reuze: Tour, 1925, 17; „Allerdings, verehrter Herr! Tja, das ist eben die Tour… […] Da heißt es nicht nur allein mit Muskeln, Willen oder Doping antreten, sondern auch, trotz Furunkel und Wunden, 5400 Kilometer lang, dreißig Tage, im Sattel sitzen.“ (Reuze: Giganten, 1998, 16). Dauer und Finalität, die Prinzipien des Durchhaltens, strukturieren den Text: Der Roman setzt ein am Vorabend des Tourbeginns, erzählt vom Wettkampf in der Reihenfolge seiner täglichen Etappen und schließt mit der Einfahrt ins Prinzenparkstadion und dem Sieg des jungen Radfahrers Chevillard. Stellvertreten durch Ravenelle und den Maler Manguy, die die Tour im Auto begleiten, folgt der Leser dem wechselhaften Geschehen, das nach und nach auch zeitweise handlungsleitende Figuren zur Aufgabe zwingt. Nüchtern registriert die Erzählerstimme diesen stetigen Schwund im Feld; zu „survivants“, zu Überlebenden, werden jene Radfahrer, die weiterhin durchhalten. Die widrigen Umstände des Wettkampfs wie Wetter und Strecke, Stürze und Reifenpannen zeigen sich an den geschundenen Körpern der Tourteilnehmer, sodass der Kampf gegen Berge, Hitze und schadhaftes Material als ein Kampf gegen sich selbst erscheint. Die Bedingungen des Durchhaltens und die Spuren, die sie am Körper des Sportlers hinterlassen, werden auf diese Weise miteinander identifiziert. Augenfällig zeigt sich dies in der häufigen Formulierung „X a crevé“, die das Platzen des Fahrradschlauchs metonymisch auf den Radfahrer selbst überträgt.

In ihrem Durchhalten sind die Radfahrer jedoch zugleich „magnifique et pitoyable“ – so herrlich wie bemitleidenswert. Zwischen diesen Polen der Bewunderung und des Bedauerns schwankend, stellt Reuzes Roman Durchhaltehelden dar, deren heroischer Status stets zu kippen droht. Zwar finden sich durchaus Passagen, mit denen die Widmung an die Helden der Tour ihre Berechtigung erfährt. So heißt es beispielsweise über den ehemaligen Toursieger Tampier beim Berganstieg auf den Col d’Aubisque: „On eût dit que, centaure moderne s’élevant vers l’infini au-dessus des forces humaines, il allait par delà les cimes, retourner à la légende.“23 Reuze: Tour, 1925, 148f.; „Es sah aus, als wollte er – ein moderner Zentaur, der sich über alle Menschenkraft hinaus steigerte – über die Gipfel jenseits der Berge ins Land der Legende zurückkehren.“ (Reuze: Giganten, 1998, 139). Diesen heroisierenden Zuschreibungen stehen jedoch Dekonstruktionen des Helden gegenüber, die ihre Wirksamkeit ebenfalls aus der Darstellung des Durchhaltens ziehen. Neben der bereits erwähnten Betonung des körperlichen Leidens, mit der die Radfahrer zu erbarmungs- statt bewunderungswürdigen Figuren werden, ist hierbei beispielsweise der Zynismus der Tourveranstalters zu nennen, der im Roman reflektiert und handlungsintern diskutiert wird. So wird wiederkehrend darauf verwiesen, dass das Durchhalten und Über-sich-Hinauswachsen der Radfahrer, ja ihre Heroisierung selbst, letztlich ökonomischen Zwecken dient. „Tant d’énergie galvanise la foule. Pour entretenir chez celle-ci un enthousiasme nécessaire on a d’année en année, rendu l’itinéraire plus pénible et donné des tours de vis au garrot du règlement. Avec ça on fait, sinon des dieux, du moins des idoles“24Reuze: Tour, 1925, 24; „Begreiflicherweise werden die Massen durch so viel Energie mitgerissen und elektrisiert. Um nun diese Massenbegeisterung nicht erlahmen zu lassen, wird die Strecke der Rundfahrt jedes Jahr schwieriger gestaltet, und dadurch werden die Radfahrer zu Volkshelden!“ (Reuze: Giganten, 1998, 22). Zum Verhältnis von Sportheld und Celebrity vgl. auch: Inglis, Fred: A Short History of Celebrity. Princeton u. a. 2010: Princeton University Press., sagt Ravenelle und bringt damit den Zusammenhang von Heroisierung und Werbewirksamkeit auf den Punkt. Vom Management erpresst und betrogen, von Verträgen zu einer sportlichen Überlastung verpflichtet, mit der sie ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, sowie – metaphorisch – gejagt vom Zug der Begleitfahrzeuge25U. a.: „Les autos aux énormes yeux de feu étaient devenues de rugissants monstres de légende, lancés sur la fuite terrifiée d’êtres falots et frénétiques.“ (Reuze: Tour, 1925, 27); „Die mit riesigen Flammenaugen glotzenden Autos schienen sich zu brüllenden Sagenungetümen zu verwandeln, die der wild dahinfliegenden Rädermeute nachjagten.“ (Reuze: Giganten, 1998, 25)., erscheinen die Radfahrer ihrer Agency beraubt.

Reuzes Roman kennzeichnet also eine Darstellungsweise des Durchhaltens, mit der Helden sowohl hervorgebracht als auch in Frage gestellt werden. Der französische Romantitel einerseits sowie dessen Übersetzung ins Deutsche andererseits fixieren in ihrer Gegensätzlichkeit diese Ambivalenz: Stellt die Überschrift des Originals mithilfe eines nicht übersetzbaren Wortspiels Leiden und körperliche Anstrengung des sportlichen Durchhaltens in den Vordergrund, so behauptet die Übersetzung „Giganten der Landstraße“ eine Heroisierung des Durchhaltens, die der Roman so letztlich nicht einlöst.

6. Einzelnachweise

  • 1
    So gibt Duden Online unter ‚durchhalten‘ als Synonym ‚nicht aufgeben‘ an. Online unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/durchhalten (Zugriff am 1.4.2019).
  • 2
    Detering, Nicolas: „Heroischer Fatalismus. Denkfiguren des ‚Durchhaltens‘ von Nietzsche bis Seghers“. In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, Neue Folge 60 (2019), 317–339. Die Überlegungen wurden präsentiert im Rahmen eines durch den Sonderforschungsbereich 948 / Teilprojekt D6 organisierten Workshops am 19. Januar 2018. Wesentliche Anregungen v. a. im Hinblick auf die Definition des ‚Durchhaltens‘ verdankt vorliegender Artikel dieser Arbeit.
  • 3
    Bluhm, Lothar: Auf verlorenem Posten. Ein Streifzug durch die Geschichte eines Sprachbildes. Trier 2012: Wissenschaftlicher Verlag Trier.
  • 4
    Vgl. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Studienausgabe hg. von Johannes Winckelmann. Erster Halbband. Köln/Berlin 1964: Kiepenheuer & Witsch, 16. Ausführlich zu Webers Handlungsbegriff und seiner Indienstnahme für eine Heuristik des Heroischen vgl. Aurnhammer, Achim / Klessinger, Hanna: „Was macht Schillers Wilhelm Tell zum Helden? Eine deskriptive Heuristik heroischen Handelns“. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 62 (2018), 127–149, hier 130–132.
  • 5
    Detering: „Heroischer Fatalismus“, 2019, 321, nennt die Widerstandskraft eines antagonistischen Gegenübers, widrige Witterungsbedingungen und die schlicht nicht enden wollende Zeit. Zu ergänzen ist diese Liste – insbesondere im Hinblick auf den Sport als zentrale Domäne des ‚Durchhaltens‘ – durch die körperliche Verausgabung, aber auch durch Druck auf gesellschaftlicher oder politischer Ebene, wie das Beispiel Mandela zeigt.
  • 6
    Die Parallele in erster Linie zum Stoizismus zieht auch Detering: „Heroischer Fatalismus“, 2019, 321.
  • 7
    Die Finalität als zentrale Komponente des ‚Durchhaltens‘ diskutiert auch Detering: „Heroischer Fatalismus“, 2019, 320–321, ohne jedoch den Bezug zur Sinngebung und Legitimierung herzustellen.
  • 8
    Vgl. Bluhm: Auf verlorenem Posten, 2012, 111–113; sowie Detering: „Heroischer Fatalismus“, 2019, 324.
  • 9
    Zu der Popularität dieser Haltung in der Weimarer Republik und der Nazi-Zeit vgl. Bluhm: Auf verlorenem Posten, 2012, 113–136; spezifisch zu Thomas Mann vgl. Detering: „Heroischer Fatalismus“, 2019, 324–326.
  • 10
    Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, 1964, 17; Hervorhebung im Original. Davon zu unterscheiden sind das ‚zweckrationale‘, das ‚affektuelle‘ und das ‚traditionale‘ Handeln (vgl. ebd.).
  • 11
    Diese typologischen Merkmale sind das Ergebnis der Diskussionen im Sonderforschungsbereich 948. Sie dienen zur Beschreibung der zahlreichen und häufig unterschiedlichen Heldenfiguren und ihrer Erzählungen. Im konkreten Einzelfall kann, aber muss nicht, jedes der Merkmale die Heroisierung bzw. Medialisierung kennzeichnen. Vgl. dazu auch: Schlechtriemen, Tobias: „Konstitutionsprozesse heroischer Figuren“. In: Asch, Ronald G. / Aurnhammer, Achim / Feitscher, Georg / Schreurs-Morét, Anna (Hg.): Compendium heroicum, publiziert vom Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ der Universität Freiburg, Freiburg 7.6.2018. (Zugriff am 1.4.2019.)
  • 12
    Vgl. Reimann, Aribert: Der große Krieg der Sprachen. Untersuchungen zur historischen Semantik in Deutschland und England zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Essen 2000: Klartext, 28–48.
  • 13
    Zum Plakat Fritz Erlers vgl. Bruendel, Steffen: „Vor-Bilder des Durchhaltens. Die deutsche Kriegsanleihe-Werbung 1917/18“. In: Bauerkämper, Arnd / Julien, Elise (Hg.): Durchhalten! Krieg und Gesellschaft im Vergleich. Göttingen 2010: Vandenhoeck & Ruprecht, 81–108, und Hoffmann, Detlef: „Der Mann mit dem Stahlhelm vor Verdun. Fritz Erlers Plakat zur sechsten Kriegsanleihe 1917“. In: Hinz, Berthold / Mittig, Hans-Ernst / Schäche, Wolfgang / Schönberger, Angela (Hg.): Die Dekoration der Gewalt. Kunst und Medien im Faschismus. Gießen 1979: Anabas, 101–114. Zum Wandel des Soldaten- bzw. Männerbildes vgl. Hüppauf, Bernd: „Schlachtenmythen und die Konstruktion des ‚Neuen Menschen‘“. In: Hirschfeld, Gerhard / Krumeich, Gerd (Hg.): Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch… Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkrieges. Essen 1993: Klartext, 43–84; Ulrich, Bernd: „Krieg der Nerven, Krieg des Willens“. In: Werber, Niels / Kaufmann, Stefan / Koch, Lars (Hg.): Erster Weltkrieg. Kulturwissenschaftliches Handbuch. Stuttgart/Weimar 2014: Metzler, 232–258; sowie Reulecke, Jürgen: „Vom Kämpfer zum Krieger – Zum Wandel der Ästhetik des Männerbildes während des Ersten Weltkriegs“. In: Autsch, Sabiene (Hg.): Der Krieg als Reise. Der Erste Weltkrieg – Inneneinsichten. Siegen 1999: Carl Böschen, 52–62.
  • 14
    Baumeister, Martin: Kriegstheater. Großstadt, Front und Massenkultur 1914–1918. Essen 2005: Klartext, 7.
  • 15
    Vgl. Seiffert, Paul: Dennoch durch! Deutsches Schauspiel aus dem Weltkriege. Berlin 1917: Rohde, 26.
  • 16
    Vgl. z. B. ebd., 25, 30.
  • 17
    Vgl. insbes. ebd., 26–31.
  • 18
    Ebd., 31.
  • 19
    Ebd., 38.
  • 20
    Reuze, André: Le Tour de Souffrance. Paris 1925: Fayard. Die deutsche Übersetzung: Reuze, André: Giganten der Landstraße: ein Rennfahrer-Roman. Übers. von Fred Antoine Angermayer. Berlin 1928: Büchergilde [sowie Reuze, André: Giganten der Landstraße: ein Tour-de-France-Roman. Übers. von Fred Antoine Angermayer. Berlin 1998: SVB Sportverlag] weicht an einigen Stellen erheblich vom Original ab. Die Übersetzungen sind im Folgenden der Auflage von 1998 entnommen.
  • 21
    Zum Folgenden vgl. auch: Gamper, Michael: „Körperhelden. Der Sportler als ‚großer Mann‘ in der Weimarer Republik“. In: Fleig, Anne / Nübel, Birgit (Hg.): Figurationen der Moderne. Mode, Sport und Pornographie. München 2001: Wilhelm Fink, 145–166; sowie das Kapitel: „The Géants de la Route: Gender and Heroism“. In: Thompson, Christopher: The Tour de France. A Cultural History. Berkeley u. a. 2008: University of California Press, 95–140.
  • 22
    Reuze: Tour, 1925, 17; „Allerdings, verehrter Herr! Tja, das ist eben die Tour… […] Da heißt es nicht nur allein mit Muskeln, Willen oder Doping antreten, sondern auch, trotz Furunkel und Wunden, 5400 Kilometer lang, dreißig Tage, im Sattel sitzen.“ (Reuze: Giganten, 1998, 16).
  • 23
    Reuze: Tour, 1925, 148f.; „Es sah aus, als wollte er – ein moderner Zentaur, der sich über alle Menschenkraft hinaus steigerte – über die Gipfel jenseits der Berge ins Land der Legende zurückkehren.“ (Reuze: Giganten, 1998, 139).
  • 24
    Reuze: Tour, 1925, 24; „Begreiflicherweise werden die Massen durch so viel Energie mitgerissen und elektrisiert. Um nun diese Massenbegeisterung nicht erlahmen zu lassen, wird die Strecke der Rundfahrt jedes Jahr schwieriger gestaltet, und dadurch werden die Radfahrer zu Volkshelden!“ (Reuze: Giganten, 1998, 22). Zum Verhältnis von Sportheld und Celebrity vgl. auch: Inglis, Fred: A Short History of Celebrity. Princeton u. a. 2010: Princeton University Press.
  • 25
    U. a.: „Les autos aux énormes yeux de feu étaient devenues de rugissants monstres de légende, lancés sur la fuite terrifiée d’êtres falots et frénétiques.“ (Reuze: Tour, 1925, 27); „Die mit riesigen Flammenaugen glotzenden Autos schienen sich zu brüllenden Sagenungetümen zu verwandeln, die der wild dahinfliegenden Rädermeute nachjagten.“ (Reuze: Giganten, 1998, 25).

7. Ausgewählte Literatur

  • Aurnhammer, Achim / Klessinger, Hanna: „Was macht Schillers Wilhelm Tell zum Helden? Eine deskriptive Heuristik heroischen Handelns“. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 62 (2018), 127–149.
  • Baumeister, Martin: Kriegstheater. Großstadt, Front und Massenkultur 1914–1918. Essen 2005: Klartext.
  • Bluhm, Lothar: Auf verlorenem Posten. Ein Streifzug durch die Geschichte eines Sprachbildes. Trier 2012: Wissenschaftlicher Verlag Trier.
  • Bruendel, Steffen: „Vor-Bilder des Durchhaltens. Die deutsche Kriegsanleihe-Werbung 1917/18“. In: Bauerkämpfer, Arnd / Julien, Elise (Hg.): Durchhalten! Krieg und Gesellschaft im Vergleich. Göttingen 2010: Vandenhoeck & Ruprecht, 81–108.
  • Detering, Nicolas: „Heroischer Fatalismus. Denkfiguren des ‚Durchhaltens‘ von Nietzsche bis Seghers“. In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, Neue Folge 60 (2019), 317–339.
  • Gamper, Michael: „Körperhelden. Der Sportler als ‚großer Mann‘ in der Weimarer Republik“. In: Fleig, Anne / Nübel, Birgit (Hg.): Figurationen der Moderne. Mode, Sport und Pornographie. München 2001: Wilhelm Fink, 145–166.
  • Hoffmann, Detlef: „Der Mann mit dem Stahlhelm vor Verdun. Fritz Erlers Plakat zur sechsten Kriegsanleihe 1917“. In: Hinz, Berthold / Mittig, Hans-Ernst / Schäche, Wolfgang / Schönberger, Angela (Hg.): Die Dekoration der Gewalt. Kunst und Medien im Faschismus. Gießen 1979: Anabas, 101–114.
  • Hüppauf, Bernd: „Schlachtenmythen und die Konstruktion des ‚Neuen Menschen‘“. In: Hirschfeld, Gerhard / Krumeich, Gerd (Hg.): Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch… Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkrieges. Essen 1993: Klartext, 43–84.
  • Inglis, Fred: A Short History of Celebrity. Princeton u. a. 2010: Princeton University Press.
  • Reimann, Aribert: Der große Krieg der Sprachen. Untersuchungen zur historischen Semantik in Deutschland und England zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Essen 2000: Klartext.
  • Reulecke, Jürgen: „Vom Kämpfer zum Krieger – Zum Wandel der Ästhetik des Männerbildes während des Ersten Weltkriegs“. In: Autsch, Sabiene (Hg.): Der Krieg als Reise. Der Erste Weltkrieg – Inneneinsichten. Siegen 1999: Carl Böschen, 52–62.
  • Reuze, André: Le Tour de Souffrance. Paris 1925: Fayard.
  • Reuze, André: Giganten der Landstraße: ein Tour-de-France-Roman. Übers. von Fred Antoine Angermayer. Berlin 1998: SVB Sportverlag.
  • Schlechtriemen, Tobias: „Konstitutionsprozesse heroischer Figuren“. In: Asch, Ronald G. / Aurnhammer, Achim / Feitscher, Georg / Schreurs-Morét, Anna (Hg.): Compendium heroicum, publiziert vom Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ der Universität Freiburg, Freiburg 7.6.2018. (Zugriff am 1.4.2019).
  • Seiffert, Paul: Dennoch durch! Deutsches Schauspiel aus dem Weltkriege. Berlin 1917: Rohde.
  • Thompson, Christopher: The Tour de France. A Cultural History. Berkeley u.a. 2008: University of California Press, 95–140.
  • Ulrich, Bernd: „Krieg der Nerven, Krieg des Willens“. In: Werber, Niels / Kaufmann, Stefan / Koch, Lars (Hg.): Erster Weltkrieg. Kulturwissenschaftliches Handbuch. Stuttgart/Weimar 2014: Metzler, 232–258.
  • Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Studienausgabe hg. von Johannes Winckelmann. Erster Halbband. Köln/Berlin 1964: Kiepenheuer & Witsch.

8. Abbildungsnachweise

  • Teaserbild:
    Fritz Erler: „Mann mit dem Stahlhelm vor Verdun“, 1917, Farblithographie, 72 x 55 cm, Druck von Fritz Maison München, The Imperial War Museum Posters Collection, Q 75995.
    Quelle: User:1970gemini / Wikimedia Commons (Zugriff am 1.4.2019)
    Lizenz: Gemeinfrei
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    Fritz Erler: „Mann mit dem Stahlhelm vor Verdun“, 1917, Farblithographie, 72 x 55 cm, Druck von Fritz Maison München, The Imperial War Museum Posters Collection, Q 75995.
    Quelle: User:1970gemini / Wikimedia Commons (Zugriff am 26.10.2022)
    Lizenz: Gemeinfrei

Zitierweise

Claudia Müller / Isabell Oberle: Durchhalten. In: Compendium heroicum. Hg. von Ronald G. Asch, Achim Aurnhammer, Georg Feitscher und Anna Schreurs-Morét, publiziert vom Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ der Universität Freiburg, Freiburg 12.02.2020. DOI: 10.6094/heroicum/dud1.1.20200212