Unter dem ultimativen Primat des Ökonomischen wird auch das Phänomen des Heros neu gedeutet. Der Held ist seit jeher Repräsentant einer vita activa und des affirmativen Wirklichkeitsverständnisses. In einer globalen Marktwirtschaft ist sein bevorzugtes Betätigungsfeld jedoch nicht länger die militärische Expedition, sondern der ökonomische Feldzug zur Eroberung von Marktanteilen. Die Maßgabe des Erfolges ist dabei weniger der Ruhm, sondern die Numerik von Umsatz, Rendite und Profit. Ähnlich wie der – historisch problematisierte – militärische Held1, setzt sich der idealtypische unternehmerische Heros gegen widrige äußere Umstände und Wettbewerber durch, überwindet administrative Hindernisse, erweist sich als talentierter Taktiker und weitsichtiger Stratege.2 Es überrascht nicht, dass genau diese Kernbegriffe des zeitgenössischen Marketings aus dem militärischen Komplex entlehnt sind.3
Die weitverbreitete Fama des erfolgreichen Unternehmertums aus eigener Kraft und Tüchtigkeit ist eng mit dem Aufstieg des Kapitalismus angelsächsischer Prägung und dessen religiöser Verankerung verknüpft.4 Die archetypische Vorstellung ist der sprichwörtliche Werdegang ‚vom Tellerwäscher zum Millionär‘ bzw. die Vorstellung des sogenannten Selfmade Man.5 Dieses Wunschbild ist zwar statistisch gesehen außerordentlich unwahrscheinlich, aber gesellschaftlich enorm wirkungsmächtig. Denn das unternehmerische Erfolgs- und Karriereversprechen impliziert die Möglichkeit eines Aufstiegs zu wirtschaftlicher, wenn nicht gar geschichtlicher Größe. Das historische Epitheton der Größe, im direkten wie im übertragenen Sinne, findet sich in den sprichwörtlichen Wendungen Big Business, To Big to Fail sowie im Slogan des amerikanischen Politiker-Unternehmers Donald Trump, Make America Great Again, wieder. Die Insignien des ökonomischen Erfolges ähneln dabei jenen der feudalen Minoritäten, die ihre elevierte Gesellschaftsposition der eigenen Rücksichtslosigkeit und restriktiven Anwendung des Ehrbegriffes verdankten.6 Die ökonomischen Eliten treten das Erbe der romantisch verklärten Aristokratie an und vereinnahmen ihre sichtbaren Attribute wie gesellschaftliches Repräsentationsbedürfnis, Kunstsinnigkeit sowie die Vorliebe für riskante und ausgefallene Sportarten. Die höchste Stufe freien Unternehmertums erreicht dabei der Tycoon als Exponent einer Wirtschaftsbranche.7 Der kompetitive Aspekt unternehmerischen Handelns äußert sich in zahlreichen Umsatz- und Vermögensrankings (Forbes-Liste, Indices, Einkommenslisten von Top-Managern etc.). Auch die amerikanische Autorin Ayn Rand liefert in ihren Romanen The Fountainhead (1943) und Atlas Shrugged (1957) eine geradezu hymnische Darstellung des durchsetzungsfähigen Selfmade Man.8
Der Unternehmer als gesellschaftlich dominanter Typus ist eng mit dem Entstehen der modernen Industriegesellschaft und ihrer Medialisierung im 19. Jahrhundert verbunden. Parallel zu seinem gesellschaftlichen Aufstieg vollzieht sich seine Literarisierung, etwa in dem Romanzyklus La Comédie humaine (ab 1825) von Balzac, bei Wilhelm Hauff (Das kalte Herz, 1827), Adalbert Stifter (Abdias, 1842) sowie Anfang des 20. Jahrhunderts bei Theodore Dreiser (The Financier; An American Tragedy). Marxistisch geprägte Autoren sehen den kapitalistischen Typus ausgesprochen kritisch. Vor allem Bertolt Brecht greift die dramatisch ergiebige Figur des Unternehmers als Verkörperung des Kapitalismus (Die Dreigroschenoper) häufiger auf; dabei werden auch weibliche Entrepreneure in Szene gesetzt (Der gute Mensch von Sezuan; Die heilige Johanna der Schlachthöfe; Mutter Courage). Brecht unterstreicht dabei den aus seiner Sicht zwingenden Zusammenhang von Aufstieg, Privileg und Fremdausbeutung. Citizen Kane, der bahnbrechende Film Orson Welles’ von 1941, ist einer historischen Unternehmerfigur, dem amerikanischen Zeitungsmagnaten Randolph Hearst, nachgebildet. Welles’ interpretatorischer Ansatz ist jedoch nicht explizit kapitalismuskritisch; vielmehr deutet er das Schicksal seines Filmhelden existentiell als den unausweichlichen Weg in die persönliche Isolation. Eine weitere filmische Würdigung des freien Unternehmertums und seiner komplexen zeitgeschichtlichen Verwicklungen ist Luchino Viscontis melodramatisches Epos Die Verdammten (La caduta degli dei, 1969), welches den moralischen Niedergang einer Industriellendynastie im Dritten Reich nachzeichnet.9
Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Unternehmertum findet sich in bemerkenswerter Häufung in der französischen Romanliteratur seit der Jahrtausendwende, exemplarisch in den Werken der zeitgenössischen Autoren Michel Houellebecq (La carte et le territoire, 2010), Pierre Lemaitre (Au revoir là-haut, 2013) und Jérôme Ferrari (Un dieu un animal, 2009). Wo das Signum gesellschaftlichen Erfolges einzig materieller Reichtum ist, kann auch die dramatische Fallhöhe nur materiell ermessen werden. Erfolg wird ausschließlich zum Maß des gelingenden Lebens. Mit seinem Roman Johann Holtrop (2012) zeichnet Rainald Goetz ein solches Unternehmerschicksal ironisierend nach.10 Zuvor lieferte schon Thomas Bernhard mit Wittgensteins Neffe (1982) eine melancholische Reflexion über den unternehmerischen Nachfahren.
Affirmative Darstellungen des aktiven Unternehmertums werden in der internationalen Managementliteratur publiziert, vor allem in der aktuellen Wirtschaftspresse. Sofern Medienunternehmen von ihren Gründern oder deren Nachfolgern selbst geführt werden11, ist die unkritisch-positive Darstellung des Entrepreneurs als wirtschaftlicher Hauptdarsteller gewährleist. Autorisierte Biographien von Unternehmern und ihrem Lebenswerk sind zudem oftmals journalistische Auftragsarbeiten, deren Zweck es ist, ein möglichst positives Bild der geschilderten Person zu vermitteln. Auch die amerikanische Unterhaltungsindustrie lieferte mit den global ausgestrahlten Serien Dallas (1978–1991) und Dynasty (1981–1989, dt. Der Denver-Clan) massenwirksame Trivialstudien zur Gesellschaftsrolle des Wirtschaftsmagnaten. Die finanzielle Durchschlagskraft digitaler Geschäftsmodelle hat zudem seit der Jahrtausendwende einen neuen Unternehmertypus hervorgebracht, dessen hervorstechendes Merkmal seine Jugendlichkeit ist. Das kalifornische Silicon Valley mutierte für einige Jahre zum Neuen Jerusalem der Kreuzritter der Start-up-Industrie.
Zentraler Bestandteil einer Heldenvita ist die Bereitschaft zum Selbstopfer. So hat auch das Unternehmertum seine Märtyrergestalten.12 Als herausgehobene Repräsentanten der Wirtschaft sind insbesondere Topmanager nicht selten Opfer von Terroristen und Attentätern, die in ihnen die sichtbaren – und verwundbaren – Exponenten des politischen und ökonomischen Systems treffen wollen. Zu diesen gehörten in Deutschland Jürgen Ponto, Hanns-Martin Schleyer, Detlev Rohwedder und Alfred Herrhausen, die Opfer von weltanschaulich motivierten Morden wurden. Das Bild des Unternehmers als moderner Held wäre jedoch nicht vollständig ohne seine Tätigkeit als öffentlich wirksamer Wohltäter. Zahlreiche Stiftungen, Museen und karitative Einrichtungen weltweit zeugen von der Bereitschaft erfolgreicher Unternehmer, bereits zu Lebzeiten oder zumindest posthum einen Teil ihrer weltlichen Güter der menschlichen Gemeinschaft zurückzugeben. Bekannte Beispiele sind die Fondation Beyeler in Basel, das Museo Gulbenkian in Lissabon, die Getty Foundation in Los Angeles sowie die Koerber-Stiftung in Hamburg. Im Stiftungsgedanken zeigen sich, wenn auch in deutlich abgeschwächter und steuerlich begünstigter Form, erneut die religiösen Ursprünge des kapitalistischen Unternehmertums, wie sie bereits Max Weber herausgearbeitet hatte.
Der moderne Unternehmer tritt unter ökonomischen Vorzeichen in die Leerstelle tradierter Heldenmuster und heroischer Selbststilisierungen ein. In Literatur, Film und Sozialwissenschaft wird seine exponierte Rolle kritisch, in den Wirtschaftswissenschaften hingegen affirmativ gesehen. Der ökonomische Akteur ist Gegenstand von modernen Mythologisierungen, die jedoch nicht zwingend positiv sind. Wie der tradierte Heros bleibt auch der Repräsentant des Unternehmertums eine interpretationsbedürftige und zutiefst ambivalente Figur. In einem Satz: Der Unternehmer ist die Heldenfigur des Spätkapitalismus – Exponent einer hochriskanten Wirtschafts-, Gesellschafts- und Lebensform.
Dominik Pietzcker: „Unternehmer“. In: Compendium heroicum. Hg. von Ronald G. Asch, Achim Aurnhammer, Georg Feitscher und Anna Schreurs-Morét, publiziert vom Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ der Universität Freiburg, Freiburg 08.04.2019. DOI: 10.6094/heroicum/untd1.0