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Affizierungsästhetiken

1. Definitionen1Dieser Artikel basiert auf dem ausführlichen Einleitungskapitel zu: Aurnhammer, Achim u. a.: Ästhetiken des Heroischen. Darstellung – Affizierung – Gesellschaft. Göttingen 2024: Wallstein.

Als Held oder Heldin wird bezeichnet, wer aus der Masse und dem Normalen heraussticht und Außerordentliches bewirkt (⟶Held). Helden stellen die Grenzen des Normalen infrage und überschreiten sie (⟶Grenzüberschreitung). So wecken sie beim Publikum Aufmerksamkeit, Affekte und Gefühle (⟶Attraktionskraft): Staunen und Überwältigung bzw. Abscheu und Schrecken; Sympathie oder Empathie bzw. Antipathie; Bewunderung und Verehrung bzw. Ablehnung. Dem Heroischen ist eine grundsätzliche, intensive Affektivität eigen, und diese erklärt die soziale Bedeutung heroisierter Figuren.2Siehe auch Falkenhayner, Nicole: „What is the ‚Hero Affect‘? Outlining a Research Perspective on the Affective Role of Heroizations in Contemporary European Popular Culture“. In: Journal of European Popular Culture 11.2 (2020), 85-90. DOI: 10.1386/jepc_00018_2

Situationen, in denen ⟶Heroisierungen stattfinden, lassen sich deshalb mit dem Begriff des ‚affektiven Arrangements‘ fassen. Dieser bezieht sich auf die Art und Weise, in welcher Affizierung in bestimmten sozio-materiellen Konstellationen hervorgebracht, moduliert und spezifisch geformt wird.3Slaby, Jan / Mühlhoff, Rainer / Wüschner, Philipp: „Affective Arrangements“. In: Emotion Review 11.1 (2019), 3-12; siehe zudem die entsprechenden Lemmata in: Sonderforschungsbereich 1171 (Hg.): Affective Societies: Key Concepts Online. Berlin, 04.11.2022, online unter: https://key-concepts.sfb-affective-societies.de (Zugriff am 25.01.2024). Affektive Arrangements sind Sphären intensivierter Affizierung, bestimmt durch „heterogene Ensembles unterschiedlicher Materialien, die ein lokales Gefüge (layout) bilden“.4Slaby u. a.: „Affective Arrangements“, 2019, 4; dort auch die folgenden Zitate. Sie schließen als dynamische Formationen „Personen, Dinge, Artefakte, Räume, Diskurse, Verhaltensweisen und Ausdrucksformen in einer charakteristischen Art der Zusammenstellung und dynamischen Relationalität ein“ und bringen „Akteure in einen dynamischen, orchestrierten Zusammenhang […], in welchem sie wechselweise affizieren und affiziert werden“. Ausdrucksformen sind ein wesentlicher Bestandteil affektiver Arrangements, besonders in Hinblick auf Heroisierungen.

2. Ästhetisch-affektive Arrangements

Um wahrnehmbar und wirksam zu werden, bedarf eine Heroisierung der Äußerung und Darstellung (⟶Held: Medial-kommunikative Konstituierung),5Siehe auch Drucker, Susan J. / Cathcart, Robert S.: „The hero as a communication phenomenon“. In: Drucker, Susan J. / Cathcart, Robert S. (Hg.): American Heroes in a Media Age. Cresskill 1994: Hampton, 1-14. also auch einer sinnlichen Ebene, die allgemein für Affizierungseffekte von großer Bedeutung ist.6Göbel, Hanna Katharina / Prinz, Sophia (Hg.): Die Sinnlichkeit des Sozialen. Wahrnehmung und materielle Kultur. Bielefeld 2015: Transcript. Diese sinnliche Ebene kann, im Rückgriff auf die Grundbedeutung des griechischen aísthesis, als Ästhetik bezeichnet werden. Ästhetik ist die gestalterische, direkt die Sinne ansprechende und dadurch affizierende Ebene der Darstellung. Sie kommt in der Gestaltung einer Darstellung zum Ausdruck und in ihrer Rezeption zur Wirkung. Ästhetik kann Bedeutungen verstärken und ergänzen, aber auch für sich selbst stehen.7Vgl. für das Heroische auch, allerdings mit etwas anderer Zielrichtung: Immer, Nikolas / van Marwyck, Mareen (Hg.): Ästhetischer Heroismus. Konzeptionelle und figurative Paradigmen des Helden. Bielefeld 2013: Transcript. Das hier zugrunde gelegte Verständnis von Ästhetik schließt sich an ein Konzept von „Aisthetik“ an, mit dem die jüngere Forschung zu einer allgemeinen Wahrnehmungslehre beigetragen hat.8Seel, Martin: Ästhetik des Erscheinens. München 2000: Hanser; Böhme, Gernot: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre. München 2001: Fink. Demnach richtet sich eine „aisthetische“ Analyse auf das Erscheinen einer Darstellung als solcher: auf ihre Wahrnehmung als unmittelbar erregungshafter und sinnlicher Resonanzeffekt bei Rezipierenden. Martin Seel versteht unter „Aisthetik“ die sinnengeleitete Aufmerksamkeit dafür, wie sich etwas in der Fülle seines Erscheinens darbietet und dadurch auffällig wird – im Gegensatz zur begrifflichen Feststellung, was Sache ist.

Das Zusammenspiel von Ästhetik und Sozialem in Heroisierungsprozessen kann mit dem Begriff des ästhetisch-affektiven Arrangements gefasst werden, einer Anpassung und Erweiterung des ursprünglich für empirisch beobachtende Sozialstudien entwickelten Konzepts des affektiven Arrangements:

1. Das Affizieren und Affiziertwerden findet im Fall von Darstellungen des Heroischen über Texte, Bilder, Filme, Musik, Dinge und anderes mehr statt (⟶Held: Medial-kommunikative Konstituierung). Die Wirkung solcher Darstellungen ist zwar nicht eindimensional in dem Sinn, dass nur auf ein Publikum eingewirkt wird, aber eine Rückwirkung auf die Darstellung erfolgt in vielen Fällen nur insofern, als deren Bedeutungs- und Ausdruckspotenzial auf eine bestimmte Weise aktualisiert und angeeignet wird. Ein unmittelbares Einwirken auf eine materielle Darstellung besteht im Fall eines Bildersturzes, der willentlichen Beschädigung zu Zwecken des Protests oder wenn geplante Darstellungen nicht realisiert oder fertiggestellt werden.

2. Wirkungen von Darstellungen werden in den Kulturwissenschaften unter dem Begriff der Rezeption gefasst. Vorgänge der Rezeption lassen sich beobachten, ihre Geschichte lässt sich darstellen. Anhand konkreter Äußerungen, sofern diese vorliegen, ist Rezeptionsforschung möglich.9Jauß, Hans Robert: Literaturgeschichte als Provokation. Frankfurt a. M. 1970: Suhrkamp; Groeben, Norbert: Rezeptionsforschung als empirische Literaturwissenschaft: Paradigma- durch Methodendiskussion an Untersuchungsbeispielen. 2. Auflage. Tübingen 1980: Narr; Birkner, Thomas / Merziger, Patrick / Schwarzenegger, Christian (Hg.): Historische Medienwirkungsforschung. Ansätze, Methoden und Quellen. Köln 2020: Herbert von Halem Verlag. Dies gilt für viele Darstellungen vor allem aus vergangenen Zeiten und Kulturen nicht oder nur bedingt, und das Spektrum der Wirkungen, die in einer Darstellung angelegt sind, lässt sich außerdem immer nur rekonstruieren: über historische Zeugnisse oder, rezeptionsästhetisch, über das Konzept impliziter Rezeption, die sich über die Gestaltungselemente einer Darstellung erschließen lässt.10Iser, Wolfgang: Der implizite Leser. Kommunikationsformen des Romans von Bunyan bis Beckett. München 1972: Fink; Kemp, Wolfgang (Hg.): Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik. Berlin 1992: Reimer; Kemp, Wolfgang: „Kunstwerk und Betrachter: Der rezeptionsästhetische Ansatz“. In: Belting, Hans u. a. (Hg.): Kunstgeschichte. Eine Einführung. 6. Auflage, Berlin 2003: Reimer, 247-265.

3. Bei Darstellungen des Heroischen kann es ästhetisch zu einer Überlagerung von affektiven Arrangements kommen: einerseits im Arrangement der Kommunikation zwischen Darstellung und Rezipierenden, andererseits in Arrangements, die in einer Darstellung selbst dargestellt sind, etwa in Anbetungs- oder Verehrungsszenen. Man hat es dann mit äußeren und inneren affektiven Arrangements zu tun, zwischen denen Spannungen bestehen, die aber auch überbrückt werden können.

4. Bei der Untersuchung von ästhetisch-affektiven Arrangements heroisierender Darstellungen geht es um den gesamten kommunikativen Kontext und Komplex der Darstellung, zu dem kulturelle Codierungen, Erwartungshorizonte, Erfahrungsräume und affektive Dispositionen zu zählen sind, wie etwa Gattungskonventionen oder mediale Bedingtheiten und emotionale Muster.

5. In ästhetisch-affektiven Arrangements heroisierender Darstellungen sind die konkreten Rezeptionssettings ebenso konstitutiv wie die sozialen Konstellationen und eng mit diesen verbunden: Wurde eine Darstellung beispielsweise für einen bestimmten Ort geschaffen, und was sind die konkreten Bezüge? Was ändert sich, wenn die Darstellung an einem anderen Ort rezipiert wird, etwa in einem musealen statt einem sakralen Raum? Wurde eine Darstellung für eine kollektive Rezeption intendiert, etwa im Kino, Theater oder in einer Kirche, oder für eine individuelle Rezeption wie beim Lesen eines Romans? Wann sind Darstellung und Publikum ko-präsent, etwa im Theater oder im Museum, und welche Konsequenzen hat das für ihr Affizierungspotenzial?

6. Für eine diachrone Perspektive auf das Heroische ist die Historizität ästhetisch-affektiver Arrangements von großer Relevanz. Für deren Analyse sind detailgenaue Bestimmungen der Traditionen, Prägungen und Aufladungen ihrer Bestandteile von zentraler Bedeutung.

7. In den ästhetisch-affektiven Arrangements heroisierender Darstellungen kann es zu einer Multiplizierung räumlicher, zeitlicher und kultureller Faktoren kommen, wenn Entstehungs- und Rezeptionskonstellationen divergieren. Je nachdem, wie groß die Abweichung ist, sind Darstellungen des Heroischen für die Rezipierenden u. U. nicht oder nur anders (re-)aktualisierbar als für die ursprünglich intendierten Publika; nicht nur können sich die Bedeutungen von Zeichen und Codes unterscheiden, sondern auch die Disposition der Rezipierenden, wie ihre Erwartungen und ihr Wissen, einschließlich des Wissens um ästhetische Konventionen. Umgekehrt können Rezeptionskonstellationen, die denen der Entstehung zeitlich nah sind, einen Aktualitätseffekt haben.

8. Da affektive Arrangements „Zonen höherer relativer Intensität“ von Affektivität sind,11Slaby u. a.: „Affective Arrangements“, 2019, 5. liegt es nahe, bei der Untersuchung ästhetisch-affektiver Arrangements des Heroischen nach ästhetischen Intensivierungen von Affektivität zu fragen.

9. Das ursprüngliche Konzept des affektiven Arrangements stellt Ästhetiken nicht in den Mittelpunkt, sieht in ihnen aber einen wichtigen Faktor. So wird festgestellt, dass affektive Arrangements Generatoren von affektiven „Atmosphären“ oder „Tonalitäten“ sind und eine „Sphäre von Resonanz“ konstituieren.12Slaby u. a.: „Affective Arrangements“, 2019, 4; 10 mit Anm. 24. Daran lässt sich für eine Untersuchung von Ästhetiken der Affizierung anschließen. Atmosphären sind das, was sämtliche Elemente der Gestaltung und Präsentation, aber auch Vorwissen und Traditionen, Erwartungen und Erfahrungen in ihrem kommunikativen Zusammenwirken sinnlich zusammenführt: eine Gestimmtheit, die den Kommunikationsprozess mitprägt, als würde man in eine bestimmte Bewegtheit versetzt, die eine Resonanz der Beteiligten untereinander und mit etwas Wahrgenommenen hervorruft.13Gernot Böhme: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik. Frankfurt a. M. 1995: Suhrkamp, nennt Atmosphären einen zentralen Gegenstand „aisthetischer“ Analyse; vergleiche auch Bulka, Thomas: Stimmung, Emotion, Atmosphäre. Phänomenologische Untersuchungen. Münster 2015: Mentis; Riedel, Friedlind: „Atmosphere“. In: Slaby, Jan / von Scheve, Christian (Hg.): Affective Societies. Key Concepts. London 2019: Routledge, 85-95. Als Atmosphäre lässt sich also bezeichnen, was die Rezipierenden im Zusammensein mit dem Wahrgenommenen umgibt und damit ästhetisch einstimmt.

Die konkreten Gestaltungselemente von Darstellungen sind in vielerlei Hinsicht nicht spezifisch für die Darstellung des Heroischen. Die intensive Affektivität eines heroisch-ästhetischen Arrangements ist oft nur ein Effekt der Kumulation von Elementen, die auf komplexe Weise ineinander spielen. Gleichwohl gibt es Gestaltungselemente, die ein besonderes Potenzial für die Heroisierung haben, etwa weil sie transgressiv sind (d. h. Darstellungskonventionen durchbrechen, Überraschungseffekte erzeugen), weil sie Aufmerksamkeit fokussieren, Präsenzeffekte oder auch eine besondere Dynamik erzeugen (z. B. in der Handlung, in der Bewegtheit der Darstellung oder in Hinblick auf Klang und Lautstärke), oder weil sie Außeralltäglichkeit und Übersteigerung signalisieren (etwa durch die Größe der Darstellung selbst, einen hohen Stil oder ⟶Glanz– und Überstrahlungseffekte).

3. Gestaltungselemente ästhetisch-affektiver Arrangements

Im Folgenden wird ein Überblick über Gestaltungselemente gegeben, die zur Affektivität heroisierender Darstellungen beitragen können. Dieser Katalog ist weder umfassend noch vollständig, kann aber als ‚Werkzeugkasten‘ genutzt werden, um Affizierungsästhetiken des Heroischen zu untersuchen. Das Affizierungspotenzial von Heldendarstellungen wird bestimmt durch
(A) inhaltliche Elemente: Ausprägungen der Figuren, der Handlung und der raumzeitlichen Welt
(B) die sinnlich wahrnehmbare Dimension einer Darstellung: grundlegende Darstellungsmodi (Erzählen, Zeigen, Aufführen, Evozieren), Materialität, Medialität und Modalität sowie formal-strukturelle Gestaltungsmittel
(C) Beziehungen zwischen Darstellungen: Intertextualität und Präfiguration.

(A) Das Affizierungspotenzial von Figuren, Handlung, raumzeitlicher Welt
Die Ausgestaltung einer menschlichen Figur ist der Nukleus von ⟶Heroisierung. In der Darstellung werden der Figur ⟶heroische Qualitäten zugeschrieben, durch welche sie sich von ‚normalen‘ Menschen unterscheidet. Hat bereits diese Differenz zum Normalen ein Affizierungspotenzial, so wird dieses noch dadurch gesteigert, dass heroische Figuren als Zentrum der Aktivität präsentiert werden und ⟶Handlungsmacht (Agency) auf sie konzentriert wird. Visuelle Darstellungen, aber auch ausführliche verbale Beschreibungen können den Körper heroischer Figuren und dessen Ausdruckspotenzial akzentuieren. Dieser Körper kann durch außerordentliche Größe und Kraft, oder auch Gesten und Bewegungen, Schönheit und Erotik ausgezeichnet werden. Heroische ⟶Körperlichkeit ist oft auch mit der Bereitschaft zum Erleiden von physischer Gewalt und überwältigenden, oft existenziellen Erfahrungen von (Mit-)Leid und Schmerz14Siehe etwa Giesen, Bernhard: Triumph and Trauma. Boulder, Colorado 2004: Paradigm. verbunden, und hierüber mit den Motiven des Opfers und des ⟶Todes als menschlichen Extremerfahrungen.15Siehe etwa: Brink, Cornelia / Falkenhayner, Nicole / von den Hoff, Ralf (Hg.): Helden müssen sterben. Von Sinn und Fragwürdigkeit des heroischen Todes. Baden-Baden 2019: Ergon; Falkenhayner, Nicole / Korte, Barbara / Bensch, Matthias / Hardt, Maria-Xenia: „Heroism – Violence – Mediality. Working Paper of the Collaborative Working Group on Mediality“. In: helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen, Special Issue 5 (2019): Analyzing Processes of Heroization. Theories, Methods, Histories, 69-78. DOI: 10.6094/helden.heroes.heros./2019/APH/08; Gölz, Olmo / Brink, Cornelia (Hg.): Gewalt und Heldentum, Baden-Baden 2020: Ergon.

Es kann allerdings auch verdeutlicht werden, dass heroische Figuren physische und psychische Eigenschaften mit normalen Menschen gemeinsam haben. Sie sind bestimmt durch Herkunft, Geschlechtlichkeit, Alter oder sozialen Rollen, mit Konsequenzen für die Heroisierbarkeit. Sie sind sterblich und verwundbar oder zeigen Gefühle, die für Rezipierende nachvollziehbar sein können. Die mit normalen Menschen geteilte Leiblichkeit, Herkunft oder Rolle ermöglicht es, dass Rezipierende sich zu heroischen Figuren verhalten und auf sie reagieren. Wird das Heroische auf Nicht-Menschliches übertragen, etwa auf Tiere, Dinge, Landschaften (⟶Heroische Landschaft) oder Musik16Zur heroischen Musik siehe Betz, Albrecht: „Musikhelden und Heldenmusik“. In: Bohrer, Karl Heinz / Scheel, Kurt (Hg.): Heldengedenken. Über das heroische Phantasma, Merkur 63, Heft 9/10 (2009), 916-924., dann erhalten auch diese einen menschlichen Zug und damit eine erhöhte Affektivität.

Heroische Figuren können allein oder im Bezug zu anderen Personen dargestellt werden. Sie können dabei von anderen distanziert erscheinen. Eine solche Vereinzelung lenkt die Aufmerksamkeit auf sie und verstärkt das Außerordentliche ihres Seins und Tuns. Aber auch Figurenkonstellationen können affektive Effekte zeitigen: Die wohl wirkmächtigste ist die Relation zwischen Held und Antagonist(en), die nicht nur durch Kontraste und Konkurrenzen bestimmt ist, sondern auch in Parallelen bestehen kann, wenn Gegner sich durch ähnliche ⟶(heroische) Eigenschaften auszeichnen, wie etwa die vielen konkurrierenden ⟶Heroen in Homers Ilias. Die Gegner heroischer Figuren können auch nicht-menschlicher Art sein, von Drachen und anderen Monstern bis zu gewaltigen Naturerscheinungen. Dies trägt zu einem Effekt der Erhabenheit bei, kann das Identifikationspotenzial für den menschlichen Helden verstärken, aber auch Polaritäten zwischen Mensch und ‚Un-Mensch‘, Eigenem und Fremden betonen.

Zum Personal vieler heroisierender Darstellungen gehören Mentoren, die Helden bei wichtigen Entscheidungen den Weg weisen und so unterstreichen, dass auch außerordentliche Figuren nicht über Zweifel und Fehler erhaben sind. Helferfiguren (Gefährten, sidekicks) unterstützen Helden aktiv, ohne jemals selbst so großartig wie diese zu sein; sie können in manchen Aspekten auch kontrastiv, komplementär oder bestätigend wirken. Assistenzfiguren hingegen können dazu beitragen, die Distanz zwischen Helden und normalen Menschen zu überbrücken oder die Emotionen der heroischen Figur positiv oder negativ zu verstärken. Mittlerfiguren signalisieren den Rezipierenden, wie sie auf die heroische Figur reagieren soll(t)en, etwa mit ⟶Bewunderung und Verehrung, und ziehen sie in die dargestellte Affektgemeinschaft hinein.

Das Handeln einer heroischen Figur ist ein weiterer ⟶konstitutiver Faktor ihrer Heroisierung. Die Darstellung heldenhaften Handelns hat besonders dann ein hohes Affizierungspotenzial, wenn Figuren Grenzerfahrungen machen oder Grenzen überschreiten (⟶Grenzüberschreitung). Ein typisches Inhaltselement heroisierender Darstellung sind agonale Auseinandersetzungen oder Kämpfe, bei denen Helden ihre Überlegenheit unter Beweis stellen; hier finden Polarisierungen statt, die zur Parteinahme auffordern. Auch Momente nach oder vor einer ⟶Tat provozieren eine solche Parteinahme. In letzteren zeigt sich besonders gut, dass auch Spannung ein affizierendes Element ist, zum Beispiel wenn die Darstellung die Frage nach dem Ausgang eines Kampfes aufkommen lässt. Abenteuer gehören zu den typischen Paradigmen heroischen Handelns;17Koppenfels, Martin von / Mühlbacher, Manuel (Hg.): Abenteuer. Erzählmuster, Formprinzip, Genre. Paderborn 2019: Brill / Fink. im Konzept der sogenannten Heldenreise hat diese enge Verbindung des Heroischen mit dem Abenteuer eine charakteristische Ausprägung erfahren.18Das Konzept der Heldenreise geht auf Joseph Campbells „The Hero with a Thousand Faces“ (1949) zurück. Das Beispiel Einzeltat versus Heldenreise verdeutlicht, dass Handlungen unterschiedliche inhärente Dynamiken haben: Die isolierte Tat involviert die Rezipierenden für einen kurzen Moment; die Dauer einer Heldenreise, wie in der Aeneis oder in Lord of the Rings, ermöglicht den Rhythmuswechsel zwischen aufregenden Momenten und ruhigeren Handlungsphasen und engagiert Rezipierende vor allem über ihre Erwartungen des Ausgangs der ‚Reise‘, über ihre kontinuierliche Anteilnahme am Schicksal der Helden oder auch durch wechselnde Affektpegel.

Handlungen finden in einer raumzeitlichen Welt statt. Ist eine heroische Tat von der Erfahrungswelt der Rezipierenden entfernt oder handelt es sich gar um eine fantastische Welt, kann sich hieraus die Attraktions- oder Abstoßungskraft des Fremden und Ungewöhnlichen ergeben, wie etwa im Herakles-Mythos. Ist die Welt vertraut, erhöht sich das Identifikationspotenzial, aber das Heroische sticht auch als erfahrungsnah heraus. Mythische Welten können Zeitlosigkeit oder Universalität suggerieren und trotz Distanz zur lebensweltlichen Erfahrung der Rezipierenden Bezugsmöglichkeiten eröffnen oder sogar verstärken.

(B) Darstellungsmodi und formale Gestaltungsmittel
Darstellungen können das Heroische erzählen, zeigen und aufführen, ohne dass diese Modi mit ⟶Gattungen identisch oder immer streng getrennt sind. Vielmehr spielen sie in der Regel zusammen. Neben diesen mimetischen Modi, in denen sich Heroisches konkret manifestiert, wird das Heroische als Effekt u. U. nur evoziert, etwa im Fall bestimmter Musik oder einer erhabenen Landschaft. Auch der evozierende Modus kann stark affizieren und die Wirkung der mimetischen Modi steigern.

Das Erzählen ist der vielleicht grundlegendste Modus heroisierender Darstellung. Von Helden, und vor allem von ihren Taten und Leistungen, wird erzählt (⟶Heldennarrative). Mit den Formen und Gestaltungsmitteln des Erzählens – in Epen, Romanen, Dramen oder Filmen – werden Handlungen durch mehr oder weniger explizite Vermittlungsinstanzen und mit unterschiedlichen Perspektivierungen präsentiert.19Siehe etwa Genette, Gérard: Die Erzählung. München 1994: Fink; Martínez, Matías: Handbuch Erzählliteratur. Theorie, Analyse, Geschichte. Stuttgart 2011: Metzler. Dies hat Auswirkung auf Nähe oder Distanz der Rezipierenden zu den heroisierten Figuren und auf die Möglichkeit, für die Figuren Sympathie, Empathie oder Mitleid zu empfinden. In Skulpturen oder Gemälden kann Erzählung durch Hinweise auf Vorangegangenes oder Zukünftiges oder durch die Suggestion von Bewegung evoziert werden. Grundsätzlich hat das Erzählen aufgrund seiner Erfahrungshaftigkeit20Zum Konzept der Erfahrungshaftigkeit (experientiality) siehe Fludernik, Monika: Towards a ‚Natural‘ Narratology. London/New York 1996: Routledge. ein hohes Identifikationspotenzial. Es hat zudem von allen Darstellungsmodi das stärkste Potenzial für zeitliche Effekte, etwa im Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit oder durch die Erzeugung von Dynamiken und Rhythmen.

Der Modus des Zeigens ist allen Darstellungen eigen, die eine visuelle Wahrnehmung erfordern, die (sich) also physisch einem Publikum zeigen.21Wiesing, Lambert: Sehen lassen. Die Praxis des Zeigens. Berlin 2013: Suhrkamp. Gemeint sind damit vor allem Bilder, seien sie unbewegt oder bewegt. Ausschlaggebend bei diesem Modus ist die unmittelbare sinnliche Präsenz der Darstellung und des Dargestellten durch ihr Gesehen-Werden. Das Zeigen heroischer Figuren ermöglicht so Effekte, die sowohl durch das Dargestellte als auch die Darstellung einen starken sinnlich-affizierenden Charakter haben (Evidenz).22Zu visueller Evidenz siehe Krüger, Klaus: Politik der Evidenz. Öffentliche Bilder als Bilder der Öffentlichkeit im Trecento. Göttingen 2015: Wallstein; Krüger, Klaus: Grazia. Religiöse Erfahrung und ästhetische Evidenz. Göttingen 2016: Wallstein, sowie die Ergebnisse der DFG-Forschungsgruppe „Bild-Evidenz. Geschichte und Ästhetik“ (online unter: http://bildevidenz.de, Zugriff am 30.11.2023). Bildliche Darstellungen haben so eine besondere Lebensnähe und körperliche Erfahrungshaftigkeit; im Bild werden Helden in ihrer Leiblichkeit und oft im Augenblick des Vollzugs ihrer Taten sichtbar, in Bewegungsfolgen, in Posen oder Gesten23Siehe etwa Marstaller, Vera / Safaian, Dorna (Hg.): Heroische Gesten. Formensprachen politischer Körperlichkeit. helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen. Special Issue 9 (2023). DOI: 10.6094/helden.heroes.heros./2023/HG und in signifikanten Momenten ihres Auftretens. Allerdings tendiert der zeigende Modus auch zur Konkretisierung, Individualisierung und historischen Vereindeutigung, so dass Möglichkeiten der Identifikation mit den heroischen Figuren oder der Appellcharakter des Heroischen gegebenenfalls nur mittelbar gegeben sind. Die Perspektive, die ein Bild suggeriert, kann den Rezipierenden etwas in scheinbar unmittelbarer, erfahrungsnaher Ansichtigkeit zeigen, was dem Heroischen gleichfalls starke Präsenz und Evidenz verleihen kann. Während auch statisch erscheinende Bilder Erzählelemente enthalten können, dominiert bei ihnen der deskriptive Charakter, der visuell verdeutlichte Qualitäten und Verweise ebenso stark macht wie (oder sogar stärker als) das Erzählerische.24Giuliani, Luca: Bild und Mythos. Geschichte der Bilderzählung in der griechischen Kunst. München 2003: Beck. Der Modus des Zeigens ermöglicht bei einem unbewegten Bild zwar eine zeitlich gedehnte ‚Lesung‘ mit wanderndem Blick,25Grave, Johannes: Bild und Zeit. Eine Theorie des Bildbetrachtens. München 2022: Beck. aber auch eine mehr oder weniger momentane Erfassung ‚mit einem Blick‘, die die zeitliche Dimension in der Wahrnehmung weitgehend ausblendet und damit gegebenenfalls auch die Distanz zwischen Betrachtenden und Held bzw. Heldin reduziert erscheinen lässt.

Im Modus des Aufführens, d. h. in der körperlich-handelnden Inszenierung, hat das Heroische eine noch stärkere, unmittelbare physische Präsenz, die auf ein ko-präsentes Publikum, wie etwa im Theater, besonders intensiv wirkt.26Siehe etwa Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen. Frankfurt a. M. 2004: Suhrkamp. Dabei ist das Performative meist mit dem Zeigen und dem Erzählen verknüpft. Eine Inszenierung des Heroischen findet auch in Situationen des realen sozialen Raums (z. B. öffentliche Rede, Kult) statt, als Darstellung ist Aufführung aber v. a. mit der Bühne (Theater, ⟶Oper) assoziiert. Dabei stehen das Handeln von heroischen Figuren und ihre Interaktion mit anderen Figuren im Vordergrund. Körper, Körpersprache, Stimme, Kostüm, Szenenbild, Musik und Beleuchtung können sich dabei in ihrer Wirkung ergänzen, die unterschiedliche Sinne anspricht (Modalität). In der theatralischen Aufführung sind deshalb Identifikationspotenziale und Präsenzeffekte des Mimetischen besonders stark. Aufgeführte Instrumentalmusik affiziert dagegen vor allem durch Evokation.

Mit Evozieren ist das Hervorrufen von nicht konkret Dargestelltem gemeint: von Stimmungen, Assoziationen und Emotionen, die nicht unbedingt an eine konkrete heroische Figur oder Tat gebunden sein müssen: „Evocation is neither presentation nor representation. It presents no objects and represents none, yet it makes available through absence what can be conceived but not presented.“27Tyler, Stephen A.: „Post-Modern Ethnography: From Document of the Occult to Occult Document“. In: Clifford, James / Marcus, George E. (Hg.): Writing Culture. The Poetics and Politics of Ethnography. Berkeley 1986: University of California Press, 122-138, 123; siehe auch Tyler, Stephen A.: The Unspeakable. Discourse, Dialogue, and Rhetoric in the Postmodern World. Madison 1987: The University of Wisconsin Press; zum Konzept vergleiche Rautzenberg, Markus: „Zur non-visuellen Macht der Bilder – Eine Forschungsskizze“. In: Hanich, Julian / Wulff, Hans Jürgen (Hg.): Auslassen, Andeuten, Auffüllen. Der Film und die Imagination des Zuschauers. München 2012: Fink, 49-68, sowie das DFG-Netzwerk „Zwischen Präsenz und Evokation“, online unter: https://www.geschkult.fu-berlin.de/e/praesenz-und-evokation (Zugriff am 15.10.2023). Der evokative Modus ruft implizit und suggestiv ⟶heroische Qualitäten wie Außerordentlichkeit, Transgression oder Erhabenheit auf, oder mit dem Heroischen verbundene Phänomene wie Agonalität und Spannung. Das Evozieren ist ins Innere der Rezipierenden verlagert und wird so als besonders intensiv und unmittelbar erfahren: Identifikation findet nicht unbedingt mit einer Figur statt, sondern mit einer Stimmung, die sich in Klängen, Farben oder Räumen manifestiert.28Zum evokativen Potenzial von Musik siehe Betz: „Musikhelden“, 2009. Evokationen stehen damit in besonders enger Beziehung zum Ästhetischen als dem Atmosphärischen. Evokative Effekte können auch in Verbindung mit den anderen Darstellungsmodi des Heroischen auftreten und zur Steigerung ihrer Affektivität beitragen.

Die genannten Grundmodi der Darstellung manifestieren sich konkret immer in einer bestimmten materialen bzw. medialen und formal-strukturellen Gestaltung, unter Rückgriff auf bestimmte Zeichensysteme und Codes. Die Materialität einer Darstellung29Siehe etwa Karagianni, Angeliki / Schwindt, Jürgen Paul / Tsouparopoulou, Christina: „Materialität.“ In: Meier, Thomas u. a. (Hg.): Materiale Textkulturen. Konzepte – Materialien – Praktiken. Berlin 2015: de Gruyter, 33-46. DOI: 10.1515/9783110371291 und die Medialität, mit der eine Darstellung in Erscheinung tritt, haben per se einen Anteil an ihrer Wirkung. Es macht einen Unterschied, ob die Statue eines Helden aus Marmor oder einem weniger wertigen Material gefertigt ist, und ob eine Vergoldung sie zum Strahlen bringt (⟶Glanz) oder nicht.30Siehe beispielsweise zum Goldglanz heroisierender Statuen Hubert, Hans W.: „Sanktifizierung als Heroisierung? Die Statuen Papst Bonifaz’ VIII. zwischen Bildnispolitik und Idolatrie.“ In: Aurnhammer, Achim / Bröckling, Ulrich (Hg.): Vom Weihegefäß zur Drohne. Kulturen des Heroischen und ihre Objekte. Würzburg 2016: Ergon, 58-82. Zur Affizierung tragen nicht nur farbliche oder haptische Effekte der Darstellung selbst bei, sondern gegebenenfalls auch durch eine Darstellung mimetisch evozierte Materialitäten.

Medien sind nicht nur Träger von Botschaften, sondern produzieren semantische Überschüsse und Eigenwirkungen. Besonders intensive und komplexe Wirkungen entstehen in multi- und intermedialen Darstellungen,31Zu Intermedialität siehe etwa Rajewsky, Irina O.: Intermedialität. Tübingen 2002: Francke; Fischer, Carolin / Saglia, Diego / Wehinger, Brunhilde (Hg.): Produktive Rezeption. Imitatio, Intertextualität, Intermedialität, Konzepte der Rezeption. Band 1. Tübingen 2015: Stauffenburg. in denen sich die Eigenschaften unterschiedlicher Ausdrucks- und Kommunikationsmedien verbinden und mischen, so dass das menschliche Sensorium auf mehrfache Weise angesprochen wird (Mulitmodalität).32Elleström, Lars: „The Modalities of Media. A Model for Understanding Intermedial Relations.“ In: Elleström, Lars (Hg.): Media Borders, Multimodality and Intermediality. Basingstoke 2010: Palgrave Macmillan, 11-48.

Schließlich ist die Affizierungskraft heroisierender Darstellung abhängig von formalen Gestaltungsmitteln, die auf mikro- und makrostruktureller Ebene zum Einsatz kommen. Es gibt Mittel, die eine besondere Affinität zum Heroischen haben, wie etwa die Gattung des Epos. Punktuelle Affektsteigerung kann bewirkt werden durch das Durchbrechen von Kommunikationsgrenzen und Konventionen, Kontraste, Parallelen und Wiederholungen, Dynamisierungen, Rezeptionslenkung oder Größen-33Cancik, Hubert: „Größe und Kolossalität als religiöse und ästhetische Kategorien“. In: Visible Religion 7 (1990), 51-68. und Überstrahlungseffekte34Siehe beispielsweise Hecht, Christian: Die Glorie. Begriff, Thema, Bildelement in der europäischen Sakralkunst vom Mittelalter bis zum Ausgang des Barock. Regensburg 2003: Schnell & Steiner; Warland, Rainer: „Nimbus.“ In: Reallexikon für Antike und Christentum. Band 25. Stuttgart 2013: Hiersemann, 915-938; Lechtermann, Christina / Wandhoff, Heiko (Hg.): Licht, Glanz, Blendung. Beiträge zu einer Kulturgeschichte des Leuchtenden. Frankfurt a. M. 2008: Peter Lang.. Auch über Perspektivierung lassen sich besondere Heroisierungseffekte erzielen. Im zeigenden Modus etwa ist die Untersicht ein Mittel, Größe oder Überlegenheit zu suggerieren, formalisiert etwa im sog. hero shot im Film. Erfolgt eine solche Perspektivierung, ohne dass fremde Vermittlungsinstanzen erkennbar gemacht sind, suggeriert die Darstellung eine unmittelbare Wahrnehmung des und Beteiligung am Geschehen (‚Bild als Fenster‘). Das kann dem Heroischen gleichfalls starke Präsenz und Evidenz verleihen.

(C) Intertextualität und Präfiguration
Über die einzelne Darstellung hinaus können Bezüge zu anderen Darstellungen – also Intertextualität im weitesten Sinne, der auch Bilder und Musik einschließt35Fischer u. a.: Produktive Rezeption, 2015; Isekenmeier, Guido / Böhn, Andreas / Schrey, Dominik (Hg.): Intertextualität und Intermedialität. Theoretische Grundlagen – Exemplarische Analysen. Berlin 2021: Metzler. Siehe auch Isekenmeier, Guido: Interpiktorialität. Theorie und Geschichte der Bild-Bild-Bezüge. Bielefeld 2013: Transcript;  Ulrich, Anna Valentine: Gebaute Zitate. Formen und Funktionen des Zitierens in Musik, Bild und Architektur. Bielefeld 2015: Transcript. – zur Affektivität beitragen. Intertextualität kann durch das Aufrufen kultureller Muster entstehen, aber sie manifestiert sich besonders markant in der Relation zwischen konkreten einzelnen Darstellungen.36Siehe etwa Genette, Gérard: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Frankfurt a. M. 1993: Suhrkamp. Dabei werden nicht nur historische Bezüge wirksam; durch das Aufrufen von bereits Bekanntem kommt es auch zu Wiedererkennungseffekten und dann gegebenenfalls zu Irritationen, was ein hohes Affizierungspotenzial bereitstellt.

Mit Phänomenen der Intertextualität im weiten Sinne eng verbunden sind bei Heroisierungen in vielen Fällen ⟶Präfigurationen, wie zum Beispiel ein ‚neuer‘ Herakles oder Napoleon. Hans Blumenberg versteht unter Präfiguration ein „singuläres Instrument der Rechtfertigung in schwach begründeten Handlungssituationen“,37Blumenberg, Hans: Präfiguration. Arbeit am politischen Mythos. Berlin 2014: Suhrkamp, 10, und zum Folgenden 14. also ein rhetorisches Mittel, um Akzeptanz für eine Handlung herzustellen. In unserem Zusammenhang sind damit insbesondere Referenzierungen zwischen einer Ausgangs- und einer Zielfigur gemeint, die die Zielfigur heroisieren, ihren heroischen Status absichern oder modifizieren.38von den Hoff, Ralf u. a.: „Imitatio heroica – Zur Reichweite eines kulturellen Phänomens.“ In: von den Hoff, Ralf u. a. (Hg.): Imitatio heroica. Heldenangleichung im Bildnis. Baden-Baden 2015: Ergon, 9-33 (siehe auch ⟶Imitatio heroica). In diesem Sinne sind Präfigurationen ein Instrument legitimierender Rhetorik, das Heroisierungen plausibilisieren kann. Ähnlich wie Intertextualität eröffnet Präfiguration Resonanzräume, in denen Auseinandersetzungen mit dem Heroischen stimuliert werden. Durch die (scheinbare) Bekanntheit und Vertrautheit des postulierten ‚Vorbildes‘ und gegebenenfalls seiner Variation werden aber auch affektive Reaktionen provoziert. Dies kann nicht nur durch den namentlichen Aufruf heroischer Figuren oder ihrer Taten geschehen, sondern auch durch geradezu ikonisierte, zu festen heroischen Formeln geronnene Situationen, Darstellungen oder Motive, wie die Forschung zu Pathosformeln (Aby Warburg) als ein „Intensivierungsmodus für die Darstellung affektiven Geschehens“ deutlich gemacht hat.39Schankweiler, Kerstin / Wüschner, Philipp: „Pathosformel“. In: Sonderforschungsbereich 1171 (Hg): Affective Societies: Key Concepts Online. Berlin 04.01.2023, online unter: https://key-concepts.sfb-affective-societies.de/articles/pathosformel-version-1-0 (Zitat; Zugriff am 18.9.2023); Schankweiler, Kerstin / Wüschner, Philipp: „Images that move. Analyzing affect with Aby Warburg“. In: Kahl, Antje (Hg.): Analyzing Affective Societies. Methods and Methodologies. London/New York 2019: Routledge, 101-119; Schankweiler, Kerstin / Wüschner, Philipp: „Pathosformel (pathos formula)“. In: Slaby, Jan / von Scheve, Christian (Hg.): Affective Societies. Key Concepts. London/New York 2019: Routledge, 220-230.

4. Einzelnachweise

  • 1
    Dieser Artikel basiert auf dem ausführlichen Einleitungskapitel zu: Aurnhammer, Achim u. a.: Ästhetiken des Heroischen. Darstellung – Affizierung – Gesellschaft. Göttingen 2024: Wallstein.
  • 2
    Siehe auch Falkenhayner, Nicole: „What is the ‚Hero Affect‘? Outlining a Research Perspective on the Affective Role of Heroizations in Contemporary European Popular Culture“. In: Journal of European Popular Culture 11.2 (2020), 85-90. DOI: 10.1386/jepc_00018_2
  • 3
    Slaby, Jan / Mühlhoff, Rainer / Wüschner, Philipp: „Affective Arrangements“. In: Emotion Review 11.1 (2019), 3-12; siehe zudem die entsprechenden Lemmata in: Sonderforschungsbereich 1171 (Hg.): Affective Societies: Key Concepts Online. Berlin, 04.11.2022, online unter: https://key-concepts.sfb-affective-societies.de (Zugriff am 25.01.2024).
  • 4
    Slaby u. a.: „Affective Arrangements“, 2019, 4; dort auch die folgenden Zitate.
  • 5
    Siehe auch Drucker, Susan J. / Cathcart, Robert S.: „The hero as a communication phenomenon“. In: Drucker, Susan J. / Cathcart, Robert S. (Hg.): American Heroes in a Media Age. Cresskill 1994: Hampton, 1-14.
  • 6
    Göbel, Hanna Katharina / Prinz, Sophia (Hg.): Die Sinnlichkeit des Sozialen. Wahrnehmung und materielle Kultur. Bielefeld 2015: Transcript.
  • 7
    Vgl. für das Heroische auch, allerdings mit etwas anderer Zielrichtung: Immer, Nikolas / van Marwyck, Mareen (Hg.): Ästhetischer Heroismus. Konzeptionelle und figurative Paradigmen des Helden. Bielefeld 2013: Transcript.
  • 8
    Seel, Martin: Ästhetik des Erscheinens. München 2000: Hanser; Böhme, Gernot: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgemeine Wahrnehmungslehre. München 2001: Fink.
  • 9
    Jauß, Hans Robert: Literaturgeschichte als Provokation. Frankfurt a. M. 1970: Suhrkamp; Groeben, Norbert: Rezeptionsforschung als empirische Literaturwissenschaft: Paradigma- durch Methodendiskussion an Untersuchungsbeispielen. 2. Auflage. Tübingen 1980: Narr; Birkner, Thomas / Merziger, Patrick / Schwarzenegger, Christian (Hg.): Historische Medienwirkungsforschung. Ansätze, Methoden und Quellen. Köln 2020: Herbert von Halem Verlag.
  • 10
    Iser, Wolfgang: Der implizite Leser. Kommunikationsformen des Romans von Bunyan bis Beckett. München 1972: Fink; Kemp, Wolfgang (Hg.): Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik. Berlin 1992: Reimer; Kemp, Wolfgang: „Kunstwerk und Betrachter: Der rezeptionsästhetische Ansatz“. In: Belting, Hans u. a. (Hg.): Kunstgeschichte. Eine Einführung. 6. Auflage, Berlin 2003: Reimer, 247-265.
  • 11
    Slaby u. a.: „Affective Arrangements“, 2019, 5.
  • 12
    Slaby u. a.: „Affective Arrangements“, 2019, 4; 10 mit Anm. 24.
  • 13
    Gernot Böhme: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik. Frankfurt a. M. 1995: Suhrkamp, nennt Atmosphären einen zentralen Gegenstand „aisthetischer“ Analyse; vergleiche auch Bulka, Thomas: Stimmung, Emotion, Atmosphäre. Phänomenologische Untersuchungen. Münster 2015: Mentis; Riedel, Friedlind: „Atmosphere“. In: Slaby, Jan / von Scheve, Christian (Hg.): Affective Societies. Key Concepts. London 2019: Routledge, 85-95.
  • 14
    Siehe etwa Giesen, Bernhard: Triumph and Trauma. Boulder, Colorado 2004: Paradigm.
  • 15
    Siehe etwa: Brink, Cornelia / Falkenhayner, Nicole / von den Hoff, Ralf (Hg.): Helden müssen sterben. Von Sinn und Fragwürdigkeit des heroischen Todes. Baden-Baden 2019: Ergon; Falkenhayner, Nicole / Korte, Barbara / Bensch, Matthias / Hardt, Maria-Xenia: „Heroism – Violence – Mediality. Working Paper of the Collaborative Working Group on Mediality“. In: helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen, Special Issue 5 (2019): Analyzing Processes of Heroization. Theories, Methods, Histories, 69-78. DOI: 10.6094/helden.heroes.heros./2019/APH/08; Gölz, Olmo / Brink, Cornelia (Hg.): Gewalt und Heldentum, Baden-Baden 2020: Ergon.
  • 16
    Zur heroischen Musik siehe Betz, Albrecht: „Musikhelden und Heldenmusik“. In: Bohrer, Karl Heinz / Scheel, Kurt (Hg.): Heldengedenken. Über das heroische Phantasma, Merkur 63, Heft 9/10 (2009), 916-924.
  • 17
    Koppenfels, Martin von / Mühlbacher, Manuel (Hg.): Abenteuer. Erzählmuster, Formprinzip, Genre. Paderborn 2019: Brill / Fink.
  • 18
    Das Konzept der Heldenreise geht auf Joseph Campbells „The Hero with a Thousand Faces“ (1949) zurück.
  • 19
    Siehe etwa Genette, Gérard: Die Erzählung. München 1994: Fink; Martínez, Matías: Handbuch Erzählliteratur. Theorie, Analyse, Geschichte. Stuttgart 2011: Metzler.
  • 20
    Zum Konzept der Erfahrungshaftigkeit (experientiality) siehe Fludernik, Monika: Towards a ‚Natural‘ Narratology. London/New York 1996: Routledge.
  • 21
    Wiesing, Lambert: Sehen lassen. Die Praxis des Zeigens. Berlin 2013: Suhrkamp.
  • 22
    Zu visueller Evidenz siehe Krüger, Klaus: Politik der Evidenz. Öffentliche Bilder als Bilder der Öffentlichkeit im Trecento. Göttingen 2015: Wallstein; Krüger, Klaus: Grazia. Religiöse Erfahrung und ästhetische Evidenz. Göttingen 2016: Wallstein, sowie die Ergebnisse der DFG-Forschungsgruppe „Bild-Evidenz. Geschichte und Ästhetik“ (online unter: http://bildevidenz.de, Zugriff am 30.11.2023).
  • 23
    Siehe etwa Marstaller, Vera / Safaian, Dorna (Hg.): Heroische Gesten. Formensprachen politischer Körperlichkeit. helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen. Special Issue 9 (2023). DOI: 10.6094/helden.heroes.heros./2023/HG
  • 24
    Giuliani, Luca: Bild und Mythos. Geschichte der Bilderzählung in der griechischen Kunst. München 2003: Beck.
  • 25
    Grave, Johannes: Bild und Zeit. Eine Theorie des Bildbetrachtens. München 2022: Beck.
  • 26
    Siehe etwa Fischer-Lichte, Erika: Ästhetik des Performativen. Frankfurt a. M. 2004: Suhrkamp.
  • 27
    Tyler, Stephen A.: „Post-Modern Ethnography: From Document of the Occult to Occult Document“. In: Clifford, James / Marcus, George E. (Hg.): Writing Culture. The Poetics and Politics of Ethnography. Berkeley 1986: University of California Press, 122-138, 123; siehe auch Tyler, Stephen A.: The Unspeakable. Discourse, Dialogue, and Rhetoric in the Postmodern World. Madison 1987: The University of Wisconsin Press; zum Konzept vergleiche Rautzenberg, Markus: „Zur non-visuellen Macht der Bilder – Eine Forschungsskizze“. In: Hanich, Julian / Wulff, Hans Jürgen (Hg.): Auslassen, Andeuten, Auffüllen. Der Film und die Imagination des Zuschauers. München 2012: Fink, 49-68, sowie das DFG-Netzwerk „Zwischen Präsenz und Evokation“, online unter: https://www.geschkult.fu-berlin.de/e/praesenz-und-evokation (Zugriff am 15.10.2023).
  • 28
    Zum evokativen Potenzial von Musik siehe Betz: „Musikhelden“, 2009.
  • 29
    Siehe etwa Karagianni, Angeliki / Schwindt, Jürgen Paul / Tsouparopoulou, Christina: „Materialität.“ In: Meier, Thomas u. a. (Hg.): Materiale Textkulturen. Konzepte – Materialien – Praktiken. Berlin 2015: de Gruyter, 33-46. DOI: 10.1515/9783110371291
  • 30
    Siehe beispielsweise zum Goldglanz heroisierender Statuen Hubert, Hans W.: „Sanktifizierung als Heroisierung? Die Statuen Papst Bonifaz’ VIII. zwischen Bildnispolitik und Idolatrie.“ In: Aurnhammer, Achim / Bröckling, Ulrich (Hg.): Vom Weihegefäß zur Drohne. Kulturen des Heroischen und ihre Objekte. Würzburg 2016: Ergon, 58-82.
  • 31
    Zu Intermedialität siehe etwa Rajewsky, Irina O.: Intermedialität. Tübingen 2002: Francke; Fischer, Carolin / Saglia, Diego / Wehinger, Brunhilde (Hg.): Produktive Rezeption. Imitatio, Intertextualität, Intermedialität, Konzepte der Rezeption. Band 1. Tübingen 2015: Stauffenburg.
  • 32
    Elleström, Lars: „The Modalities of Media. A Model for Understanding Intermedial Relations.“ In: Elleström, Lars (Hg.): Media Borders, Multimodality and Intermediality. Basingstoke 2010: Palgrave Macmillan, 11-48.
  • 33
    Cancik, Hubert: „Größe und Kolossalität als religiöse und ästhetische Kategorien“. In: Visible Religion 7 (1990), 51-68.
  • 34
    Siehe beispielsweise Hecht, Christian: Die Glorie. Begriff, Thema, Bildelement in der europäischen Sakralkunst vom Mittelalter bis zum Ausgang des Barock. Regensburg 2003: Schnell & Steiner; Warland, Rainer: „Nimbus.“ In: Reallexikon für Antike und Christentum. Band 25. Stuttgart 2013: Hiersemann, 915-938; Lechtermann, Christina / Wandhoff, Heiko (Hg.): Licht, Glanz, Blendung. Beiträge zu einer Kulturgeschichte des Leuchtenden. Frankfurt a. M. 2008: Peter Lang.
  • 35
    Fischer u. a.: Produktive Rezeption, 2015; Isekenmeier, Guido / Böhn, Andreas / Schrey, Dominik (Hg.): Intertextualität und Intermedialität. Theoretische Grundlagen – Exemplarische Analysen. Berlin 2021: Metzler. Siehe auch Isekenmeier, Guido: Interpiktorialität. Theorie und Geschichte der Bild-Bild-Bezüge. Bielefeld 2013: Transcript;  Ulrich, Anna Valentine: Gebaute Zitate. Formen und Funktionen des Zitierens in Musik, Bild und Architektur. Bielefeld 2015: Transcript.
  • 36
    Siehe etwa Genette, Gérard: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Frankfurt a. M. 1993: Suhrkamp.
  • 37
    Blumenberg, Hans: Präfiguration. Arbeit am politischen Mythos. Berlin 2014: Suhrkamp, 10, und zum Folgenden 14.
  • 38
    von den Hoff, Ralf u. a.: „Imitatio heroica – Zur Reichweite eines kulturellen Phänomens.“ In: von den Hoff, Ralf u. a. (Hg.): Imitatio heroica. Heldenangleichung im Bildnis. Baden-Baden 2015: Ergon, 9-33 (siehe auch ⟶Imitatio heroica).
  • 39
    Schankweiler, Kerstin / Wüschner, Philipp: „Pathosformel“. In: Sonderforschungsbereich 1171 (Hg): Affective Societies: Key Concepts Online. Berlin 04.01.2023, online unter: https://key-concepts.sfb-affective-societies.de/articles/pathosformel-version-1-0 (Zitat; Zugriff am 18.9.2023); Schankweiler, Kerstin / Wüschner, Philipp: „Images that move. Analyzing affect with Aby Warburg“. In: Kahl, Antje (Hg.): Analyzing Affective Societies. Methods and Methodologies. London/New York 2019: Routledge, 101-119; Schankweiler, Kerstin / Wüschner, Philipp: „Pathosformel (pathos formula)“. In: Slaby, Jan / von Scheve, Christian (Hg.): Affective Societies. Key Concepts. London/New York 2019: Routledge, 220-230.

5. Ausgewählte Literatur

  • Aurnhammer, Achim u. a.: Ästhetiken des Heroischen. Darstellung – Affizierung – Gesellschaft. Göttingen 2024: Wallstein.
  • Falkenhayner, Nicole: „What is the ‚Hero Affect‘? Outlining a Research Perspective on the Affective Role of Heroizations in Contemporary European Popular Culture“. In: Journal of European Popular Culture 11.2 (2020), 85-90. DOI: 10.1386/jepc_00018_2
  • Feitscher, Georg: Schlüsselkonzepte des Heroischen. Göttingen 2024: Wallstein. DOI: 10.46500/83535547
  • Slaby Jan / Mühlhoff, Rainer / Wüschner, Philipp: „Affective Arrangements“. In: Emotion Review 11.1 (2019), 3-12. DOI: 10.1177/1754073917722214

Zitierweise

Ralf von den Hoff / Barbara Korte: Affizierungsästhetiken. In: Compendium heroicum. Hg. von Ronald G. Asch, Achim Aurnhammer, Georg Feitscher und Anna Schreurs-Morét, publiziert vom Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ der Universität Freiburg, Freiburg 19.03.2024. DOI: 10.6094/heroicum/aaed2.0.20240319